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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Junge Liebe

kannt, sein eigentlicher Name aber war Jesper Andersen Duebvl, und man
hielt ihn allgemein für einen etwas sonderbaren Burschen, ans dem nicht
klug zu werden sei. Gefährlich für seine Umgebung wurde er höchstens, wenn
er betrunken war; gewöhnlich begrub er sich spurlos bei seiner Holzhauerarbeit,
beim Fällen der Bäume, und nur hiu und wieder tauchte er in der Schenke
oder im Kruge auf. Dagegegen kam er häufiger in den Fährkrug am See,
wo er als Verwandter des tauben Anders Zutritt zu dem Kreise der Stamm¬
gäste erhalten hatte. Man nahm allgemein an, daß er vom Klub zu Marthns
Bräutigam ausersehen sei.

Jedesmal, wenn er das Auge über die Versammlung gleiten ließ, trat
etwas Drohendes, Herausforderndes in seinen Blick. Und nach Beendigung
des Gottesdienstes begab er sich auf den Kirchhof hinaus, wo sich die Kon¬
firmanden versammelt hatten, um die Glückwünsche von Freunden und Be¬
kannten in Empfang zu nehmen.

Martha warf einen hastigen, ängstlichen Blick zur Seite, als sie ihn
langsam, mit gesenkter Stirn gleich einem Stier nahen sah. Einen Augenblick
suchte sie sich hinter dem breiten Rücken des Jägers Martin zu verbergen.
Als er aber mitten zwischen ihnen stand, reichte sie ihm. kalt und schweigend
die Hand, und sobald sich Gelegenheit bot, zog sie sich zu einigen Gefährtinnen
zurück, die in frohem Gelächter zwischen den Grabsteinen standen.

Sobald sie in der Kirche seiner ansichtig geworden war, hatte sie die
Angst ergriffen, daß er sie nach Hause begleiten würde. Daher wurde ihr
ganz leicht ums Herz, als sie ihn nach einer Weile Abschied nehmen und den
Weg nach dem Dorf zu einschlagen sah. Auf dem Gipfel des Hügels -- sie
bemerkte es wohl -- wandte er sich noch einmal um und schaute zu ihr herab.
Aber bald vergaß sie sowohl ihn wie die ganze Szene über dem Empfang, der
in ihrem Heim ihrer wartete.

Dort war der Tisch festlich gedeckt. Ans dem Weißen Tischtuch standen
zwei Leuchter mit Lichtern und in der Mitte eine dampfende Schüssel mit dick-
gekochtem Reis. Schüssel und Leuchter waren mit Blumen verziert, und vor
dem Platz am Ende des Tisches lag ein Neues Testament mit einem goldnen
Kreuz auf dem Einbanddeckel. Martha war so bewegt, daß sie zum erstenmal
seit vielen Jahren-hinging und ihrer Mutter die Hand gab. Überhaupt war
dies ein unvergeßlicher Tag für sie. Alle die alten Freunde waren darüber
einig, daß sie sich prächtig benommen hätte, viel besser sogar als des Predigers
eigne Tochter; und nach dem Essen spielte Franz auf seiner Geige, und dann
las der Weber Zacharias lant ans einem alten Kalender vor. Nach einer
Bowle Punsch wurde die Freude so überschwänglich, daß selbst Lars Einange
auf seiner Krücke wie toll nmherhvpste.

Als aber Martha spät in der Nacht in ihre Kammer kam und schon halb
entkleidet war, siel ihr Auge auf ein kleines Packet uns dem Tische, das sie


Junge Liebe

kannt, sein eigentlicher Name aber war Jesper Andersen Duebvl, und man
hielt ihn allgemein für einen etwas sonderbaren Burschen, ans dem nicht
klug zu werden sei. Gefährlich für seine Umgebung wurde er höchstens, wenn
er betrunken war; gewöhnlich begrub er sich spurlos bei seiner Holzhauerarbeit,
beim Fällen der Bäume, und nur hiu und wieder tauchte er in der Schenke
oder im Kruge auf. Dagegegen kam er häufiger in den Fährkrug am See,
wo er als Verwandter des tauben Anders Zutritt zu dem Kreise der Stamm¬
gäste erhalten hatte. Man nahm allgemein an, daß er vom Klub zu Marthns
Bräutigam ausersehen sei.

Jedesmal, wenn er das Auge über die Versammlung gleiten ließ, trat
etwas Drohendes, Herausforderndes in seinen Blick. Und nach Beendigung
des Gottesdienstes begab er sich auf den Kirchhof hinaus, wo sich die Kon¬
firmanden versammelt hatten, um die Glückwünsche von Freunden und Be¬
kannten in Empfang zu nehmen.

Martha warf einen hastigen, ängstlichen Blick zur Seite, als sie ihn
langsam, mit gesenkter Stirn gleich einem Stier nahen sah. Einen Augenblick
suchte sie sich hinter dem breiten Rücken des Jägers Martin zu verbergen.
Als er aber mitten zwischen ihnen stand, reichte sie ihm. kalt und schweigend
die Hand, und sobald sich Gelegenheit bot, zog sie sich zu einigen Gefährtinnen
zurück, die in frohem Gelächter zwischen den Grabsteinen standen.

Sobald sie in der Kirche seiner ansichtig geworden war, hatte sie die
Angst ergriffen, daß er sie nach Hause begleiten würde. Daher wurde ihr
ganz leicht ums Herz, als sie ihn nach einer Weile Abschied nehmen und den
Weg nach dem Dorf zu einschlagen sah. Auf dem Gipfel des Hügels — sie
bemerkte es wohl — wandte er sich noch einmal um und schaute zu ihr herab.
Aber bald vergaß sie sowohl ihn wie die ganze Szene über dem Empfang, der
in ihrem Heim ihrer wartete.

Dort war der Tisch festlich gedeckt. Ans dem Weißen Tischtuch standen
zwei Leuchter mit Lichtern und in der Mitte eine dampfende Schüssel mit dick-
gekochtem Reis. Schüssel und Leuchter waren mit Blumen verziert, und vor
dem Platz am Ende des Tisches lag ein Neues Testament mit einem goldnen
Kreuz auf dem Einbanddeckel. Martha war so bewegt, daß sie zum erstenmal
seit vielen Jahren-hinging und ihrer Mutter die Hand gab. Überhaupt war
dies ein unvergeßlicher Tag für sie. Alle die alten Freunde waren darüber
einig, daß sie sich prächtig benommen hätte, viel besser sogar als des Predigers
eigne Tochter; und nach dem Essen spielte Franz auf seiner Geige, und dann
las der Weber Zacharias lant ans einem alten Kalender vor. Nach einer
Bowle Punsch wurde die Freude so überschwänglich, daß selbst Lars Einange
auf seiner Krücke wie toll nmherhvpste.

Als aber Martha spät in der Nacht in ihre Kammer kam und schon halb
entkleidet war, siel ihr Auge auf ein kleines Packet uns dem Tische, das sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/106>, abgerufen am 28.06.2024.