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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die Wahlen in Frankreich

Januar d. I. fielen in Paris für ihn allein eine Viertelmillion Stimmzettel
in die Urne, er schlug feinen republikanischen Nebenbuhler mit mehr als
80000 Stimmen, nur in einem einzigen Arrondissement der Stadt wurde ihm
die Mehrheit nicht zu teil. Jetzt haben für ihn und die Kandidaten seiner
Partei nur etwa 200000 Wähler von Paris gestimmt, und nur in drei
Arrondissements haben die Boulangisteu eine gesetzlich genügende Mehrheit er¬
langt. Sie hatten dreiundvierzig Kandidaten aufgestellt und hofften davon
wenigstens fünfundzwanzig durchzusetzen. Das ist eine arge Abnahme, eine ver¬
drießliche Erfahrung für die bisher so zuversichtlichen Himmelsstürmer. Gewiß
ist freilich, daß die unfreiwillige Abwesenheit des Häuptlings, die gegen ihn vor
dem Senate als Obergerichtshof erhobnen und leidlich bewiesenen Beschuldigungen
und die entschlossene Haltung des Ministeriums zu diesem Ergebnisse beigetragen,
seine Anhänger geschwächt und seine Gegner ermutigt und vermehrt haben; und
wenn die Wahlen sowohl in Paris als in den Departements weit davon ent¬
fernt sind, die Bedeutung eines Plebiszits zu Gunsten des Exgenerals und
Zukunftsdiktators oder auch nur einer dem ähnlichen Kundgebung zu haben, so
dürfen wir doch keineswegs alle Gefahr, die von dieser Seite der Republik
drohte, schou für völlig beseitigt halten. So weit, müssen wir uns sagen, hat
Frankreich sich diesmal gegen das persönliche Element, das Ansehen und die
Macht eines Einzelnen, ausgesprochen, ein Element, das so oft schon in seiner
Geschichte eine verhängnisvolle Rolle gespielt hat. Aber Boulnnger ist, wie
der dritte Napoleon, als er noch abenteuernder Prätendent war, ein "Steh-
aufchen," das umgestoßen sich immer wieder aufrichtet. Er hat zunächst genug
Einfluß behalten, um sich den Wählern eines Pariser Kreises, wo die Demo¬
kratie am stärksten vertreten ist, als Kandidat vorstellen zu können und zwar
neben Joffrin, dem rotesten aller roten Demokraten, und er hat ihn geschlagen.
Dieser Erfolg der Bewerbung eines Militärs lieben einem Arbeiter, eines mit
adlichen Rohalisten und Reaktionären verschwornen Kandidaten neben einem
radikalen Freiheits- und Gleichheitshelden ist ein seltsames Zeichen des wankel¬
mütigen und zu allen möglichen Ränken und Streichen zu verwendenden Geistes
der Pariser Noten. Andre Kreise der Art sind aber ganz ähnlich beschaffen,
und es ist daher nicht unmöglich, daß der General sich diesen Umstand einmal
mit Erfolg zu nutze macht. Ihm ist bei seiner rührigen und vollkommen ge¬
sinnungslosen Dreistigkeit überhaupt vieles möglich; und die Republikaner werden,
wie wir sie kennen, dazu beitragen, daß ihm ein Feld für sein Spiel bleibt.
Es ist ihm jetzt nicht geglückt, aber er bleibt eine Kraft im politischen Getriebe
Frankreichs und darf von seinen Gegnern nicht übersehen oder über die Achsel
angesehen werden; fällt er aber einmal weg, so wird der Boulangismus fortleben
als eine stete Warnung für die, die gerade am Staatsruder stehen. Er wird
sie lehren, daß kein Ministerium in Frankreich, ganz abgesehen von den parla¬
mentarischen Gefahren, im Volke dauernd festzuwurzeln, keine politische Ein-


Die Wahlen in Frankreich

Januar d. I. fielen in Paris für ihn allein eine Viertelmillion Stimmzettel
in die Urne, er schlug feinen republikanischen Nebenbuhler mit mehr als
80000 Stimmen, nur in einem einzigen Arrondissement der Stadt wurde ihm
die Mehrheit nicht zu teil. Jetzt haben für ihn und die Kandidaten seiner
Partei nur etwa 200000 Wähler von Paris gestimmt, und nur in drei
Arrondissements haben die Boulangisteu eine gesetzlich genügende Mehrheit er¬
langt. Sie hatten dreiundvierzig Kandidaten aufgestellt und hofften davon
wenigstens fünfundzwanzig durchzusetzen. Das ist eine arge Abnahme, eine ver¬
drießliche Erfahrung für die bisher so zuversichtlichen Himmelsstürmer. Gewiß
ist freilich, daß die unfreiwillige Abwesenheit des Häuptlings, die gegen ihn vor
dem Senate als Obergerichtshof erhobnen und leidlich bewiesenen Beschuldigungen
und die entschlossene Haltung des Ministeriums zu diesem Ergebnisse beigetragen,
seine Anhänger geschwächt und seine Gegner ermutigt und vermehrt haben; und
wenn die Wahlen sowohl in Paris als in den Departements weit davon ent¬
fernt sind, die Bedeutung eines Plebiszits zu Gunsten des Exgenerals und
Zukunftsdiktators oder auch nur einer dem ähnlichen Kundgebung zu haben, so
dürfen wir doch keineswegs alle Gefahr, die von dieser Seite der Republik
drohte, schou für völlig beseitigt halten. So weit, müssen wir uns sagen, hat
Frankreich sich diesmal gegen das persönliche Element, das Ansehen und die
Macht eines Einzelnen, ausgesprochen, ein Element, das so oft schon in seiner
Geschichte eine verhängnisvolle Rolle gespielt hat. Aber Boulnnger ist, wie
der dritte Napoleon, als er noch abenteuernder Prätendent war, ein „Steh-
aufchen," das umgestoßen sich immer wieder aufrichtet. Er hat zunächst genug
Einfluß behalten, um sich den Wählern eines Pariser Kreises, wo die Demo¬
kratie am stärksten vertreten ist, als Kandidat vorstellen zu können und zwar
neben Joffrin, dem rotesten aller roten Demokraten, und er hat ihn geschlagen.
Dieser Erfolg der Bewerbung eines Militärs lieben einem Arbeiter, eines mit
adlichen Rohalisten und Reaktionären verschwornen Kandidaten neben einem
radikalen Freiheits- und Gleichheitshelden ist ein seltsames Zeichen des wankel¬
mütigen und zu allen möglichen Ränken und Streichen zu verwendenden Geistes
der Pariser Noten. Andre Kreise der Art sind aber ganz ähnlich beschaffen,
und es ist daher nicht unmöglich, daß der General sich diesen Umstand einmal
mit Erfolg zu nutze macht. Ihm ist bei seiner rührigen und vollkommen ge¬
sinnungslosen Dreistigkeit überhaupt vieles möglich; und die Republikaner werden,
wie wir sie kennen, dazu beitragen, daß ihm ein Feld für sein Spiel bleibt.
Es ist ihm jetzt nicht geglückt, aber er bleibt eine Kraft im politischen Getriebe
Frankreichs und darf von seinen Gegnern nicht übersehen oder über die Achsel
angesehen werden; fällt er aber einmal weg, so wird der Boulangismus fortleben
als eine stete Warnung für die, die gerade am Staatsruder stehen. Er wird
sie lehren, daß kein Ministerium in Frankreich, ganz abgesehen von den parla¬
mentarischen Gefahren, im Volke dauernd festzuwurzeln, keine politische Ein-


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[0014] Die Wahlen in Frankreich Januar d. I. fielen in Paris für ihn allein eine Viertelmillion Stimmzettel in die Urne, er schlug feinen republikanischen Nebenbuhler mit mehr als 80000 Stimmen, nur in einem einzigen Arrondissement der Stadt wurde ihm die Mehrheit nicht zu teil. Jetzt haben für ihn und die Kandidaten seiner Partei nur etwa 200000 Wähler von Paris gestimmt, und nur in drei Arrondissements haben die Boulangisteu eine gesetzlich genügende Mehrheit er¬ langt. Sie hatten dreiundvierzig Kandidaten aufgestellt und hofften davon wenigstens fünfundzwanzig durchzusetzen. Das ist eine arge Abnahme, eine ver¬ drießliche Erfahrung für die bisher so zuversichtlichen Himmelsstürmer. Gewiß ist freilich, daß die unfreiwillige Abwesenheit des Häuptlings, die gegen ihn vor dem Senate als Obergerichtshof erhobnen und leidlich bewiesenen Beschuldigungen und die entschlossene Haltung des Ministeriums zu diesem Ergebnisse beigetragen, seine Anhänger geschwächt und seine Gegner ermutigt und vermehrt haben; und wenn die Wahlen sowohl in Paris als in den Departements weit davon ent¬ fernt sind, die Bedeutung eines Plebiszits zu Gunsten des Exgenerals und Zukunftsdiktators oder auch nur einer dem ähnlichen Kundgebung zu haben, so dürfen wir doch keineswegs alle Gefahr, die von dieser Seite der Republik drohte, schou für völlig beseitigt halten. So weit, müssen wir uns sagen, hat Frankreich sich diesmal gegen das persönliche Element, das Ansehen und die Macht eines Einzelnen, ausgesprochen, ein Element, das so oft schon in seiner Geschichte eine verhängnisvolle Rolle gespielt hat. Aber Boulnnger ist, wie der dritte Napoleon, als er noch abenteuernder Prätendent war, ein „Steh- aufchen," das umgestoßen sich immer wieder aufrichtet. Er hat zunächst genug Einfluß behalten, um sich den Wählern eines Pariser Kreises, wo die Demo¬ kratie am stärksten vertreten ist, als Kandidat vorstellen zu können und zwar neben Joffrin, dem rotesten aller roten Demokraten, und er hat ihn geschlagen. Dieser Erfolg der Bewerbung eines Militärs lieben einem Arbeiter, eines mit adlichen Rohalisten und Reaktionären verschwornen Kandidaten neben einem radikalen Freiheits- und Gleichheitshelden ist ein seltsames Zeichen des wankel¬ mütigen und zu allen möglichen Ränken und Streichen zu verwendenden Geistes der Pariser Noten. Andre Kreise der Art sind aber ganz ähnlich beschaffen, und es ist daher nicht unmöglich, daß der General sich diesen Umstand einmal mit Erfolg zu nutze macht. Ihm ist bei seiner rührigen und vollkommen ge¬ sinnungslosen Dreistigkeit überhaupt vieles möglich; und die Republikaner werden, wie wir sie kennen, dazu beitragen, daß ihm ein Feld für sein Spiel bleibt. Es ist ihm jetzt nicht geglückt, aber er bleibt eine Kraft im politischen Getriebe Frankreichs und darf von seinen Gegnern nicht übersehen oder über die Achsel angesehen werden; fällt er aber einmal weg, so wird der Boulangismus fortleben als eine stete Warnung für die, die gerade am Staatsruder stehen. Er wird sie lehren, daß kein Ministerium in Frankreich, ganz abgesehen von den parla¬ mentarischen Gefahren, im Volke dauernd festzuwurzeln, keine politische Ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/14>, abgerufen am 28.06.2024.