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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die französische Emigration und die öffentliche INeinung in Deutschland

Wiederum trat hierbei, wie bei so vielen Gelegenheiten, die absonderliche
Beschaffenheit des heiligen römischen Reiches deutscher Nation in eine recht
trübselige Beleuchtung. So lange man mit Frankreich und der dortigen im
Namen des Königs ausgeübten Regierung nicht im Kriege war, lief es gegen
die einfachsten völkerrechtlichen Normen, Tausenden von erbittertsten Feinden
der ganzen in Frankreich eingetretenen Entwicklung dicht an den Grenzen von
Frankreich uicht bloß ungestörten Aufenthalt, sondern auch reichliche Freiheit
zu gewähren, eine gewassnete Heimkehr und eine Wiederunterwerfung ihres
Vaterlandes unter die abgeschüttelten Zustände und Einrichtungen vorzubereiten.
Ein Recht Frankreichs, eine derartige Zulassung als eine Feindseligkeit gegell
sich zu betrachten und je nach Umständen mit Feindseligkeiten zu beantworten,
konnte man nicht in Zweifel stellen. Solche deutsche Regierungen, denen nach
ihrer Bedeutung und Stellung ein wirkliches Gefühl eigner politischer Zurech¬
nungsfähigkeit und Verantwortlichkeit beiwohnte, hielten sich denn auch bei der
Aufnahme der in ihren Landen Eingang suchenden Fremdlinge in gewissen
Schranken. Für Kaiser Leopold II. war es schon nach seinem verständigen
und Überlegsamen Wesen gegeben, daß er das Mißbehagen seiner Schwester,
der französischen Königin, ein dem maß- und besinnungsloser Treiben des
Grafen von Artois und ähnlich gefilmter teilte. Auch nach der schwierigen
Beschaffenheit seiner eignen politischen Verhältnisse konnte sich der Kaiser un¬
möglich getrieben fühlen, französischen Prinzen und Edelleuten zuliebe sich
dem französischen Staate gegenüber in ein offenbares Unrecht zu setzen. Was
ferner das damalige Preußen betrifft, so kam, bei der weiten Entfernung seiner
Hnuptprovinzen von Frankreich, nur Cleve und die Grafschaft Mark einiger¬
maßen in Betracht. Mochte nun König Friedrich Wilhelm II. nach seinen
persönlichen Empfindungen den Emigranten näher stehen als Kaiser Leopold II.,
so wurde ihnen doch in jenen Landschaften nichts eingeräumt, was eine grobe
Ungehörigkeit gegen Frankreich in sich geschlossen Hütte.

Anders am mittlern und obern Rhein, in der Welt der schwachen Re¬
gierungen, der kleinen oder schlecht abgerundeten Gebiete. Ganz besonders
geistliche Herren waren es, an denen die Emigration ihre Gönner fand und
mit denen sie ihr Spiel trieb. Politische Eitelkeit, verwandtschaftliche Schwäche
gegen einzelne Mitglieder der Emigration, leidenschaftliche Erbitterung gegen
das revolutionäre Frankreich, das bei seiner angestrebten Neugestaltung mit
kirchlichen und weltlichen Berechtigungen der Nachbarn ziemlich rücksichtslos
umgesprungen war, spielten hier ihre Rolle. Zugleich war aber unter den
Bevölkerungen eben in diesen Gegenden bei der geringen Widerstandsfähigkeit,
in der man sich selbst fühlte, die Furcht vor dem Unwillen des revolutionären
Frankreichs groß und lebendig. Der Kurfürst von Mainz -- derselbe, der
einst als Mitglied des deutschen Fürstenbundes und um mancher sonstigen
Regieruugshaudluug willen auch bei den norddeutschen Aufgeklärten Beifall


Die französische Emigration und die öffentliche INeinung in Deutschland

Wiederum trat hierbei, wie bei so vielen Gelegenheiten, die absonderliche
Beschaffenheit des heiligen römischen Reiches deutscher Nation in eine recht
trübselige Beleuchtung. So lange man mit Frankreich und der dortigen im
Namen des Königs ausgeübten Regierung nicht im Kriege war, lief es gegen
die einfachsten völkerrechtlichen Normen, Tausenden von erbittertsten Feinden
der ganzen in Frankreich eingetretenen Entwicklung dicht an den Grenzen von
Frankreich uicht bloß ungestörten Aufenthalt, sondern auch reichliche Freiheit
zu gewähren, eine gewassnete Heimkehr und eine Wiederunterwerfung ihres
Vaterlandes unter die abgeschüttelten Zustände und Einrichtungen vorzubereiten.
Ein Recht Frankreichs, eine derartige Zulassung als eine Feindseligkeit gegell
sich zu betrachten und je nach Umständen mit Feindseligkeiten zu beantworten,
konnte man nicht in Zweifel stellen. Solche deutsche Regierungen, denen nach
ihrer Bedeutung und Stellung ein wirkliches Gefühl eigner politischer Zurech¬
nungsfähigkeit und Verantwortlichkeit beiwohnte, hielten sich denn auch bei der
Aufnahme der in ihren Landen Eingang suchenden Fremdlinge in gewissen
Schranken. Für Kaiser Leopold II. war es schon nach seinem verständigen
und Überlegsamen Wesen gegeben, daß er das Mißbehagen seiner Schwester,
der französischen Königin, ein dem maß- und besinnungsloser Treiben des
Grafen von Artois und ähnlich gefilmter teilte. Auch nach der schwierigen
Beschaffenheit seiner eignen politischen Verhältnisse konnte sich der Kaiser un¬
möglich getrieben fühlen, französischen Prinzen und Edelleuten zuliebe sich
dem französischen Staate gegenüber in ein offenbares Unrecht zu setzen. Was
ferner das damalige Preußen betrifft, so kam, bei der weiten Entfernung seiner
Hnuptprovinzen von Frankreich, nur Cleve und die Grafschaft Mark einiger¬
maßen in Betracht. Mochte nun König Friedrich Wilhelm II. nach seinen
persönlichen Empfindungen den Emigranten näher stehen als Kaiser Leopold II.,
so wurde ihnen doch in jenen Landschaften nichts eingeräumt, was eine grobe
Ungehörigkeit gegen Frankreich in sich geschlossen Hütte.

Anders am mittlern und obern Rhein, in der Welt der schwachen Re¬
gierungen, der kleinen oder schlecht abgerundeten Gebiete. Ganz besonders
geistliche Herren waren es, an denen die Emigration ihre Gönner fand und
mit denen sie ihr Spiel trieb. Politische Eitelkeit, verwandtschaftliche Schwäche
gegen einzelne Mitglieder der Emigration, leidenschaftliche Erbitterung gegen
das revolutionäre Frankreich, das bei seiner angestrebten Neugestaltung mit
kirchlichen und weltlichen Berechtigungen der Nachbarn ziemlich rücksichtslos
umgesprungen war, spielten hier ihre Rolle. Zugleich war aber unter den
Bevölkerungen eben in diesen Gegenden bei der geringen Widerstandsfähigkeit,
in der man sich selbst fühlte, die Furcht vor dem Unwillen des revolutionären
Frankreichs groß und lebendig. Der Kurfürst von Mainz — derselbe, der
einst als Mitglied des deutschen Fürstenbundes und um mancher sonstigen
Regieruugshaudluug willen auch bei den norddeutschen Aufgeklärten Beifall


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[0176] Die französische Emigration und die öffentliche INeinung in Deutschland Wiederum trat hierbei, wie bei so vielen Gelegenheiten, die absonderliche Beschaffenheit des heiligen römischen Reiches deutscher Nation in eine recht trübselige Beleuchtung. So lange man mit Frankreich und der dortigen im Namen des Königs ausgeübten Regierung nicht im Kriege war, lief es gegen die einfachsten völkerrechtlichen Normen, Tausenden von erbittertsten Feinden der ganzen in Frankreich eingetretenen Entwicklung dicht an den Grenzen von Frankreich uicht bloß ungestörten Aufenthalt, sondern auch reichliche Freiheit zu gewähren, eine gewassnete Heimkehr und eine Wiederunterwerfung ihres Vaterlandes unter die abgeschüttelten Zustände und Einrichtungen vorzubereiten. Ein Recht Frankreichs, eine derartige Zulassung als eine Feindseligkeit gegell sich zu betrachten und je nach Umständen mit Feindseligkeiten zu beantworten, konnte man nicht in Zweifel stellen. Solche deutsche Regierungen, denen nach ihrer Bedeutung und Stellung ein wirkliches Gefühl eigner politischer Zurech¬ nungsfähigkeit und Verantwortlichkeit beiwohnte, hielten sich denn auch bei der Aufnahme der in ihren Landen Eingang suchenden Fremdlinge in gewissen Schranken. Für Kaiser Leopold II. war es schon nach seinem verständigen und Überlegsamen Wesen gegeben, daß er das Mißbehagen seiner Schwester, der französischen Königin, ein dem maß- und besinnungsloser Treiben des Grafen von Artois und ähnlich gefilmter teilte. Auch nach der schwierigen Beschaffenheit seiner eignen politischen Verhältnisse konnte sich der Kaiser un¬ möglich getrieben fühlen, französischen Prinzen und Edelleuten zuliebe sich dem französischen Staate gegenüber in ein offenbares Unrecht zu setzen. Was ferner das damalige Preußen betrifft, so kam, bei der weiten Entfernung seiner Hnuptprovinzen von Frankreich, nur Cleve und die Grafschaft Mark einiger¬ maßen in Betracht. Mochte nun König Friedrich Wilhelm II. nach seinen persönlichen Empfindungen den Emigranten näher stehen als Kaiser Leopold II., so wurde ihnen doch in jenen Landschaften nichts eingeräumt, was eine grobe Ungehörigkeit gegen Frankreich in sich geschlossen Hütte. Anders am mittlern und obern Rhein, in der Welt der schwachen Re¬ gierungen, der kleinen oder schlecht abgerundeten Gebiete. Ganz besonders geistliche Herren waren es, an denen die Emigration ihre Gönner fand und mit denen sie ihr Spiel trieb. Politische Eitelkeit, verwandtschaftliche Schwäche gegen einzelne Mitglieder der Emigration, leidenschaftliche Erbitterung gegen das revolutionäre Frankreich, das bei seiner angestrebten Neugestaltung mit kirchlichen und weltlichen Berechtigungen der Nachbarn ziemlich rücksichtslos umgesprungen war, spielten hier ihre Rolle. Zugleich war aber unter den Bevölkerungen eben in diesen Gegenden bei der geringen Widerstandsfähigkeit, in der man sich selbst fühlte, die Furcht vor dem Unwillen des revolutionären Frankreichs groß und lebendig. Der Kurfürst von Mainz — derselbe, der einst als Mitglied des deutschen Fürstenbundes und um mancher sonstigen Regieruugshaudluug willen auch bei den norddeutschen Aufgeklärten Beifall

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/176>, abgerufen am 28.06.2024.