Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

getragen, feil gehabt oder sonst ausgegeben, vermöge der Recht und je nach
Gelegenheit und Gestalt der Sachen daran gestraft werden," Dies Perfahren
war ursprünglich ein Zengnisverfahren, worin als Zwangsmittel die Folter
mitwirkte. Die spätern Partikulargesetze dehnten dann die ZeugniSPslicht des
Druckers und des Verlegers dahin aus, daß sie den Verfasser oder ihren nächsten
Vormann nennen sollten, und da man die Tortur nicht mehr anwenden konnte,
die andern gegen widerspenstige Zeugen zugelassenen Zwangsmittel nicht mehr
genügten, so setzte man an deren Stelle die Strafe des verübten Vergehens,
von der sich die genannten Personen durch Angabe eines den inländischen Ge¬
richten erreichbaren Vormannes befreien konnten, und sicherte auf diese Weise
den Anspruch des Staates auf Bestrafung des Schuldigen, Diese Einrichtung
wurde in Frankreich für Schriften provvkatorischcu und unzüchtigen Inhalts
dnrch die Gesetze der Revolution derart angenommen, daß der seinen Normann
nennende Nachmann zwar nicht von aller Strafe frei sein, Wohl aber nnr zu
einer herabgesetzten Strafe verurteilt werden sollte, und wurde später auf alle
Schriften ungenannter Verfasser ausgedehnt. Auch in Belgien hatte unter der
holländischen Herrschaft ein der gleichzeitigen dentschen Partiknlargesetzgebnug
entsprechendes Recht gegolten, aber die maßlose Knebelnng der belgischen Presse
dnrch die Holländer und die Heranziehung jeder irgendwie an einem Preß-
vergehen beteiligt anzusehenden Person zur Bestrafung brachten nach der Revo¬
lution von 18W den Gegenstoß hervor. Es bestimmte daher die belgische
Verfassung von IttZI, daß überhaupt für ein Preßvergehen nur eine einzige
Person haften solle, jeder Nachmaun daher sich dnrch Nennung seines Vor¬
mannes von aller Strafbarkeit befreien könne, wenn er selbst auch noch so
schuldig sei. Dies ist die von vielen als ein Muster von Weisheit gepriesene,
ober nur aus Belgiens geschichtlicher Entwicklung für Belgien selbst zu recht-
fertigende Einrichtung der subjektiven und ausschließliche" preßrechtliche" Haft¬
pflicht, das sogenannte belgische System, das zwar auch in verschiednen deutscheu
Gesetzgebungen, z. B. der badischen, der koburgischen, der weimarischen, aufge¬
nommen wurde, sich aber schließlich zu einem "System bloßer Fahrlässigkeits¬
strafen" abschwächte.

Im preußischen Recht hatte sich eine dritte Einrichtung ausgebildet; man
unterschied, ob der Redakteur nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen als Thäter
oder z. V. wegen dolvser Wiedergabe eines verbrecherischen Artikels als
Gehilfe haftbar sei, oder ob ihn nnr eine Fahrlässigkeit in der Ausübung
seines Redaktionsgeschäfts durch pflichtwidrige Nichtverhütuug der begangenen
Gesetzesübertretung zur Last falle. Dabei hatte die Praxis öfter die Haft¬
barkeit des Redakteurs verneint, wenn im einzelnen Falle der Mangel
jeglicher Schuld festgestellt wurde, indem der Redakteur z. B. von dem nur
einem Eingeweihten erkennbaren strafbaren Inhalt eines Artikels beim besten
Willen keine Kenntnis haben konnte, wenn der Setzer hinter seinem Rücken


getragen, feil gehabt oder sonst ausgegeben, vermöge der Recht und je nach
Gelegenheit und Gestalt der Sachen daran gestraft werden," Dies Perfahren
war ursprünglich ein Zengnisverfahren, worin als Zwangsmittel die Folter
mitwirkte. Die spätern Partikulargesetze dehnten dann die ZeugniSPslicht des
Druckers und des Verlegers dahin aus, daß sie den Verfasser oder ihren nächsten
Vormann nennen sollten, und da man die Tortur nicht mehr anwenden konnte,
die andern gegen widerspenstige Zeugen zugelassenen Zwangsmittel nicht mehr
genügten, so setzte man an deren Stelle die Strafe des verübten Vergehens,
von der sich die genannten Personen durch Angabe eines den inländischen Ge¬
richten erreichbaren Vormannes befreien konnten, und sicherte auf diese Weise
den Anspruch des Staates auf Bestrafung des Schuldigen, Diese Einrichtung
wurde in Frankreich für Schriften provvkatorischcu und unzüchtigen Inhalts
dnrch die Gesetze der Revolution derart angenommen, daß der seinen Normann
nennende Nachmann zwar nicht von aller Strafe frei sein, Wohl aber nnr zu
einer herabgesetzten Strafe verurteilt werden sollte, und wurde später auf alle
Schriften ungenannter Verfasser ausgedehnt. Auch in Belgien hatte unter der
holländischen Herrschaft ein der gleichzeitigen dentschen Partiknlargesetzgebnug
entsprechendes Recht gegolten, aber die maßlose Knebelnng der belgischen Presse
dnrch die Holländer und die Heranziehung jeder irgendwie an einem Preß-
vergehen beteiligt anzusehenden Person zur Bestrafung brachten nach der Revo¬
lution von 18W den Gegenstoß hervor. Es bestimmte daher die belgische
Verfassung von IttZI, daß überhaupt für ein Preßvergehen nur eine einzige
Person haften solle, jeder Nachmaun daher sich dnrch Nennung seines Vor¬
mannes von aller Strafbarkeit befreien könne, wenn er selbst auch noch so
schuldig sei. Dies ist die von vielen als ein Muster von Weisheit gepriesene,
ober nur aus Belgiens geschichtlicher Entwicklung für Belgien selbst zu recht-
fertigende Einrichtung der subjektiven und ausschließliche» preßrechtliche» Haft¬
pflicht, das sogenannte belgische System, das zwar auch in verschiednen deutscheu
Gesetzgebungen, z. B. der badischen, der koburgischen, der weimarischen, aufge¬
nommen wurde, sich aber schließlich zu einem „System bloßer Fahrlässigkeits¬
strafen" abschwächte.

Im preußischen Recht hatte sich eine dritte Einrichtung ausgebildet; man
unterschied, ob der Redakteur nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen als Thäter
oder z. V. wegen dolvser Wiedergabe eines verbrecherischen Artikels als
Gehilfe haftbar sei, oder ob ihn nnr eine Fahrlässigkeit in der Ausübung
seines Redaktionsgeschäfts durch pflichtwidrige Nichtverhütuug der begangenen
Gesetzesübertretung zur Last falle. Dabei hatte die Praxis öfter die Haft¬
barkeit des Redakteurs verneint, wenn im einzelnen Falle der Mangel
jeglicher Schuld festgestellt wurde, indem der Redakteur z. B. von dem nur
einem Eingeweihten erkennbaren strafbaren Inhalt eines Artikels beim besten
Willen keine Kenntnis haben konnte, wenn der Setzer hinter seinem Rücken


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0168" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206167"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_625" prev="#ID_624"> getragen, feil gehabt oder sonst ausgegeben, vermöge der Recht und je nach<lb/>
Gelegenheit und Gestalt der Sachen daran gestraft werden," Dies Perfahren<lb/>
war ursprünglich ein Zengnisverfahren, worin als Zwangsmittel die Folter<lb/>
mitwirkte. Die spätern Partikulargesetze dehnten dann die ZeugniSPslicht des<lb/>
Druckers und des Verlegers dahin aus, daß sie den Verfasser oder ihren nächsten<lb/>
Vormann nennen sollten, und da man die Tortur nicht mehr anwenden konnte,<lb/>
die andern gegen widerspenstige Zeugen zugelassenen Zwangsmittel nicht mehr<lb/>
genügten, so setzte man an deren Stelle die Strafe des verübten Vergehens,<lb/>
von der sich die genannten Personen durch Angabe eines den inländischen Ge¬<lb/>
richten erreichbaren Vormannes befreien konnten, und sicherte auf diese Weise<lb/>
den Anspruch des Staates auf Bestrafung des Schuldigen, Diese Einrichtung<lb/>
wurde in Frankreich für Schriften provvkatorischcu und unzüchtigen Inhalts<lb/>
dnrch die Gesetze der Revolution derart angenommen, daß der seinen Normann<lb/>
nennende Nachmann zwar nicht von aller Strafe frei sein, Wohl aber nnr zu<lb/>
einer herabgesetzten Strafe verurteilt werden sollte, und wurde später auf alle<lb/>
Schriften ungenannter Verfasser ausgedehnt. Auch in Belgien hatte unter der<lb/>
holländischen Herrschaft ein der gleichzeitigen dentschen Partiknlargesetzgebnug<lb/>
entsprechendes Recht gegolten, aber die maßlose Knebelnng der belgischen Presse<lb/>
dnrch die Holländer und die Heranziehung jeder irgendwie an einem Preß-<lb/>
vergehen beteiligt anzusehenden Person zur Bestrafung brachten nach der Revo¬<lb/>
lution von 18W den Gegenstoß hervor. Es bestimmte daher die belgische<lb/>
Verfassung von IttZI, daß überhaupt für ein Preßvergehen nur eine einzige<lb/>
Person haften solle, jeder Nachmaun daher sich dnrch Nennung seines Vor¬<lb/>
mannes von aller Strafbarkeit befreien könne, wenn er selbst auch noch so<lb/>
schuldig sei. Dies ist die von vielen als ein Muster von Weisheit gepriesene,<lb/>
ober nur aus Belgiens geschichtlicher Entwicklung für Belgien selbst zu recht-<lb/>
fertigende Einrichtung der subjektiven und ausschließliche» preßrechtliche» Haft¬<lb/>
pflicht, das sogenannte belgische System, das zwar auch in verschiednen deutscheu<lb/>
Gesetzgebungen, z. B. der badischen, der koburgischen, der weimarischen, aufge¬<lb/>
nommen wurde, sich aber schließlich zu einem &#x201E;System bloßer Fahrlässigkeits¬<lb/>
strafen" abschwächte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_626" next="#ID_627"> Im preußischen Recht hatte sich eine dritte Einrichtung ausgebildet; man<lb/>
unterschied, ob der Redakteur nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen als Thäter<lb/>
oder z. V. wegen dolvser Wiedergabe eines verbrecherischen Artikels als<lb/>
Gehilfe haftbar sei, oder ob ihn nnr eine Fahrlässigkeit in der Ausübung<lb/>
seines Redaktionsgeschäfts durch pflichtwidrige Nichtverhütuug der begangenen<lb/>
Gesetzesübertretung zur Last falle. Dabei hatte die Praxis öfter die Haft¬<lb/>
barkeit des Redakteurs verneint, wenn im einzelnen Falle der Mangel<lb/>
jeglicher Schuld festgestellt wurde, indem der Redakteur z. B. von dem nur<lb/>
einem Eingeweihten erkennbaren strafbaren Inhalt eines Artikels beim besten<lb/>
Willen keine Kenntnis haben konnte, wenn der Setzer hinter seinem Rücken</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0168] getragen, feil gehabt oder sonst ausgegeben, vermöge der Recht und je nach Gelegenheit und Gestalt der Sachen daran gestraft werden," Dies Perfahren war ursprünglich ein Zengnisverfahren, worin als Zwangsmittel die Folter mitwirkte. Die spätern Partikulargesetze dehnten dann die ZeugniSPslicht des Druckers und des Verlegers dahin aus, daß sie den Verfasser oder ihren nächsten Vormann nennen sollten, und da man die Tortur nicht mehr anwenden konnte, die andern gegen widerspenstige Zeugen zugelassenen Zwangsmittel nicht mehr genügten, so setzte man an deren Stelle die Strafe des verübten Vergehens, von der sich die genannten Personen durch Angabe eines den inländischen Ge¬ richten erreichbaren Vormannes befreien konnten, und sicherte auf diese Weise den Anspruch des Staates auf Bestrafung des Schuldigen, Diese Einrichtung wurde in Frankreich für Schriften provvkatorischcu und unzüchtigen Inhalts dnrch die Gesetze der Revolution derart angenommen, daß der seinen Normann nennende Nachmann zwar nicht von aller Strafe frei sein, Wohl aber nnr zu einer herabgesetzten Strafe verurteilt werden sollte, und wurde später auf alle Schriften ungenannter Verfasser ausgedehnt. Auch in Belgien hatte unter der holländischen Herrschaft ein der gleichzeitigen dentschen Partiknlargesetzgebnug entsprechendes Recht gegolten, aber die maßlose Knebelnng der belgischen Presse dnrch die Holländer und die Heranziehung jeder irgendwie an einem Preß- vergehen beteiligt anzusehenden Person zur Bestrafung brachten nach der Revo¬ lution von 18W den Gegenstoß hervor. Es bestimmte daher die belgische Verfassung von IttZI, daß überhaupt für ein Preßvergehen nur eine einzige Person haften solle, jeder Nachmaun daher sich dnrch Nennung seines Vor¬ mannes von aller Strafbarkeit befreien könne, wenn er selbst auch noch so schuldig sei. Dies ist die von vielen als ein Muster von Weisheit gepriesene, ober nur aus Belgiens geschichtlicher Entwicklung für Belgien selbst zu recht- fertigende Einrichtung der subjektiven und ausschließliche» preßrechtliche» Haft¬ pflicht, das sogenannte belgische System, das zwar auch in verschiednen deutscheu Gesetzgebungen, z. B. der badischen, der koburgischen, der weimarischen, aufge¬ nommen wurde, sich aber schließlich zu einem „System bloßer Fahrlässigkeits¬ strafen" abschwächte. Im preußischen Recht hatte sich eine dritte Einrichtung ausgebildet; man unterschied, ob der Redakteur nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen als Thäter oder z. V. wegen dolvser Wiedergabe eines verbrecherischen Artikels als Gehilfe haftbar sei, oder ob ihn nnr eine Fahrlässigkeit in der Ausübung seines Redaktionsgeschäfts durch pflichtwidrige Nichtverhütuug der begangenen Gesetzesübertretung zur Last falle. Dabei hatte die Praxis öfter die Haft¬ barkeit des Redakteurs verneint, wenn im einzelnen Falle der Mangel jeglicher Schuld festgestellt wurde, indem der Redakteur z. B. von dem nur einem Eingeweihten erkennbaren strafbaren Inhalt eines Artikels beim besten Willen keine Kenntnis haben konnte, wenn der Setzer hinter seinem Rücken

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/168
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/168>, abgerufen am 30.06.2024.