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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die Mahlen in Frankreich

keine einzige Gruppe dieser wie der andern Seite ist stark genug, ihre eigne
Politik zu treiben, keine ist unabhängig, jede auf Unterstützung angewiesen, die
durch Zugeständnisse, also durch Abschwächung und Verhüllung ihres eigent¬
lichen Programms zu erkaufen ist.

Es ist nicht schwer, aus diesem wirren und wechselvollen Durcheinander¬
wogen kleiner Parteien und vielfältig verschiedner Bestrebungen und Leiden¬
schaften das Interesse Deutschlands herauszufinden, Sie sind uns alle ungefähr
gleich feindlich gesinnt, aber am wenigsten hätten wir bei einem schließlichen
Triumph der Monarchisten zu gewinnen, am meisten durch den Sieg der
parlamentarischen Republik; deun es ist kaum zu befürchten, daß es dem
Präsidenten Carnot und seinen jetzigen Ministern gelingen werde, die Parteien,
die diese Staatsform wollen, auf die Dauer unter einem Hute zusammen¬
zuhalten, weil das eben der Parlamentarismus mit seiner zersetzenden Natur
und seiner Selbstsucht nicht erlaubt, und daneben würde, auch wenn es gelange,
immer eine monarchische Opposition fortbestehen, mit der sich bei Gelegenheit
auch mißvergnügte Republikaner zum Sturze der Minister verbinden könnten,
die strebsamen Parlamentariern überall und immer zu lange regieren.

Werfen wir noch einen Blick auf das bis jetzt feststehende Wahlergebnis.
Frankreich hat am 22. September 369 Republikanern aller Schattirungen ein
Mandat erteilt, während von den Oppositionsparteien 201 Kandidaten Abge¬
ordnete geworden sind. Beide Heerhaufen haben in der Schlacht viele Tote
auf dem Platze gelassen, d. h. alte Abgeordnete sind nicht wieder gewählt,
sondern durch neue Leute ersetzt worden, sodaß insofern die Kammer der Deputirten
ein etwas andres Gesicht zeigen wird als bisher. Einen schweren Verlust haben
die Republikaner dadurch erlitten, daß Jules Ferry, der sich in seiner Geburts¬
stadt Samt Dio nur ein Mandat beworben hatte, und ebenso der frühere Minister
Gvblet, dieser in Amiens, unterlegen sind. Beide mußten nichtsbedeutenden An¬
hängern Voulnngers das Feld überlassen. Nicht zu beklagen hat die republikanische
Partei die Niederlage von Leuten wie Clvvius Hugues, Camellinat, Vaillant,
Gaukler, Lyon, Allemant nud andrer Jakobiner, die Zeit ihres Lebens nnr dazu
gut gewesen sind, Stecken zwischen die Speichen der Räder des ohnehin schwer-
fülligen und langsam vorwärtskommenden Parlamentswagens zu schieben. Was
Bvulnnger betrifft, so haben die Wahlen eben keinen Beweis dafür geliefert, daß
man berechtigt war, ihn "den Pfeiler der Hoffnung des Volkes" und "den
Mittelpunkt aller Wünsche des Landes" zu nennen. Wenn sein Anhang und
seine geheimen Gönner erwarteten, daß sein Name immer noch geeignet sein
werde, Geister zu beschwören und zwar in Masse, in imponirenden Haufen,
so müssen die Wahlen sie arg enttäuscht haben. Wenn er und sein Programm
ziemlich rasch in die Mode kamen, so scheinen sie, seit er sich selbst verbannt
hat, noch rascher aus der Mode gekommen zu sein. Jedenfalls hat seine
Beliebtheit felbst in der Hauptstadt für jetzt außerordentlich abgenommen. Im


Die Mahlen in Frankreich

keine einzige Gruppe dieser wie der andern Seite ist stark genug, ihre eigne
Politik zu treiben, keine ist unabhängig, jede auf Unterstützung angewiesen, die
durch Zugeständnisse, also durch Abschwächung und Verhüllung ihres eigent¬
lichen Programms zu erkaufen ist.

Es ist nicht schwer, aus diesem wirren und wechselvollen Durcheinander¬
wogen kleiner Parteien und vielfältig verschiedner Bestrebungen und Leiden¬
schaften das Interesse Deutschlands herauszufinden, Sie sind uns alle ungefähr
gleich feindlich gesinnt, aber am wenigsten hätten wir bei einem schließlichen
Triumph der Monarchisten zu gewinnen, am meisten durch den Sieg der
parlamentarischen Republik; deun es ist kaum zu befürchten, daß es dem
Präsidenten Carnot und seinen jetzigen Ministern gelingen werde, die Parteien,
die diese Staatsform wollen, auf die Dauer unter einem Hute zusammen¬
zuhalten, weil das eben der Parlamentarismus mit seiner zersetzenden Natur
und seiner Selbstsucht nicht erlaubt, und daneben würde, auch wenn es gelange,
immer eine monarchische Opposition fortbestehen, mit der sich bei Gelegenheit
auch mißvergnügte Republikaner zum Sturze der Minister verbinden könnten,
die strebsamen Parlamentariern überall und immer zu lange regieren.

Werfen wir noch einen Blick auf das bis jetzt feststehende Wahlergebnis.
Frankreich hat am 22. September 369 Republikanern aller Schattirungen ein
Mandat erteilt, während von den Oppositionsparteien 201 Kandidaten Abge¬
ordnete geworden sind. Beide Heerhaufen haben in der Schlacht viele Tote
auf dem Platze gelassen, d. h. alte Abgeordnete sind nicht wieder gewählt,
sondern durch neue Leute ersetzt worden, sodaß insofern die Kammer der Deputirten
ein etwas andres Gesicht zeigen wird als bisher. Einen schweren Verlust haben
die Republikaner dadurch erlitten, daß Jules Ferry, der sich in seiner Geburts¬
stadt Samt Dio nur ein Mandat beworben hatte, und ebenso der frühere Minister
Gvblet, dieser in Amiens, unterlegen sind. Beide mußten nichtsbedeutenden An¬
hängern Voulnngers das Feld überlassen. Nicht zu beklagen hat die republikanische
Partei die Niederlage von Leuten wie Clvvius Hugues, Camellinat, Vaillant,
Gaukler, Lyon, Allemant nud andrer Jakobiner, die Zeit ihres Lebens nnr dazu
gut gewesen sind, Stecken zwischen die Speichen der Räder des ohnehin schwer-
fülligen und langsam vorwärtskommenden Parlamentswagens zu schieben. Was
Bvulnnger betrifft, so haben die Wahlen eben keinen Beweis dafür geliefert, daß
man berechtigt war, ihn „den Pfeiler der Hoffnung des Volkes" und „den
Mittelpunkt aller Wünsche des Landes" zu nennen. Wenn sein Anhang und
seine geheimen Gönner erwarteten, daß sein Name immer noch geeignet sein
werde, Geister zu beschwören und zwar in Masse, in imponirenden Haufen,
so müssen die Wahlen sie arg enttäuscht haben. Wenn er und sein Programm
ziemlich rasch in die Mode kamen, so scheinen sie, seit er sich selbst verbannt
hat, noch rascher aus der Mode gekommen zu sein. Jedenfalls hat seine
Beliebtheit felbst in der Hauptstadt für jetzt außerordentlich abgenommen. Im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/13>, abgerufen am 22.07.2024.