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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Gudämonismus wider Pessimismus

zwungeu wird. Der Verfasser strebt somit "ach ähnlichem wie Fichte mit seiner
Religion des freudigen Rechtthuns nud der reinen Zufriedenheit mit sich selbst
und kaun sich unzweifelhaft darauf berufen, daß kein Leben für wahrhaft wert¬
voll erachtet wird, das nicht mit dein Bewußtsein eignen Wertes, mit dem
Gefühl, deu angewiesenen Platz auszufüllen und ein nützliches Glied in der
Kette der Menschheit zu sein, verbunden ist. Aber daß dies Gefühl deshalb
das höchste Gut sei, ist doch zu bestreikn. Denn der Mensch findet nun einmal
ebenso wie sich selbst auch die Welt und die andern Menschen vor, findet auch
seine Lebenslage ganz an die der andern Menschen geknüpft, erhält von Ge¬
meinschaften mancherlei Art die mächtigsten Antriebe, und wenn er nicht selbstlos
sein kann und soll, so wird doch seine Selbstbefriedigung umso größer sein, je
mehr sie ihm. nicht als Hauptzweck seines Lebens vorschwebt, sondern sich aus
dem Bewußtsein, mitten in der Menschheit zu stehen und mit ihr zu fühlen und
zu streben, von selbst ergiebt, je mehr er sein Selbst zu einem Teile des Mensch¬
heitslebens erweitert fühlt. Und darum wird doch die hingebende, mitfühlende,
beglückende Liebe jedenfalls wohl für einen Teil der Menschheit, die Frauen,
als Kern und Stern des Lebens und höchstes Gut erscheinen, aus dem sich
in einigermaßen normaler Lage von selbst das edelste Lustgefühl, jeuer tiefe
Friede ergiebt, der Friede in Gott.

Nur augedeutet sei endlich, daß an dem höchsten Gute doch womöglich
auch schon der werdende Mensch teilnehmen soll. Nun kann schon das Kind
und in steigendem Maße das Jugendalter an der Liebe und an gewissem edeln
Gefühlen und Bestrebungen teilnehmen, nicht aber an dem Bewußtsein des
Eigenwertes und der Selbstschützung. Vielmehr möchte man diese möglichst
spät entwickelt sehen.

In seinen ethischen Anschauungen, soweit sie das wirkliche Handeln
und die dazu erforderliche Gesinnung betreffen, steht der Verfasser auch dem/
was hier entwickelt ist, nicht fern, da er als objektiven Wert des Einzelnen
ungefähr dasselbe fordert, nur daß er diesen dem Bewußtsein des Eigenwertes
unterordnet. Dankbar sei zugleich anerkannt, daß er auch dadurch, wie hiermit
aus eigner Erfahrung versichert wird, in gewisser Richtung eine sehr bedeutende
kräftigende sittliche Wirkung erzielt. Auch darum muß seinem gedankenreichen
Werke die gebührende Beachtuug gewünscht werden.




Gudämonismus wider Pessimismus

zwungeu wird. Der Verfasser strebt somit »ach ähnlichem wie Fichte mit seiner
Religion des freudigen Rechtthuns nud der reinen Zufriedenheit mit sich selbst
und kaun sich unzweifelhaft darauf berufen, daß kein Leben für wahrhaft wert¬
voll erachtet wird, das nicht mit dein Bewußtsein eignen Wertes, mit dem
Gefühl, deu angewiesenen Platz auszufüllen und ein nützliches Glied in der
Kette der Menschheit zu sein, verbunden ist. Aber daß dies Gefühl deshalb
das höchste Gut sei, ist doch zu bestreikn. Denn der Mensch findet nun einmal
ebenso wie sich selbst auch die Welt und die andern Menschen vor, findet auch
seine Lebenslage ganz an die der andern Menschen geknüpft, erhält von Ge¬
meinschaften mancherlei Art die mächtigsten Antriebe, und wenn er nicht selbstlos
sein kann und soll, so wird doch seine Selbstbefriedigung umso größer sein, je
mehr sie ihm. nicht als Hauptzweck seines Lebens vorschwebt, sondern sich aus
dem Bewußtsein, mitten in der Menschheit zu stehen und mit ihr zu fühlen und
zu streben, von selbst ergiebt, je mehr er sein Selbst zu einem Teile des Mensch¬
heitslebens erweitert fühlt. Und darum wird doch die hingebende, mitfühlende,
beglückende Liebe jedenfalls wohl für einen Teil der Menschheit, die Frauen,
als Kern und Stern des Lebens und höchstes Gut erscheinen, aus dem sich
in einigermaßen normaler Lage von selbst das edelste Lustgefühl, jeuer tiefe
Friede ergiebt, der Friede in Gott.

Nur augedeutet sei endlich, daß an dem höchsten Gute doch womöglich
auch schon der werdende Mensch teilnehmen soll. Nun kann schon das Kind
und in steigendem Maße das Jugendalter an der Liebe und an gewissem edeln
Gefühlen und Bestrebungen teilnehmen, nicht aber an dem Bewußtsein des
Eigenwertes und der Selbstschützung. Vielmehr möchte man diese möglichst
spät entwickelt sehen.

In seinen ethischen Anschauungen, soweit sie das wirkliche Handeln
und die dazu erforderliche Gesinnung betreffen, steht der Verfasser auch dem/
was hier entwickelt ist, nicht fern, da er als objektiven Wert des Einzelnen
ungefähr dasselbe fordert, nur daß er diesen dem Bewußtsein des Eigenwertes
unterordnet. Dankbar sei zugleich anerkannt, daß er auch dadurch, wie hiermit
aus eigner Erfahrung versichert wird, in gewisser Richtung eine sehr bedeutende
kräftigende sittliche Wirkung erzielt. Auch darum muß seinem gedankenreichen
Werke die gebührende Beachtuug gewünscht werden.




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[0231] Gudämonismus wider Pessimismus zwungeu wird. Der Verfasser strebt somit »ach ähnlichem wie Fichte mit seiner Religion des freudigen Rechtthuns nud der reinen Zufriedenheit mit sich selbst und kaun sich unzweifelhaft darauf berufen, daß kein Leben für wahrhaft wert¬ voll erachtet wird, das nicht mit dein Bewußtsein eignen Wertes, mit dem Gefühl, deu angewiesenen Platz auszufüllen und ein nützliches Glied in der Kette der Menschheit zu sein, verbunden ist. Aber daß dies Gefühl deshalb das höchste Gut sei, ist doch zu bestreikn. Denn der Mensch findet nun einmal ebenso wie sich selbst auch die Welt und die andern Menschen vor, findet auch seine Lebenslage ganz an die der andern Menschen geknüpft, erhält von Ge¬ meinschaften mancherlei Art die mächtigsten Antriebe, und wenn er nicht selbstlos sein kann und soll, so wird doch seine Selbstbefriedigung umso größer sein, je mehr sie ihm. nicht als Hauptzweck seines Lebens vorschwebt, sondern sich aus dem Bewußtsein, mitten in der Menschheit zu stehen und mit ihr zu fühlen und zu streben, von selbst ergiebt, je mehr er sein Selbst zu einem Teile des Mensch¬ heitslebens erweitert fühlt. Und darum wird doch die hingebende, mitfühlende, beglückende Liebe jedenfalls wohl für einen Teil der Menschheit, die Frauen, als Kern und Stern des Lebens und höchstes Gut erscheinen, aus dem sich in einigermaßen normaler Lage von selbst das edelste Lustgefühl, jeuer tiefe Friede ergiebt, der Friede in Gott. Nur augedeutet sei endlich, daß an dem höchsten Gute doch womöglich auch schon der werdende Mensch teilnehmen soll. Nun kann schon das Kind und in steigendem Maße das Jugendalter an der Liebe und an gewissem edeln Gefühlen und Bestrebungen teilnehmen, nicht aber an dem Bewußtsein des Eigenwertes und der Selbstschützung. Vielmehr möchte man diese möglichst spät entwickelt sehen. In seinen ethischen Anschauungen, soweit sie das wirkliche Handeln und die dazu erforderliche Gesinnung betreffen, steht der Verfasser auch dem/ was hier entwickelt ist, nicht fern, da er als objektiven Wert des Einzelnen ungefähr dasselbe fordert, nur daß er diesen dem Bewußtsein des Eigenwertes unterordnet. Dankbar sei zugleich anerkannt, daß er auch dadurch, wie hiermit aus eigner Erfahrung versichert wird, in gewisser Richtung eine sehr bedeutende kräftigende sittliche Wirkung erzielt. Auch darum muß seinem gedankenreichen Werke die gebührende Beachtuug gewünscht werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/231>, abgerufen am 28.06.2024.