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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die strafrechtliche Haftung des verantwortlichen Redakteurs

Regieren nicht nur zu einer persönlich unangenehmen und undankbaren, sondern
unter Umstanden zu einer kaum lösbaren Aufgabe machen kann." Treffender
können die Gefahren einer ungezügelten Presse nicht geschildert werden, und es
erhellt daraus, daß, wie man bezüglich andrer Gewerbe, deren Betrieb eine
Gefahr für das Gemeinwohl mit sich bringen kann, wie bezüglich der Gast¬
wirtschaft, des Verkehrs mit Sprengstoffen u. dergl., besondre Bestimmungen
getroffen hat, die sich auch nicht immer mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen
vereinbaren lassen, von deren Notwendigkeit aber doch jedermann überzeugt ist,
so auch bezüglich des Preßgewerbes besondre Bestimmungen erforderlich sind,
die auch nicht immer aus den allgemeinen Grundsätze!? des Strafrechts abzu¬
leiten sind; es ist dies doppelt nötig, seitdem die Reichsgewerbeordnuug aus
Angst vor eitler Parteiregierung, die ja bei uns wegen Nichtdurchführung
des parlamentarischen Systems nicht zu befürchten ist, das Preßgewerbe
unter ihren ganz besondern Schutz genommen hat. Namentlich aber sind
solche Bestimmungen bezüglich der Herausgabe periodischer Schriften nötig.
Gedanken zu haben, kann man niemand verwehren, erst durch ihre Verbreitung
vermögen sie gefährlich zu werden; es ist deshalb natürlich, daß man deu,
der die Verbreitung der Gedanken bewirkt, den Redakteur, einer be¬
sondern Verantwortlichkeit in dieser Richtung unterwirft, sei es als
Thäter, wenn nicht ohne seinen Willen durch sein Blatt gesündigt wird,
sei es wegen Fahrlässigkeit, wenn solches zwar ohne seinen Willen, aber
infolge der Vernachlässsgtmg der ihm obliegenden Aufmerksamkeit geschieht.
Man braucht dabei nicht mit Loening an einen Nachklang mittelalterlicher
Haftpflicht für dritte Personen zu denken, die unserm heutigen Strafrecht nicht
mehr entsprechen würde, sondern es bringen dies eben die besondern Verhält¬
nisse der Presse mit sich. Wohin soll es führen, wenn der Redakteur straffrei
alles veröffentlichen kann, während man den namenlosem Verfasser nicht zu
ermitteln imstande ist, oder wenn er für solche Veröffentlichungen, deren
Schaden nicht wieder gut zu machen ist, höchstens mit einer leichten Fahr¬
lässigkeitsstrafe wegkommen kann? Es ist nicht selten, daß Redakteure die
Verantwortung für einen Artikel ihres Blattes abzuwälzen suchen, indem sie
vorgeben, daß sie ihn nicht gelesen hätten u. s. w., ja es ist auch nicht selten,
daß sie einen voraussichtlich bedenklichen Artikel absichtlich nicht lesen, um ohne
Verantwortung zu sein. Nicht jeder Redakteur übernimmt ohne weiteres
die volle Verantwortung für den ganzen Inhalt des Blattes und prüft
alle ihm zugesandten Artikel gründlich !auf die Frage der Aufnahme¬
fähigkeit. Es muß ihnen deshalb durch eine strenge Gesetzgebung die Neigung
zur Aufmerksamkeit gestärkt werden. Mit Recht sagte der königlich sächsische
Generalstaatsanwalt Schwarze, den wir als einen der Haupturheber unsers
Preßgesetzes ansehen dürfen, im Reichstage: "Wenn wir diese Verantwortlich¬
keit nicht anerkennen "vollen, so frage ich schließlich: was hat die ganze Ver-


Die strafrechtliche Haftung des verantwortlichen Redakteurs

Regieren nicht nur zu einer persönlich unangenehmen und undankbaren, sondern
unter Umstanden zu einer kaum lösbaren Aufgabe machen kann." Treffender
können die Gefahren einer ungezügelten Presse nicht geschildert werden, und es
erhellt daraus, daß, wie man bezüglich andrer Gewerbe, deren Betrieb eine
Gefahr für das Gemeinwohl mit sich bringen kann, wie bezüglich der Gast¬
wirtschaft, des Verkehrs mit Sprengstoffen u. dergl., besondre Bestimmungen
getroffen hat, die sich auch nicht immer mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen
vereinbaren lassen, von deren Notwendigkeit aber doch jedermann überzeugt ist,
so auch bezüglich des Preßgewerbes besondre Bestimmungen erforderlich sind,
die auch nicht immer aus den allgemeinen Grundsätze!? des Strafrechts abzu¬
leiten sind; es ist dies doppelt nötig, seitdem die Reichsgewerbeordnuug aus
Angst vor eitler Parteiregierung, die ja bei uns wegen Nichtdurchführung
des parlamentarischen Systems nicht zu befürchten ist, das Preßgewerbe
unter ihren ganz besondern Schutz genommen hat. Namentlich aber sind
solche Bestimmungen bezüglich der Herausgabe periodischer Schriften nötig.
Gedanken zu haben, kann man niemand verwehren, erst durch ihre Verbreitung
vermögen sie gefährlich zu werden; es ist deshalb natürlich, daß man deu,
der die Verbreitung der Gedanken bewirkt, den Redakteur, einer be¬
sondern Verantwortlichkeit in dieser Richtung unterwirft, sei es als
Thäter, wenn nicht ohne seinen Willen durch sein Blatt gesündigt wird,
sei es wegen Fahrlässigkeit, wenn solches zwar ohne seinen Willen, aber
infolge der Vernachlässsgtmg der ihm obliegenden Aufmerksamkeit geschieht.
Man braucht dabei nicht mit Loening an einen Nachklang mittelalterlicher
Haftpflicht für dritte Personen zu denken, die unserm heutigen Strafrecht nicht
mehr entsprechen würde, sondern es bringen dies eben die besondern Verhält¬
nisse der Presse mit sich. Wohin soll es führen, wenn der Redakteur straffrei
alles veröffentlichen kann, während man den namenlosem Verfasser nicht zu
ermitteln imstande ist, oder wenn er für solche Veröffentlichungen, deren
Schaden nicht wieder gut zu machen ist, höchstens mit einer leichten Fahr¬
lässigkeitsstrafe wegkommen kann? Es ist nicht selten, daß Redakteure die
Verantwortung für einen Artikel ihres Blattes abzuwälzen suchen, indem sie
vorgeben, daß sie ihn nicht gelesen hätten u. s. w., ja es ist auch nicht selten,
daß sie einen voraussichtlich bedenklichen Artikel absichtlich nicht lesen, um ohne
Verantwortung zu sein. Nicht jeder Redakteur übernimmt ohne weiteres
die volle Verantwortung für den ganzen Inhalt des Blattes und prüft
alle ihm zugesandten Artikel gründlich !auf die Frage der Aufnahme¬
fähigkeit. Es muß ihnen deshalb durch eine strenge Gesetzgebung die Neigung
zur Aufmerksamkeit gestärkt werden. Mit Recht sagte der königlich sächsische
Generalstaatsanwalt Schwarze, den wir als einen der Haupturheber unsers
Preßgesetzes ansehen dürfen, im Reichstage: „Wenn wir diese Verantwortlich¬
keit nicht anerkennen »vollen, so frage ich schließlich: was hat die ganze Ver-


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[0173] Die strafrechtliche Haftung des verantwortlichen Redakteurs Regieren nicht nur zu einer persönlich unangenehmen und undankbaren, sondern unter Umstanden zu einer kaum lösbaren Aufgabe machen kann." Treffender können die Gefahren einer ungezügelten Presse nicht geschildert werden, und es erhellt daraus, daß, wie man bezüglich andrer Gewerbe, deren Betrieb eine Gefahr für das Gemeinwohl mit sich bringen kann, wie bezüglich der Gast¬ wirtschaft, des Verkehrs mit Sprengstoffen u. dergl., besondre Bestimmungen getroffen hat, die sich auch nicht immer mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen vereinbaren lassen, von deren Notwendigkeit aber doch jedermann überzeugt ist, so auch bezüglich des Preßgewerbes besondre Bestimmungen erforderlich sind, die auch nicht immer aus den allgemeinen Grundsätze!? des Strafrechts abzu¬ leiten sind; es ist dies doppelt nötig, seitdem die Reichsgewerbeordnuug aus Angst vor eitler Parteiregierung, die ja bei uns wegen Nichtdurchführung des parlamentarischen Systems nicht zu befürchten ist, das Preßgewerbe unter ihren ganz besondern Schutz genommen hat. Namentlich aber sind solche Bestimmungen bezüglich der Herausgabe periodischer Schriften nötig. Gedanken zu haben, kann man niemand verwehren, erst durch ihre Verbreitung vermögen sie gefährlich zu werden; es ist deshalb natürlich, daß man deu, der die Verbreitung der Gedanken bewirkt, den Redakteur, einer be¬ sondern Verantwortlichkeit in dieser Richtung unterwirft, sei es als Thäter, wenn nicht ohne seinen Willen durch sein Blatt gesündigt wird, sei es wegen Fahrlässigkeit, wenn solches zwar ohne seinen Willen, aber infolge der Vernachlässsgtmg der ihm obliegenden Aufmerksamkeit geschieht. Man braucht dabei nicht mit Loening an einen Nachklang mittelalterlicher Haftpflicht für dritte Personen zu denken, die unserm heutigen Strafrecht nicht mehr entsprechen würde, sondern es bringen dies eben die besondern Verhält¬ nisse der Presse mit sich. Wohin soll es führen, wenn der Redakteur straffrei alles veröffentlichen kann, während man den namenlosem Verfasser nicht zu ermitteln imstande ist, oder wenn er für solche Veröffentlichungen, deren Schaden nicht wieder gut zu machen ist, höchstens mit einer leichten Fahr¬ lässigkeitsstrafe wegkommen kann? Es ist nicht selten, daß Redakteure die Verantwortung für einen Artikel ihres Blattes abzuwälzen suchen, indem sie vorgeben, daß sie ihn nicht gelesen hätten u. s. w., ja es ist auch nicht selten, daß sie einen voraussichtlich bedenklichen Artikel absichtlich nicht lesen, um ohne Verantwortung zu sein. Nicht jeder Redakteur übernimmt ohne weiteres die volle Verantwortung für den ganzen Inhalt des Blattes und prüft alle ihm zugesandten Artikel gründlich !auf die Frage der Aufnahme¬ fähigkeit. Es muß ihnen deshalb durch eine strenge Gesetzgebung die Neigung zur Aufmerksamkeit gestärkt werden. Mit Recht sagte der königlich sächsische Generalstaatsanwalt Schwarze, den wir als einen der Haupturheber unsers Preßgesetzes ansehen dürfen, im Reichstage: „Wenn wir diese Verantwortlich¬ keit nicht anerkennen »vollen, so frage ich schließlich: was hat die ganze Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/173>, abgerufen am 30.06.2024.