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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Grenze gedrängt worden wäre, und die deutschen Offiziere sich herausgenommen
hätten, den Züricher Jnnhagel gegen friedlich bankettircnde Franzosen zu Hetzen?

Alles zu vertreten, was in der Angelegenheit des Herrn Wohlgemuth
deutscherseits geschehen ist, ist umso weniger unsre Sache, als wir noch keines¬
wegs den Zusammenhang klar übersehen können. Und wenn die Schweizer
ohne Unterschied der Parteistellung sich gegen den Gedanken fremder Ein¬
mischung in ihre innern Angelegenheiten empören, so verargen wir ihnen das
so wenig, daß wir vielmehr allen Deutschen ein ebenso empfindliches Nationcil-
gefnhl wünschten. Dn aber Widmaun in aller Unbefangenheit die Meinung
ausspricht, die helvetische Republik müsse, was auch geschehen möge, als das
Kräutlein Rührmichnichtan geachtet werden, so ist auch ihm gegenüber zu
wiederholen, daß dem nicht so ist. Er beschwert sich darüber, daß deutsche
Zeitungen "die auf dem Wiener Frieden von den europäische" Mächten garan-
tirte Neutralität der Schweiz als eventuell hinfällig behandelt" haben. Ja,
wieviel steht denn von dem, was die Mächte in Wien beschlossen, heute noch
aufrecht? Weiß der Verfasser nichts von Belgien, Krakau, der Thronbesteigung
eines Vonaparte, der Einigung Italiens, der Auflösung des Deutschen Bundes?
An eins erinnert er sich ausdrücklich, nämlich daran, daß die Schweiz 1848
und 1856 das unter keinem Gesichtspunkt anfechtbare Recht der Krone Preußen
auf Neuenburg mißachtete und nur der Friedensliebe und Großmut des da¬
maligen Trägers jener Krone ihre Straflosigkeit zu danken hatte. Allerdings
stellt er die Sache so dar, als wären nicht die Schweizer Demokraten, sondern
die Neuenburger Aristokraten die Revolutionäre gewesen. Und dus Asplrecht
wird niemand antasten, so lauge dessen Schutz nicht Mördern und Mord¬
brennern gewährt werden soll. Zum Glück beweist die Bundesgewalt klarere
Einsicht und mehr politischen Verstand als ein Teil der öffentlichen Meinung
und von dieser geleitete Unterbehörden.

Wir würden, falls sich der Wind wieder einmal drehen sollte, daraus
keine Zukunftspläne gründen, und eben deshalb erkennen wir auch nichts "Tra¬
gisches" darin, daß die Schweizer sich durch die Nachbarschaft der drei großen
Monarchien bedrückt fühlen und ihre Verstimmung zunächst an uns auslassen.
Bei denjenigen Schweizern, die "Helvetien die Mutter, Germanien die Gro߬
mutter nennen," kann die Verstimmung, sollten anch sie von ihr ergriffen
worden sein, nicht lange Bestand haben, und das ist die Hauptsache.




Grenze gedrängt worden wäre, und die deutschen Offiziere sich herausgenommen
hätten, den Züricher Jnnhagel gegen friedlich bankettircnde Franzosen zu Hetzen?

Alles zu vertreten, was in der Angelegenheit des Herrn Wohlgemuth
deutscherseits geschehen ist, ist umso weniger unsre Sache, als wir noch keines¬
wegs den Zusammenhang klar übersehen können. Und wenn die Schweizer
ohne Unterschied der Parteistellung sich gegen den Gedanken fremder Ein¬
mischung in ihre innern Angelegenheiten empören, so verargen wir ihnen das
so wenig, daß wir vielmehr allen Deutschen ein ebenso empfindliches Nationcil-
gefnhl wünschten. Dn aber Widmaun in aller Unbefangenheit die Meinung
ausspricht, die helvetische Republik müsse, was auch geschehen möge, als das
Kräutlein Rührmichnichtan geachtet werden, so ist auch ihm gegenüber zu
wiederholen, daß dem nicht so ist. Er beschwert sich darüber, daß deutsche
Zeitungen „die auf dem Wiener Frieden von den europäische» Mächten garan-
tirte Neutralität der Schweiz als eventuell hinfällig behandelt" haben. Ja,
wieviel steht denn von dem, was die Mächte in Wien beschlossen, heute noch
aufrecht? Weiß der Verfasser nichts von Belgien, Krakau, der Thronbesteigung
eines Vonaparte, der Einigung Italiens, der Auflösung des Deutschen Bundes?
An eins erinnert er sich ausdrücklich, nämlich daran, daß die Schweiz 1848
und 1856 das unter keinem Gesichtspunkt anfechtbare Recht der Krone Preußen
auf Neuenburg mißachtete und nur der Friedensliebe und Großmut des da¬
maligen Trägers jener Krone ihre Straflosigkeit zu danken hatte. Allerdings
stellt er die Sache so dar, als wären nicht die Schweizer Demokraten, sondern
die Neuenburger Aristokraten die Revolutionäre gewesen. Und dus Asplrecht
wird niemand antasten, so lauge dessen Schutz nicht Mördern und Mord¬
brennern gewährt werden soll. Zum Glück beweist die Bundesgewalt klarere
Einsicht und mehr politischen Verstand als ein Teil der öffentlichen Meinung
und von dieser geleitete Unterbehörden.

Wir würden, falls sich der Wind wieder einmal drehen sollte, daraus
keine Zukunftspläne gründen, und eben deshalb erkennen wir auch nichts „Tra¬
gisches" darin, daß die Schweizer sich durch die Nachbarschaft der drei großen
Monarchien bedrückt fühlen und ihre Verstimmung zunächst an uns auslassen.
Bei denjenigen Schweizern, die „Helvetien die Mutter, Germanien die Gro߬
mutter nennen," kann die Verstimmung, sollten anch sie von ihr ergriffen
worden sein, nicht lange Bestand haben, und das ist die Hauptsache.




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[0163] Grenze gedrängt worden wäre, und die deutschen Offiziere sich herausgenommen hätten, den Züricher Jnnhagel gegen friedlich bankettircnde Franzosen zu Hetzen? Alles zu vertreten, was in der Angelegenheit des Herrn Wohlgemuth deutscherseits geschehen ist, ist umso weniger unsre Sache, als wir noch keines¬ wegs den Zusammenhang klar übersehen können. Und wenn die Schweizer ohne Unterschied der Parteistellung sich gegen den Gedanken fremder Ein¬ mischung in ihre innern Angelegenheiten empören, so verargen wir ihnen das so wenig, daß wir vielmehr allen Deutschen ein ebenso empfindliches Nationcil- gefnhl wünschten. Dn aber Widmaun in aller Unbefangenheit die Meinung ausspricht, die helvetische Republik müsse, was auch geschehen möge, als das Kräutlein Rührmichnichtan geachtet werden, so ist auch ihm gegenüber zu wiederholen, daß dem nicht so ist. Er beschwert sich darüber, daß deutsche Zeitungen „die auf dem Wiener Frieden von den europäische» Mächten garan- tirte Neutralität der Schweiz als eventuell hinfällig behandelt" haben. Ja, wieviel steht denn von dem, was die Mächte in Wien beschlossen, heute noch aufrecht? Weiß der Verfasser nichts von Belgien, Krakau, der Thronbesteigung eines Vonaparte, der Einigung Italiens, der Auflösung des Deutschen Bundes? An eins erinnert er sich ausdrücklich, nämlich daran, daß die Schweiz 1848 und 1856 das unter keinem Gesichtspunkt anfechtbare Recht der Krone Preußen auf Neuenburg mißachtete und nur der Friedensliebe und Großmut des da¬ maligen Trägers jener Krone ihre Straflosigkeit zu danken hatte. Allerdings stellt er die Sache so dar, als wären nicht die Schweizer Demokraten, sondern die Neuenburger Aristokraten die Revolutionäre gewesen. Und dus Asplrecht wird niemand antasten, so lauge dessen Schutz nicht Mördern und Mord¬ brennern gewährt werden soll. Zum Glück beweist die Bundesgewalt klarere Einsicht und mehr politischen Verstand als ein Teil der öffentlichen Meinung und von dieser geleitete Unterbehörden. Wir würden, falls sich der Wind wieder einmal drehen sollte, daraus keine Zukunftspläne gründen, und eben deshalb erkennen wir auch nichts „Tra¬ gisches" darin, daß die Schweizer sich durch die Nachbarschaft der drei großen Monarchien bedrückt fühlen und ihre Verstimmung zunächst an uns auslassen. Bei denjenigen Schweizern, die „Helvetien die Mutter, Germanien die Gro߬ mutter nennen," kann die Verstimmung, sollten anch sie von ihr ergriffen worden sein, nicht lange Bestand haben, und das ist die Hauptsache.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/163>, abgerufen am 22.07.2024.