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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Lrinnorungen an F. Th. vischer

aber doch nur darauf verweisen. Ihre Erinnerungen überschütten uns mit
einer Menge höchst interessanter Einzelheiten; so erfahren wir z. B., wie und
wann Vischer zum erstenmale unter der Maske des biedern Schartenmaher seinen
Sang ertönen ließ, wie sein Verhältnis zu Strauß schließlich war, wie tief
Vischer Mörike liebte, mit welcher Begeisterung er von Italien, zumal von
Venedig sprach, wie er sich über die oberflächliche Kritik der Zeitungen beim
Erscheinen seines "Faust. Dritter Teil" ärgerte, und noch tausend andre Dinge.
Einige Mitteilungen wollen wir schließlich noch hervorheben.

Der demokratische Republikaner vou Anno der Vischer war, hatte
sich doch ganz mit der Entwicklung der deutschen Politik versöhnt, er war sogar
streng reichstreu geworden. "Die "Frankfurter Zeitung" taugt nicht, sagte er
einmal, sie rüttelt am Reich." "Darum waren ihm die alten Römer so ehr¬
würdig und großartig, weil sie den Staat geschaffen hatten, die strenge Staats¬
idee; "Aufgehen des Einzelnen im allgemeinen, das ist ja Religion." Gelegentlich
der Partien im Faust über die "Roten" sagte mir Vischer einmal- "Es ist ein
Unglück für uns, daß wir in Deutschland keine reine, d. h. unbescholtene Oppo¬
sition haben. Aus Richters Munde ist noch nie irgend ein hohes, schwung¬
volles, bedeutendes Wort über den Staat und Staatsbürgerpflicht hervor¬
gegangen." Dann sprach er über die Heiligkeit und Ewigkeit des Staates und
kam so auf die Staatsform: "In, sagte er, Monarchie muß sein, es geht
schwerlich anders, aber weils doch nun ein Muß ist, dünn auch ganz ohne
Sentimentalität für die Person, die an der Spitze steht."" Vischers idealster
Traum war eine politische Vereinigung aller germanischen Völker vom Nordkap
bis zu deu Alpen. Die Russen haßte er so wie ein Grieche die Perser; er
hielt sie noch für schlimmere Barbaren. "In Rußland ist ja der Beamtenstand
verfault, und das ist das ärgste." "Oft war er unzufrieden, daß Fraukreich
nicht vergesse"? wollte; und daß auch wir Deutschen dadurch immer wieder zu
feindseliger Gesinnung gegen unsre westlichen Nachbarn gereizt würden. "Ich
möchte einen Aufsatz schreiben," sagte er nicht lange vor seinem Tode, "Die Ver¬
nunft in der Weltgeschichte," und möchte aus Leibeskräften darauf hinweisen,
daß Frankreich und Deutschland als die zwei bedeutendsten Kulturnationen
Europas sich vielmehr verbinden sollten, statt sich zu bekriegen, und zwar ver¬
binden gegen Rußland, gegen die Barbaren!""

Natürlich weiß die Erzählerin viele höchst interessante Urteile Vischers
über einzelne moderne Dichter, über Keller, C. F. Meyer, Hebbel (Tagebücher),
Mörike, Paul Heyse u. a. in. zu verzeichnen. Als "Auch Einer" erschien,
bezeichnete die unglückliche Rezensentin der Nativnalzeitung, Bertha Glogau,
den Roman abgeschmackterweise als ein Pasquill auf Gottfried Keller. Sie
konnte dein größten Verehrer des Züricher Meisters keinen größern Schmerz
bereiten als dnrch diesen läppischen Vorwurf. Vischers Urteil über einen unsrer
begabtesten jüngern Dichter, über Haus Hoffmann, ist besonders wertvoll:


Lrinnorungen an F. Th. vischer

aber doch nur darauf verweisen. Ihre Erinnerungen überschütten uns mit
einer Menge höchst interessanter Einzelheiten; so erfahren wir z. B., wie und
wann Vischer zum erstenmale unter der Maske des biedern Schartenmaher seinen
Sang ertönen ließ, wie sein Verhältnis zu Strauß schließlich war, wie tief
Vischer Mörike liebte, mit welcher Begeisterung er von Italien, zumal von
Venedig sprach, wie er sich über die oberflächliche Kritik der Zeitungen beim
Erscheinen seines „Faust. Dritter Teil" ärgerte, und noch tausend andre Dinge.
Einige Mitteilungen wollen wir schließlich noch hervorheben.

Der demokratische Republikaner vou Anno der Vischer war, hatte
sich doch ganz mit der Entwicklung der deutschen Politik versöhnt, er war sogar
streng reichstreu geworden. „Die »Frankfurter Zeitung« taugt nicht, sagte er
einmal, sie rüttelt am Reich." „Darum waren ihm die alten Römer so ehr¬
würdig und großartig, weil sie den Staat geschaffen hatten, die strenge Staats¬
idee; »Aufgehen des Einzelnen im allgemeinen, das ist ja Religion.« Gelegentlich
der Partien im Faust über die »Roten« sagte mir Vischer einmal- »Es ist ein
Unglück für uns, daß wir in Deutschland keine reine, d. h. unbescholtene Oppo¬
sition haben. Aus Richters Munde ist noch nie irgend ein hohes, schwung¬
volles, bedeutendes Wort über den Staat und Staatsbürgerpflicht hervor¬
gegangen.« Dann sprach er über die Heiligkeit und Ewigkeit des Staates und
kam so auf die Staatsform: »In, sagte er, Monarchie muß sein, es geht
schwerlich anders, aber weils doch nun ein Muß ist, dünn auch ganz ohne
Sentimentalität für die Person, die an der Spitze steht.«" Vischers idealster
Traum war eine politische Vereinigung aller germanischen Völker vom Nordkap
bis zu deu Alpen. Die Russen haßte er so wie ein Grieche die Perser; er
hielt sie noch für schlimmere Barbaren. „In Rußland ist ja der Beamtenstand
verfault, und das ist das ärgste." „Oft war er unzufrieden, daß Fraukreich
nicht vergesse»? wollte; und daß auch wir Deutschen dadurch immer wieder zu
feindseliger Gesinnung gegen unsre westlichen Nachbarn gereizt würden. »Ich
möchte einen Aufsatz schreiben,« sagte er nicht lange vor seinem Tode, »Die Ver¬
nunft in der Weltgeschichte,« und möchte aus Leibeskräften darauf hinweisen,
daß Frankreich und Deutschland als die zwei bedeutendsten Kulturnationen
Europas sich vielmehr verbinden sollten, statt sich zu bekriegen, und zwar ver¬
binden gegen Rußland, gegen die Barbaren!«"

Natürlich weiß die Erzählerin viele höchst interessante Urteile Vischers
über einzelne moderne Dichter, über Keller, C. F. Meyer, Hebbel (Tagebücher),
Mörike, Paul Heyse u. a. in. zu verzeichnen. Als „Auch Einer" erschien,
bezeichnete die unglückliche Rezensentin der Nativnalzeitung, Bertha Glogau,
den Roman abgeschmackterweise als ein Pasquill auf Gottfried Keller. Sie
konnte dein größten Verehrer des Züricher Meisters keinen größern Schmerz
bereiten als dnrch diesen läppischen Vorwurf. Vischers Urteil über einen unsrer
begabtesten jüngern Dichter, über Haus Hoffmann, ist besonders wertvoll:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/198>, abgerufen am 30.06.2024.