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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Gladstone und der Dreibund

einzelnen Krisis ein Eingreifen geboten oder verboten haben. Wollte er sich
dies erlauben, so würde er zuweilen auswärtigen Fürsten und Ministern schweren
Anstoß geben oder die Pflicht der Verschwiegenheit verletzen, die er gegen ver¬
antwortliche Berichterstatter einzugehen genötigt gewesen ist. Niemals vielleicht
war diese Pflicht so unbedingte Notwendigkeit für den Leiter der Londoner
Politik als in unsern Tagen. Selbst nach dem Zeugnis der Gegenpartei ist
Salisbury ein trefflicher Verwalter der auswärtigen Angelegenheiten, und er
erfreut sich allgemeinen Vertrauens als vorsichtiger und gewandter Staatsmann.
So war es schwer begreiflich, wie jemand, der wie Gladstone früher selbst sür
die Handhabung der englischen Politik verantwortlich gewesen war, einen
Artikel verfassen und veröffentlichen konnte, der, mittelbar wenigstens, die aus¬
wärtige Politik Scilisburys angriff und verurteilte. Es war durchaus unge¬
hörig und bedauerlich, daß auf diese Weise Fragen der englischen Diplomatie
in die staubige Arena der Parteipolitik hineingeschoben wurden. Allerdings
ist das zuweilen unvermeidlich. Wenn der Führer der Opposition in einem
parlamentarisch regierten Staate Grund zu der Annahme hat, daß die Regierung
im Begriff stehe, das Land in ein gefährliches Abenteuer zu verwickeln, so
hat er die Pflicht, sie vor der öffentlichen Meinung dessen anzuklagen. Aber
in gewöhnlichen Zeiten ist es mindestens unbillig, einen Minister anzugreifen,
der sich nicht verteidigen kann, weil ihm der Mund geschlossen ist, da man ihm
das, womit er sich wehren konnte, im Vertrauen mitgeteilt hat. Die Sache
wird umso widerwärtiger, wenn der Angreifer nichts als unbestimmte Verdachts¬
gründe vorzubringen hat, um sein Vorgehen zu rechtfertigen. Wenn, so sagte
man sich, der "Taugenichts," den wir unter dem fraglichen Artikel stehen sehen,
wirklich Gladstone wäre, so hätte er sich einer thörichten Anklage schuldig ge¬
macht, ähnlich der, die er 1880 vom Stapel ließ, wo er Osterreich als eine
Macht bezeichnete, die nirgends etwas Gutes geleistet habe. Er entschuldigte
sich später wegen dieser Bemerkung, und die klaren Beweise für die Ab¬
geschmacktheit seiner damaligen Behauptungen sind seitdem durch die Beruhigung
und das rasche Aufblühen Bosniens und der Herzegowina vermehrt worden.
Aber kein Zurücknehmen kann die Übeln Wirkungen ungeschehen machen, die
der jetzige Aufsatz über den Dreibnnd und Englands Stellung zu ihm nud
besonders zu Italien für die nächste Zeit hervorgerufen hat. Gladstone will
ihn denn auch nicht geschrieben haben, aber seine Ableugnung steht auf schwachen
Füßen. Der Londoner Berichterstatter der in Liverpool erscheinenden only
?o8t meldete seinem Blatte, es sei ihm aufs bestimmteste und zuverlässigste
versichert worden, daß Gladstone den Artikel verfaßt habe. Der Gegenstand
habe Gladstone schon seit geraumer Zeit beschäftigt, und selbst in der Zeit,
wo das Parlament getagt habe, habe er gegen einen Freund geäußert, er
gedenke darüber zu schreiben, ja er habe den Aufsatz anfangs mit seinem Namen
unterzeichnen wollen lind sich erst später zu dem Pseudonym entschlossen.


Gladstone und der Dreibund

einzelnen Krisis ein Eingreifen geboten oder verboten haben. Wollte er sich
dies erlauben, so würde er zuweilen auswärtigen Fürsten und Ministern schweren
Anstoß geben oder die Pflicht der Verschwiegenheit verletzen, die er gegen ver¬
antwortliche Berichterstatter einzugehen genötigt gewesen ist. Niemals vielleicht
war diese Pflicht so unbedingte Notwendigkeit für den Leiter der Londoner
Politik als in unsern Tagen. Selbst nach dem Zeugnis der Gegenpartei ist
Salisbury ein trefflicher Verwalter der auswärtigen Angelegenheiten, und er
erfreut sich allgemeinen Vertrauens als vorsichtiger und gewandter Staatsmann.
So war es schwer begreiflich, wie jemand, der wie Gladstone früher selbst sür
die Handhabung der englischen Politik verantwortlich gewesen war, einen
Artikel verfassen und veröffentlichen konnte, der, mittelbar wenigstens, die aus¬
wärtige Politik Scilisburys angriff und verurteilte. Es war durchaus unge¬
hörig und bedauerlich, daß auf diese Weise Fragen der englischen Diplomatie
in die staubige Arena der Parteipolitik hineingeschoben wurden. Allerdings
ist das zuweilen unvermeidlich. Wenn der Führer der Opposition in einem
parlamentarisch regierten Staate Grund zu der Annahme hat, daß die Regierung
im Begriff stehe, das Land in ein gefährliches Abenteuer zu verwickeln, so
hat er die Pflicht, sie vor der öffentlichen Meinung dessen anzuklagen. Aber
in gewöhnlichen Zeiten ist es mindestens unbillig, einen Minister anzugreifen,
der sich nicht verteidigen kann, weil ihm der Mund geschlossen ist, da man ihm
das, womit er sich wehren konnte, im Vertrauen mitgeteilt hat. Die Sache
wird umso widerwärtiger, wenn der Angreifer nichts als unbestimmte Verdachts¬
gründe vorzubringen hat, um sein Vorgehen zu rechtfertigen. Wenn, so sagte
man sich, der „Taugenichts," den wir unter dem fraglichen Artikel stehen sehen,
wirklich Gladstone wäre, so hätte er sich einer thörichten Anklage schuldig ge¬
macht, ähnlich der, die er 1880 vom Stapel ließ, wo er Osterreich als eine
Macht bezeichnete, die nirgends etwas Gutes geleistet habe. Er entschuldigte
sich später wegen dieser Bemerkung, und die klaren Beweise für die Ab¬
geschmacktheit seiner damaligen Behauptungen sind seitdem durch die Beruhigung
und das rasche Aufblühen Bosniens und der Herzegowina vermehrt worden.
Aber kein Zurücknehmen kann die Übeln Wirkungen ungeschehen machen, die
der jetzige Aufsatz über den Dreibnnd und Englands Stellung zu ihm nud
besonders zu Italien für die nächste Zeit hervorgerufen hat. Gladstone will
ihn denn auch nicht geschrieben haben, aber seine Ableugnung steht auf schwachen
Füßen. Der Londoner Berichterstatter der in Liverpool erscheinenden only
?o8t meldete seinem Blatte, es sei ihm aufs bestimmteste und zuverlässigste
versichert worden, daß Gladstone den Artikel verfaßt habe. Der Gegenstand
habe Gladstone schon seit geraumer Zeit beschäftigt, und selbst in der Zeit,
wo das Parlament getagt habe, habe er gegen einen Freund geäußert, er
gedenke darüber zu schreiben, ja er habe den Aufsatz anfangs mit seinem Namen
unterzeichnen wollen lind sich erst später zu dem Pseudonym entschlossen.


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[0114] Gladstone und der Dreibund einzelnen Krisis ein Eingreifen geboten oder verboten haben. Wollte er sich dies erlauben, so würde er zuweilen auswärtigen Fürsten und Ministern schweren Anstoß geben oder die Pflicht der Verschwiegenheit verletzen, die er gegen ver¬ antwortliche Berichterstatter einzugehen genötigt gewesen ist. Niemals vielleicht war diese Pflicht so unbedingte Notwendigkeit für den Leiter der Londoner Politik als in unsern Tagen. Selbst nach dem Zeugnis der Gegenpartei ist Salisbury ein trefflicher Verwalter der auswärtigen Angelegenheiten, und er erfreut sich allgemeinen Vertrauens als vorsichtiger und gewandter Staatsmann. So war es schwer begreiflich, wie jemand, der wie Gladstone früher selbst sür die Handhabung der englischen Politik verantwortlich gewesen war, einen Artikel verfassen und veröffentlichen konnte, der, mittelbar wenigstens, die aus¬ wärtige Politik Scilisburys angriff und verurteilte. Es war durchaus unge¬ hörig und bedauerlich, daß auf diese Weise Fragen der englischen Diplomatie in die staubige Arena der Parteipolitik hineingeschoben wurden. Allerdings ist das zuweilen unvermeidlich. Wenn der Führer der Opposition in einem parlamentarisch regierten Staate Grund zu der Annahme hat, daß die Regierung im Begriff stehe, das Land in ein gefährliches Abenteuer zu verwickeln, so hat er die Pflicht, sie vor der öffentlichen Meinung dessen anzuklagen. Aber in gewöhnlichen Zeiten ist es mindestens unbillig, einen Minister anzugreifen, der sich nicht verteidigen kann, weil ihm der Mund geschlossen ist, da man ihm das, womit er sich wehren konnte, im Vertrauen mitgeteilt hat. Die Sache wird umso widerwärtiger, wenn der Angreifer nichts als unbestimmte Verdachts¬ gründe vorzubringen hat, um sein Vorgehen zu rechtfertigen. Wenn, so sagte man sich, der „Taugenichts," den wir unter dem fraglichen Artikel stehen sehen, wirklich Gladstone wäre, so hätte er sich einer thörichten Anklage schuldig ge¬ macht, ähnlich der, die er 1880 vom Stapel ließ, wo er Osterreich als eine Macht bezeichnete, die nirgends etwas Gutes geleistet habe. Er entschuldigte sich später wegen dieser Bemerkung, und die klaren Beweise für die Ab¬ geschmacktheit seiner damaligen Behauptungen sind seitdem durch die Beruhigung und das rasche Aufblühen Bosniens und der Herzegowina vermehrt worden. Aber kein Zurücknehmen kann die Übeln Wirkungen ungeschehen machen, die der jetzige Aufsatz über den Dreibnnd und Englands Stellung zu ihm nud besonders zu Italien für die nächste Zeit hervorgerufen hat. Gladstone will ihn denn auch nicht geschrieben haben, aber seine Ableugnung steht auf schwachen Füßen. Der Londoner Berichterstatter der in Liverpool erscheinenden only ?o8t meldete seinem Blatte, es sei ihm aufs bestimmteste und zuverlässigste versichert worden, daß Gladstone den Artikel verfaßt habe. Der Gegenstand habe Gladstone schon seit geraumer Zeit beschäftigt, und selbst in der Zeit, wo das Parlament getagt habe, habe er gegen einen Freund geäußert, er gedenke darüber zu schreiben, ja er habe den Aufsatz anfangs mit seinem Namen unterzeichnen wollen lind sich erst später zu dem Pseudonym entschlossen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/114>, abgerufen am 28.06.2024.