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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Ludämonismns wider Pessimismus

So wird e6 "ianchem geh", der die Mühe nicht scheut, ein im vorigen
Jahr erschienenes philosophisches Werk durchzuarbeiten, das von dem Ver¬
fasser, Dr. R. Döring, "Philosophische Güterlehre, Untersuchungen über
die Möglichkeit der Glückseligkeit und die wahre Triebfeder des sittlichen
Handelns" genannt wurden ist (Berlin, R. Gaertner, 1888).

Philosophische Werke erfreuen sich in unserm realistischen Zeitalter nicht
oft einer Beachtung in weiter" Kreisen. Immerhin hat der Erfolg Schopen¬
hauers und Hartmmins ""d selbst andrer Philosophen wie Fischer, Wunde,
Paulsen gezeigt, wie tief im deutschen Bolle das Bedürfnis begründet ist, die
Welt denkend zu erfassen. Und nun tritt ein Schriftsteller auf, der sich dar-
zuthun bemüht, daß mit der Negation aller Güter und der Glückseligkeit durch
deu modernen Pessimismus das Grundproblem für eine ganz neue Phase der
Philosophie gesteckt sei und es von der Lösung dieses Problems abhängen
werde, ob unsre Gesittung als eine lebensvolle und zukuuftreiche wird angesehen
werden können, der ein wahres höchstes Gut nachweisen und damit die wahre
Ethik als Theorie der auf die wahre Glückseligkeit gerichteten Lebensführung
geben zu können glaubt.

Leicht hat er es seinen Lesern nicht gemacht; nicht etwa weil Form, und Aus¬
druck des Werkes schwerfällig wären: im Gegenteil, er hat mit bestem. Erfolg nach
Lesbarkeit gestrebt und fremde Terminologien bis auf eine, auch mehrfach in
glücklicher Weise überflüssige Fremdwörter vermieden. Aber er biegt weit von der
Heerstraße und den betretenen Wegen der philosophischen Untersuchung ab, bahnt
sich mit großer Mühe neue Pfade und führt in einen ganz umfassenden Kreis neuer
Gedanken ein, die mit überraschender Folgerichtigkeit unter einander verbunden
sind. Er setzt dazu ein sehr lebendiges und wahres Interesse für die höchsten
Fragen der Menschheit voraus, bietet aber auch vielfach ganz überraschende
Gesichtspunkte, indem er mit Scharfblick auf manche psychologische Vorgänge,
namentlich Selbsttäuschungen aller Art, aufmerksam macht, einsichtiges Ver¬
ständnis für alles Streben anf theoretischem und praktischem Gebiete bekundet
und zur Erläuterung seiner Gedanken manche treffende Aussprüche aus dein
reichen Schatze seiner Belesenheit anführt.

Was aber dem Werke vor allem Beachtung sichert, ist, daß es so energisch
an die letzte große Bewegung der deutscheu Philosophie anknüpft, die pessi¬
mistischen Systeme, und diese, die wahrlich Unheil genug angerichtet haben,
eingehend und mit gutem Erfolg widerlegt und durch einen zwar entschiednen
aber edeln Eudümonismus zu ersetzen sucht. Das ist eine befreiende That,
darin liegt eine vielleicht epochemachende Bedeutung des Werkes.

Der Verfasser tritt i" eine mächtige neuere Bewegung ein. Mit Recht
beruft er sich auf Ansichten von Männern wie Zeller, der Glückseligkeit, d. h.
den Zustand, in dein alle Interessen eines lebenden Wesens befriedigt werden,
für den letzten Zweck, das Streben darnach als den Beweggrund aller unsrer


Ludämonismns wider Pessimismus

So wird e6 »ianchem geh», der die Mühe nicht scheut, ein im vorigen
Jahr erschienenes philosophisches Werk durchzuarbeiten, das von dem Ver¬
fasser, Dr. R. Döring, „Philosophische Güterlehre, Untersuchungen über
die Möglichkeit der Glückseligkeit und die wahre Triebfeder des sittlichen
Handelns" genannt wurden ist (Berlin, R. Gaertner, 1888).

Philosophische Werke erfreuen sich in unserm realistischen Zeitalter nicht
oft einer Beachtung in weiter» Kreisen. Immerhin hat der Erfolg Schopen¬
hauers und Hartmmins »»d selbst andrer Philosophen wie Fischer, Wunde,
Paulsen gezeigt, wie tief im deutschen Bolle das Bedürfnis begründet ist, die
Welt denkend zu erfassen. Und nun tritt ein Schriftsteller auf, der sich dar-
zuthun bemüht, daß mit der Negation aller Güter und der Glückseligkeit durch
deu modernen Pessimismus das Grundproblem für eine ganz neue Phase der
Philosophie gesteckt sei und es von der Lösung dieses Problems abhängen
werde, ob unsre Gesittung als eine lebensvolle und zukuuftreiche wird angesehen
werden können, der ein wahres höchstes Gut nachweisen und damit die wahre
Ethik als Theorie der auf die wahre Glückseligkeit gerichteten Lebensführung
geben zu können glaubt.

Leicht hat er es seinen Lesern nicht gemacht; nicht etwa weil Form, und Aus¬
druck des Werkes schwerfällig wären: im Gegenteil, er hat mit bestem. Erfolg nach
Lesbarkeit gestrebt und fremde Terminologien bis auf eine, auch mehrfach in
glücklicher Weise überflüssige Fremdwörter vermieden. Aber er biegt weit von der
Heerstraße und den betretenen Wegen der philosophischen Untersuchung ab, bahnt
sich mit großer Mühe neue Pfade und führt in einen ganz umfassenden Kreis neuer
Gedanken ein, die mit überraschender Folgerichtigkeit unter einander verbunden
sind. Er setzt dazu ein sehr lebendiges und wahres Interesse für die höchsten
Fragen der Menschheit voraus, bietet aber auch vielfach ganz überraschende
Gesichtspunkte, indem er mit Scharfblick auf manche psychologische Vorgänge,
namentlich Selbsttäuschungen aller Art, aufmerksam macht, einsichtiges Ver¬
ständnis für alles Streben anf theoretischem und praktischem Gebiete bekundet
und zur Erläuterung seiner Gedanken manche treffende Aussprüche aus dein
reichen Schatze seiner Belesenheit anführt.

Was aber dem Werke vor allem Beachtung sichert, ist, daß es so energisch
an die letzte große Bewegung der deutscheu Philosophie anknüpft, die pessi¬
mistischen Systeme, und diese, die wahrlich Unheil genug angerichtet haben,
eingehend und mit gutem Erfolg widerlegt und durch einen zwar entschiednen
aber edeln Eudümonismus zu ersetzen sucht. Das ist eine befreiende That,
darin liegt eine vielleicht epochemachende Bedeutung des Werkes.

Der Verfasser tritt i» eine mächtige neuere Bewegung ein. Mit Recht
beruft er sich auf Ansichten von Männern wie Zeller, der Glückseligkeit, d. h.
den Zustand, in dein alle Interessen eines lebenden Wesens befriedigt werden,
für den letzten Zweck, das Streben darnach als den Beweggrund aller unsrer


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[0222] Ludämonismns wider Pessimismus So wird e6 »ianchem geh», der die Mühe nicht scheut, ein im vorigen Jahr erschienenes philosophisches Werk durchzuarbeiten, das von dem Ver¬ fasser, Dr. R. Döring, „Philosophische Güterlehre, Untersuchungen über die Möglichkeit der Glückseligkeit und die wahre Triebfeder des sittlichen Handelns" genannt wurden ist (Berlin, R. Gaertner, 1888). Philosophische Werke erfreuen sich in unserm realistischen Zeitalter nicht oft einer Beachtung in weiter» Kreisen. Immerhin hat der Erfolg Schopen¬ hauers und Hartmmins »»d selbst andrer Philosophen wie Fischer, Wunde, Paulsen gezeigt, wie tief im deutschen Bolle das Bedürfnis begründet ist, die Welt denkend zu erfassen. Und nun tritt ein Schriftsteller auf, der sich dar- zuthun bemüht, daß mit der Negation aller Güter und der Glückseligkeit durch deu modernen Pessimismus das Grundproblem für eine ganz neue Phase der Philosophie gesteckt sei und es von der Lösung dieses Problems abhängen werde, ob unsre Gesittung als eine lebensvolle und zukuuftreiche wird angesehen werden können, der ein wahres höchstes Gut nachweisen und damit die wahre Ethik als Theorie der auf die wahre Glückseligkeit gerichteten Lebensführung geben zu können glaubt. Leicht hat er es seinen Lesern nicht gemacht; nicht etwa weil Form, und Aus¬ druck des Werkes schwerfällig wären: im Gegenteil, er hat mit bestem. Erfolg nach Lesbarkeit gestrebt und fremde Terminologien bis auf eine, auch mehrfach in glücklicher Weise überflüssige Fremdwörter vermieden. Aber er biegt weit von der Heerstraße und den betretenen Wegen der philosophischen Untersuchung ab, bahnt sich mit großer Mühe neue Pfade und führt in einen ganz umfassenden Kreis neuer Gedanken ein, die mit überraschender Folgerichtigkeit unter einander verbunden sind. Er setzt dazu ein sehr lebendiges und wahres Interesse für die höchsten Fragen der Menschheit voraus, bietet aber auch vielfach ganz überraschende Gesichtspunkte, indem er mit Scharfblick auf manche psychologische Vorgänge, namentlich Selbsttäuschungen aller Art, aufmerksam macht, einsichtiges Ver¬ ständnis für alles Streben anf theoretischem und praktischem Gebiete bekundet und zur Erläuterung seiner Gedanken manche treffende Aussprüche aus dein reichen Schatze seiner Belesenheit anführt. Was aber dem Werke vor allem Beachtung sichert, ist, daß es so energisch an die letzte große Bewegung der deutscheu Philosophie anknüpft, die pessi¬ mistischen Systeme, und diese, die wahrlich Unheil genug angerichtet haben, eingehend und mit gutem Erfolg widerlegt und durch einen zwar entschiednen aber edeln Eudümonismus zu ersetzen sucht. Das ist eine befreiende That, darin liegt eine vielleicht epochemachende Bedeutung des Werkes. Der Verfasser tritt i» eine mächtige neuere Bewegung ein. Mit Recht beruft er sich auf Ansichten von Männern wie Zeller, der Glückseligkeit, d. h. den Zustand, in dein alle Interessen eines lebenden Wesens befriedigt werden, für den letzten Zweck, das Streben darnach als den Beweggrund aller unsrer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/222>, abgerufen am 30.06.2024.