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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Junge Liebe

das Alles hatte sie vom Vater; ebenso die etwas heisere Stimme und das
leichte, verschlagene Lächeln, das ihre Lippen umspielte, wem? sie wie zufällig
mitten in ihrer Fröhlichkeit in Gedanken versank.

Aber ihr Haar war von leichterem Rot, floß glatt und blank über ihre
lllangeäderten Schläfen und verbarg mit zwei schonen Flechten die tiefe Nacken¬
grube. Das Auge war größer, klarer, tiefer. Dem träumenden Waldsee
ähnlich schaute es unter den Braue" und ans dem dunkeln Kranze langer
Wimpern hervor.

Von der Mutter hatte sie nur den ruhigen Blick und den laugen, blendend¬
weißen Hals. Und wie infolge eines Gefühls ihrer innern und äußern Ver¬
schiedenheit hatte sich Martha schon als Kind fern von jeder Vertraulichkeit
mit ihr gehalten, ja mit der kalten Verachtung einer Fremden das Geschöpf
betrachtet, das sich ihre Mutter nannte.

Überhaupt war sie, während sie hernnwnchs, sich selber fast völlig über¬
lassen gewesen. Im Dorfe, dessen Schule sie seit ihrem siebenten Jahre be¬
suchte, hielten sich die wohlhabendern Bauernkinder absichtlich von ihr zurück,
und selbst die gleichgestellten fühlten sich scheu und verlegen dem seltsamen,
fremdartigen Kinde gegenüber, von dem sie so viel abenteuerliches gehört
hatten und dessen Wildheit und sonderbare Einfälle sie deshalb doppelt
ängstigten.

In ihrer Einsamkeit hatte sie dagegen ihre ganze Liebe ans den "Klub"
übertragen. Diese alten, merkwürdigen Burschen, zwischen deren Füßen sie sich
wie ein verzognes Kätzchen getummelt hatte, und unter deren fast väterlicher
Fürsorge sie aufgewachsen war, waren allmählich ihre einzigen und wirklichen
Freunde geworden. In ihrer Gesellschaft fühlte sie sich so recht in ihrem
Elemente. Ihre derbe Sprache, ihre Flüche und Streitigkeiten, ja selbst ihre
Trunkenheit und ihre rohe Erzählungen behagten ihr, wie ein wohlthuendes
Gewürz nach der Langenweile des langen Tages und der nüchternen Salbaderei
des Dvrfschulmeisters. Sobald die Sonne hinter dem westlichen Walde ver¬
sank, sehnte sie den Augenblick herbei, wo der erste Holzschuh auf der Diele
klappte. Und obwohl sie oft den ganzen Abend in dem abscheulichen Ta-
baksqualm und Fnselgeruch husten mußte, fühlte sie sich doch niemals glück¬
licher als in diesem Kreise gutmütiger Alten, deren Freude und Stolz sie
wiederum war.

Da war der dicke Jäger Martl", ein alter Graubart, der jeden Augenblick
eine Prise ans einem großen, ledernen Beutel nahm und wie ein Fuchsbnlg
roch. Da war der taube Anders, der kleine, behende Weber Zacharias, der
wie ein Buch redete, der alte Violinspieler Franz Michelsen und der schwer¬
mütige Steinhauer Sören, der stets, wenn er sich setzte, "Ach du lieber Gott"
sagte, und "Herr Jesus auch", so öfter einen Schluck nahm. Vor allem aber
war der Lars Nyndbh oder Lars Eiuauge, ein alter Seeläuder und ein wahres


Junge Liebe

das Alles hatte sie vom Vater; ebenso die etwas heisere Stimme und das
leichte, verschlagene Lächeln, das ihre Lippen umspielte, wem? sie wie zufällig
mitten in ihrer Fröhlichkeit in Gedanken versank.

Aber ihr Haar war von leichterem Rot, floß glatt und blank über ihre
lllangeäderten Schläfen und verbarg mit zwei schonen Flechten die tiefe Nacken¬
grube. Das Auge war größer, klarer, tiefer. Dem träumenden Waldsee
ähnlich schaute es unter den Braue» und ans dem dunkeln Kranze langer
Wimpern hervor.

Von der Mutter hatte sie nur den ruhigen Blick und den laugen, blendend¬
weißen Hals. Und wie infolge eines Gefühls ihrer innern und äußern Ver¬
schiedenheit hatte sich Martha schon als Kind fern von jeder Vertraulichkeit
mit ihr gehalten, ja mit der kalten Verachtung einer Fremden das Geschöpf
betrachtet, das sich ihre Mutter nannte.

Überhaupt war sie, während sie hernnwnchs, sich selber fast völlig über¬
lassen gewesen. Im Dorfe, dessen Schule sie seit ihrem siebenten Jahre be¬
suchte, hielten sich die wohlhabendern Bauernkinder absichtlich von ihr zurück,
und selbst die gleichgestellten fühlten sich scheu und verlegen dem seltsamen,
fremdartigen Kinde gegenüber, von dem sie so viel abenteuerliches gehört
hatten und dessen Wildheit und sonderbare Einfälle sie deshalb doppelt
ängstigten.

In ihrer Einsamkeit hatte sie dagegen ihre ganze Liebe ans den „Klub"
übertragen. Diese alten, merkwürdigen Burschen, zwischen deren Füßen sie sich
wie ein verzognes Kätzchen getummelt hatte, und unter deren fast väterlicher
Fürsorge sie aufgewachsen war, waren allmählich ihre einzigen und wirklichen
Freunde geworden. In ihrer Gesellschaft fühlte sie sich so recht in ihrem
Elemente. Ihre derbe Sprache, ihre Flüche und Streitigkeiten, ja selbst ihre
Trunkenheit und ihre rohe Erzählungen behagten ihr, wie ein wohlthuendes
Gewürz nach der Langenweile des langen Tages und der nüchternen Salbaderei
des Dvrfschulmeisters. Sobald die Sonne hinter dem westlichen Walde ver¬
sank, sehnte sie den Augenblick herbei, wo der erste Holzschuh auf der Diele
klappte. Und obwohl sie oft den ganzen Abend in dem abscheulichen Ta-
baksqualm und Fnselgeruch husten mußte, fühlte sie sich doch niemals glück¬
licher als in diesem Kreise gutmütiger Alten, deren Freude und Stolz sie
wiederum war.

Da war der dicke Jäger Martl», ein alter Graubart, der jeden Augenblick
eine Prise ans einem großen, ledernen Beutel nahm und wie ein Fuchsbnlg
roch. Da war der taube Anders, der kleine, behende Weber Zacharias, der
wie ein Buch redete, der alte Violinspieler Franz Michelsen und der schwer¬
mütige Steinhauer Sören, der stets, wenn er sich setzte, „Ach du lieber Gott"
sagte, und „Herr Jesus auch", so öfter einen Schluck nahm. Vor allem aber
war der Lars Nyndbh oder Lars Eiuauge, ein alter Seeläuder und ein wahres


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[0104] Junge Liebe das Alles hatte sie vom Vater; ebenso die etwas heisere Stimme und das leichte, verschlagene Lächeln, das ihre Lippen umspielte, wem? sie wie zufällig mitten in ihrer Fröhlichkeit in Gedanken versank. Aber ihr Haar war von leichterem Rot, floß glatt und blank über ihre lllangeäderten Schläfen und verbarg mit zwei schonen Flechten die tiefe Nacken¬ grube. Das Auge war größer, klarer, tiefer. Dem träumenden Waldsee ähnlich schaute es unter den Braue» und ans dem dunkeln Kranze langer Wimpern hervor. Von der Mutter hatte sie nur den ruhigen Blick und den laugen, blendend¬ weißen Hals. Und wie infolge eines Gefühls ihrer innern und äußern Ver¬ schiedenheit hatte sich Martha schon als Kind fern von jeder Vertraulichkeit mit ihr gehalten, ja mit der kalten Verachtung einer Fremden das Geschöpf betrachtet, das sich ihre Mutter nannte. Überhaupt war sie, während sie hernnwnchs, sich selber fast völlig über¬ lassen gewesen. Im Dorfe, dessen Schule sie seit ihrem siebenten Jahre be¬ suchte, hielten sich die wohlhabendern Bauernkinder absichtlich von ihr zurück, und selbst die gleichgestellten fühlten sich scheu und verlegen dem seltsamen, fremdartigen Kinde gegenüber, von dem sie so viel abenteuerliches gehört hatten und dessen Wildheit und sonderbare Einfälle sie deshalb doppelt ängstigten. In ihrer Einsamkeit hatte sie dagegen ihre ganze Liebe ans den „Klub" übertragen. Diese alten, merkwürdigen Burschen, zwischen deren Füßen sie sich wie ein verzognes Kätzchen getummelt hatte, und unter deren fast väterlicher Fürsorge sie aufgewachsen war, waren allmählich ihre einzigen und wirklichen Freunde geworden. In ihrer Gesellschaft fühlte sie sich so recht in ihrem Elemente. Ihre derbe Sprache, ihre Flüche und Streitigkeiten, ja selbst ihre Trunkenheit und ihre rohe Erzählungen behagten ihr, wie ein wohlthuendes Gewürz nach der Langenweile des langen Tages und der nüchternen Salbaderei des Dvrfschulmeisters. Sobald die Sonne hinter dem westlichen Walde ver¬ sank, sehnte sie den Augenblick herbei, wo der erste Holzschuh auf der Diele klappte. Und obwohl sie oft den ganzen Abend in dem abscheulichen Ta- baksqualm und Fnselgeruch husten mußte, fühlte sie sich doch niemals glück¬ licher als in diesem Kreise gutmütiger Alten, deren Freude und Stolz sie wiederum war. Da war der dicke Jäger Martl», ein alter Graubart, der jeden Augenblick eine Prise ans einem großen, ledernen Beutel nahm und wie ein Fuchsbnlg roch. Da war der taube Anders, der kleine, behende Weber Zacharias, der wie ein Buch redete, der alte Violinspieler Franz Michelsen und der schwer¬ mütige Steinhauer Sören, der stets, wenn er sich setzte, „Ach du lieber Gott" sagte, und „Herr Jesus auch", so öfter einen Schluck nahm. Vor allem aber war der Lars Nyndbh oder Lars Eiuauge, ein alter Seeläuder und ein wahres

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/104>, abgerufen am 30.06.2024.