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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Grillparzer und die klugen Frauen

Moravicus dienen kann, das ihm bei der so ungewohnt langsam und in Unter¬
brechungen sich vollziehenden Arbeit seinen Ottokar stets wieder von neuem
vergegenwärtigen mußte. Es fehlt aber auch nicht an Zeugnissen und Be¬
kenntnissen, daß er seinen Gestalten den Odem des Lebens dadurch einhauchte,
daß er entweder vom Begriff, wie er sagt, d. h. vom Charakterproblem aus¬
gehend nach einem leibhaftigen Menschen suchte, der der erforderlichen An¬
schauung zum Halt dienen sollte, oder umgekehrt, daß ihn irgend jemand, der nun
demselben Zweck diente, zur dichterischen Ausbeutung veranlaßte. So finden
sich einigemale bei den Personenverzeichnissen der Entwürfe oder in diesen selbst
bei den für das Stück in Aussicht genommenen Namen in Klammern oder
geradezu vorläufig eingesetzt ein Herr Registrator Ka, ein Hofrat......,
oder man sieht doch aus dem Entwurf, daß er von einer Erfahrung die An¬
regung empfangen hatte, die ihn dann weiter führte.

Im allgemeinen wird freilich der, der es unternimmt, aus allen bis jetzt
veröffentlichten Schriften des Dichters selbst und seiner Freunde über ihn zu¬
sammenzustellen, was sich an solchen Andeutungen und Mitteilungen von that¬
sächlichen Beziehungen der Personen seiner Dramen und Erzählungen zu der
Wirklichkeit und Erfahrung findet, schließlich doch keine sehr umfassende
Ausbeute ausweisen können. Wir bedauern das, denn alles, die Litterntur¬
geschichte und die Geschichte des Dichters, das Verständnis seiner Werke und
die Einsicht in die Art seines Schaffens, würden dabei gewinnen, wenn wir mehr
wüßten, wenn von dem übrigen Nachlaß, der noch manches Geheimnis seines
Lebens aufdecken wird, die Siegel bereits gelöst wären -- gewiß nur zur
Förderung seines Ruhmes. Denn je größer auf der einen Seite die Abhängig¬
keit von selbst angelegten Fesseln erscheinen würde, umso größer auch die Kraft
seines Gestaltungsvermögens, die von solchen Fesseln nie gehemmt wurde. Wie
weit diese Kraft reichte, dafür besitzen wir an seinem Ottokar ja ein großartiges
Denkmal, wenn hier auch nicht die Gegenwart, sondern die Vergangenheit die
Fesseln bot.

Aber Grillparzer schwieg, und er schwieg aus ganz bestimmten Gründen.
Einmal sagte er, er sei wohl Herr seiner eignen Geheimnisse, aber nicht der
Gehennnisse andrer. Unser sittliches Gefühl' erklärt das für ehrenvoll, aber
unsre Neu gier blickt doch verdrießlich, und umsomehr, als jene Bemerkung
gerade die betrifft, die uns am meisten reizen: die Frauen. Frauen und Liebe
aber füllen nicht nur seine Werke, sondern auch auf der Fahrt seines Lebens
machten sie gar oft das Wetter und bestimmten die Richtung und den Charakter
desselben bis zum untergangdrohenden Sturm. Und das vor allem verraten
seine Werke. Grillparzer war ein Menschenbeobachter und Menschenkenner wie
wenige. Dieselbe Sorgfalt und Genauigkeit, mit der er, wie viele Blätter des
Nachlasses bezeugen, die Charaktere seiner Dramen aus zahllosen Eiuzelzttgen
zusammensetzte, wandte er auch darauf, Menschen, die ihn als Freund oder


Grillparzer und die klugen Frauen

Moravicus dienen kann, das ihm bei der so ungewohnt langsam und in Unter¬
brechungen sich vollziehenden Arbeit seinen Ottokar stets wieder von neuem
vergegenwärtigen mußte. Es fehlt aber auch nicht an Zeugnissen und Be¬
kenntnissen, daß er seinen Gestalten den Odem des Lebens dadurch einhauchte,
daß er entweder vom Begriff, wie er sagt, d. h. vom Charakterproblem aus¬
gehend nach einem leibhaftigen Menschen suchte, der der erforderlichen An¬
schauung zum Halt dienen sollte, oder umgekehrt, daß ihn irgend jemand, der nun
demselben Zweck diente, zur dichterischen Ausbeutung veranlaßte. So finden
sich einigemale bei den Personenverzeichnissen der Entwürfe oder in diesen selbst
bei den für das Stück in Aussicht genommenen Namen in Klammern oder
geradezu vorläufig eingesetzt ein Herr Registrator Ka, ein Hofrat......,
oder man sieht doch aus dem Entwurf, daß er von einer Erfahrung die An¬
regung empfangen hatte, die ihn dann weiter führte.

Im allgemeinen wird freilich der, der es unternimmt, aus allen bis jetzt
veröffentlichten Schriften des Dichters selbst und seiner Freunde über ihn zu¬
sammenzustellen, was sich an solchen Andeutungen und Mitteilungen von that¬
sächlichen Beziehungen der Personen seiner Dramen und Erzählungen zu der
Wirklichkeit und Erfahrung findet, schließlich doch keine sehr umfassende
Ausbeute ausweisen können. Wir bedauern das, denn alles, die Litterntur¬
geschichte und die Geschichte des Dichters, das Verständnis seiner Werke und
die Einsicht in die Art seines Schaffens, würden dabei gewinnen, wenn wir mehr
wüßten, wenn von dem übrigen Nachlaß, der noch manches Geheimnis seines
Lebens aufdecken wird, die Siegel bereits gelöst wären — gewiß nur zur
Förderung seines Ruhmes. Denn je größer auf der einen Seite die Abhängig¬
keit von selbst angelegten Fesseln erscheinen würde, umso größer auch die Kraft
seines Gestaltungsvermögens, die von solchen Fesseln nie gehemmt wurde. Wie
weit diese Kraft reichte, dafür besitzen wir an seinem Ottokar ja ein großartiges
Denkmal, wenn hier auch nicht die Gegenwart, sondern die Vergangenheit die
Fesseln bot.

Aber Grillparzer schwieg, und er schwieg aus ganz bestimmten Gründen.
Einmal sagte er, er sei wohl Herr seiner eignen Geheimnisse, aber nicht der
Gehennnisse andrer. Unser sittliches Gefühl' erklärt das für ehrenvoll, aber
unsre Neu gier blickt doch verdrießlich, und umsomehr, als jene Bemerkung
gerade die betrifft, die uns am meisten reizen: die Frauen. Frauen und Liebe
aber füllen nicht nur seine Werke, sondern auch auf der Fahrt seines Lebens
machten sie gar oft das Wetter und bestimmten die Richtung und den Charakter
desselben bis zum untergangdrohenden Sturm. Und das vor allem verraten
seine Werke. Grillparzer war ein Menschenbeobachter und Menschenkenner wie
wenige. Dieselbe Sorgfalt und Genauigkeit, mit der er, wie viele Blätter des
Nachlasses bezeugen, die Charaktere seiner Dramen aus zahllosen Eiuzelzttgen
zusammensetzte, wandte er auch darauf, Menschen, die ihn als Freund oder


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[0147] Grillparzer und die klugen Frauen Moravicus dienen kann, das ihm bei der so ungewohnt langsam und in Unter¬ brechungen sich vollziehenden Arbeit seinen Ottokar stets wieder von neuem vergegenwärtigen mußte. Es fehlt aber auch nicht an Zeugnissen und Be¬ kenntnissen, daß er seinen Gestalten den Odem des Lebens dadurch einhauchte, daß er entweder vom Begriff, wie er sagt, d. h. vom Charakterproblem aus¬ gehend nach einem leibhaftigen Menschen suchte, der der erforderlichen An¬ schauung zum Halt dienen sollte, oder umgekehrt, daß ihn irgend jemand, der nun demselben Zweck diente, zur dichterischen Ausbeutung veranlaßte. So finden sich einigemale bei den Personenverzeichnissen der Entwürfe oder in diesen selbst bei den für das Stück in Aussicht genommenen Namen in Klammern oder geradezu vorläufig eingesetzt ein Herr Registrator Ka, ein Hofrat......, oder man sieht doch aus dem Entwurf, daß er von einer Erfahrung die An¬ regung empfangen hatte, die ihn dann weiter führte. Im allgemeinen wird freilich der, der es unternimmt, aus allen bis jetzt veröffentlichten Schriften des Dichters selbst und seiner Freunde über ihn zu¬ sammenzustellen, was sich an solchen Andeutungen und Mitteilungen von that¬ sächlichen Beziehungen der Personen seiner Dramen und Erzählungen zu der Wirklichkeit und Erfahrung findet, schließlich doch keine sehr umfassende Ausbeute ausweisen können. Wir bedauern das, denn alles, die Litterntur¬ geschichte und die Geschichte des Dichters, das Verständnis seiner Werke und die Einsicht in die Art seines Schaffens, würden dabei gewinnen, wenn wir mehr wüßten, wenn von dem übrigen Nachlaß, der noch manches Geheimnis seines Lebens aufdecken wird, die Siegel bereits gelöst wären — gewiß nur zur Förderung seines Ruhmes. Denn je größer auf der einen Seite die Abhängig¬ keit von selbst angelegten Fesseln erscheinen würde, umso größer auch die Kraft seines Gestaltungsvermögens, die von solchen Fesseln nie gehemmt wurde. Wie weit diese Kraft reichte, dafür besitzen wir an seinem Ottokar ja ein großartiges Denkmal, wenn hier auch nicht die Gegenwart, sondern die Vergangenheit die Fesseln bot. Aber Grillparzer schwieg, und er schwieg aus ganz bestimmten Gründen. Einmal sagte er, er sei wohl Herr seiner eignen Geheimnisse, aber nicht der Gehennnisse andrer. Unser sittliches Gefühl' erklärt das für ehrenvoll, aber unsre Neu gier blickt doch verdrießlich, und umsomehr, als jene Bemerkung gerade die betrifft, die uns am meisten reizen: die Frauen. Frauen und Liebe aber füllen nicht nur seine Werke, sondern auch auf der Fahrt seines Lebens machten sie gar oft das Wetter und bestimmten die Richtung und den Charakter desselben bis zum untergangdrohenden Sturm. Und das vor allem verraten seine Werke. Grillparzer war ein Menschenbeobachter und Menschenkenner wie wenige. Dieselbe Sorgfalt und Genauigkeit, mit der er, wie viele Blätter des Nachlasses bezeugen, die Charaktere seiner Dramen aus zahllosen Eiuzelzttgen zusammensetzte, wandte er auch darauf, Menschen, die ihn als Freund oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/147>, abgerufen am 28.06.2024.