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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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in der katholischen Kirche unwandelbar festgestellt. Dennoch bleibe aus diesem
Gebiete noch ein weiter Spielraum für Veränderungen übrig, die entweder die
wandelnde Gestalt der Verhältnisse notwendig mache, oder auch die Gewalt
der Umstände gebieterisch aufdringen könne, ohne daß die Lebensbedingungen
der katholischen Kirche dadurch berührt würden. So sei die mittelbare Gewalt
der Päpste über die Fürsten der Erde uicht sowohl aus der Natur des Christen¬
tums, als vielmehr aus den ganz eigentümlichen Verhältnissen des Mittelalters
zu erklären, unter deren Obwalten sie allerdings viel des Bösen verhinderten
und viel des Guten aufrecht erhielten; in der gegenwärtigen Ausbildung des
bürgerlichen Lebens könne diese Gewalt aber unmöglich geltend gemacht werden.
Er will wohl die Kirche in die volle Übung ihrer Rechte -- die sie in
Österreich, wie er meint, entbehre -- wieder eingesetzt wissen, aber diese Übung
soll in "zeitgemäße Formen" gebracht werden.

In solchen Ausführungen kündigt sich der Bischof, der das Konkordat
abschließen sollte, schon an. So ganz uach dem Willen der Kurie war er
nicht; es war, als wenn auch in ihm noch ein Tropfen josephimschen Blutes
flösse, der es ihm verbot, die Interessen des Staates, dessen Bürger er war,
ganz zu vergessen.

1844 erhielt Rauscher von Kaiserin Karolina Augusta den Auftrag, den
Erzherzog Franz Joseph in das Studium der Philosophie einzuführen. Er
äußerte sich darüber an den Kardinal Fürsten Schwarzenberg, der in Salzburg
sein Schüler gewesen war: "Man hat mir den Unterricht in der Philosophie
bei dem ältesten Sohn des Erzherzogs Franz Karl übertragen, und dies ließ
sich natürlich nicht ablehnen. Nun habe ich zwar wöchentlich nnr drei Stunden
zu geben; indessen wird es im Sommer, da ich nach Schönbrunn fahren muß,
mich doch drei Vormittage kosten, und was die Hauptsache ist, ich weiß kein
Lehrbuch anzuempfehlen. Die deutsche Philosophie befindet sich in einer ver¬
worrenen Übergangsperiode; sie ringt nach einer klärenden Krise, welche jedoch
noch keineswegs eingetreten ist. Kants Mängel und Verstöße sind hinlänglich
nachgewiesen, aber alle Versuche, über ihn hinauszukommen, sind zum Teil
ohne alles für die Wissenschaft wichtige Ergebnis geblieben, zum Teil haben
sie zu weit schlimmern Irrtümern geführt. Ich sehe mich also genötigt, zum
Behuf meiner Vorträge einen Abriß der Philosophie zu verfassen, und ich
brauche Ew. Eminenz nicht zu sagen, daß dies keine kleine Arbeit ist, umso-
mehr, da alles nach den Bedürfnissen eines Prinzen, welcher zwar viele Talente
besitzt, aber erst im fünfzehnten Jahre ist, berechnet sein muß."

Auch die jüngern Brüder Franz Josephs, die Erzherzoge Ferdinand Max,
der spätere Kaiser von Mexiko, und Karl Ludwig, wurden, als sie in den
sogenannten philosophischen Kurs, der dein Faknltätsstndium vorausging,
eintraten, der Leitung Rauschers anvertraut. So trat er um die Mitte der
vierziger Jahre in mannichfache Beziehungen zum Kaiserhnuse.


in der katholischen Kirche unwandelbar festgestellt. Dennoch bleibe aus diesem
Gebiete noch ein weiter Spielraum für Veränderungen übrig, die entweder die
wandelnde Gestalt der Verhältnisse notwendig mache, oder auch die Gewalt
der Umstände gebieterisch aufdringen könne, ohne daß die Lebensbedingungen
der katholischen Kirche dadurch berührt würden. So sei die mittelbare Gewalt
der Päpste über die Fürsten der Erde uicht sowohl aus der Natur des Christen¬
tums, als vielmehr aus den ganz eigentümlichen Verhältnissen des Mittelalters
zu erklären, unter deren Obwalten sie allerdings viel des Bösen verhinderten
und viel des Guten aufrecht erhielten; in der gegenwärtigen Ausbildung des
bürgerlichen Lebens könne diese Gewalt aber unmöglich geltend gemacht werden.
Er will wohl die Kirche in die volle Übung ihrer Rechte — die sie in
Österreich, wie er meint, entbehre — wieder eingesetzt wissen, aber diese Übung
soll in „zeitgemäße Formen" gebracht werden.

In solchen Ausführungen kündigt sich der Bischof, der das Konkordat
abschließen sollte, schon an. So ganz uach dem Willen der Kurie war er
nicht; es war, als wenn auch in ihm noch ein Tropfen josephimschen Blutes
flösse, der es ihm verbot, die Interessen des Staates, dessen Bürger er war,
ganz zu vergessen.

1844 erhielt Rauscher von Kaiserin Karolina Augusta den Auftrag, den
Erzherzog Franz Joseph in das Studium der Philosophie einzuführen. Er
äußerte sich darüber an den Kardinal Fürsten Schwarzenberg, der in Salzburg
sein Schüler gewesen war: „Man hat mir den Unterricht in der Philosophie
bei dem ältesten Sohn des Erzherzogs Franz Karl übertragen, und dies ließ
sich natürlich nicht ablehnen. Nun habe ich zwar wöchentlich nnr drei Stunden
zu geben; indessen wird es im Sommer, da ich nach Schönbrunn fahren muß,
mich doch drei Vormittage kosten, und was die Hauptsache ist, ich weiß kein
Lehrbuch anzuempfehlen. Die deutsche Philosophie befindet sich in einer ver¬
worrenen Übergangsperiode; sie ringt nach einer klärenden Krise, welche jedoch
noch keineswegs eingetreten ist. Kants Mängel und Verstöße sind hinlänglich
nachgewiesen, aber alle Versuche, über ihn hinauszukommen, sind zum Teil
ohne alles für die Wissenschaft wichtige Ergebnis geblieben, zum Teil haben
sie zu weit schlimmern Irrtümern geführt. Ich sehe mich also genötigt, zum
Behuf meiner Vorträge einen Abriß der Philosophie zu verfassen, und ich
brauche Ew. Eminenz nicht zu sagen, daß dies keine kleine Arbeit ist, umso-
mehr, da alles nach den Bedürfnissen eines Prinzen, welcher zwar viele Talente
besitzt, aber erst im fünfzehnten Jahre ist, berechnet sein muß."

Auch die jüngern Brüder Franz Josephs, die Erzherzoge Ferdinand Max,
der spätere Kaiser von Mexiko, und Karl Ludwig, wurden, als sie in den
sogenannten philosophischen Kurs, der dein Faknltätsstndium vorausging,
eintraten, der Leitung Rauschers anvertraut. So trat er um die Mitte der
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[0075] in der katholischen Kirche unwandelbar festgestellt. Dennoch bleibe aus diesem Gebiete noch ein weiter Spielraum für Veränderungen übrig, die entweder die wandelnde Gestalt der Verhältnisse notwendig mache, oder auch die Gewalt der Umstände gebieterisch aufdringen könne, ohne daß die Lebensbedingungen der katholischen Kirche dadurch berührt würden. So sei die mittelbare Gewalt der Päpste über die Fürsten der Erde uicht sowohl aus der Natur des Christen¬ tums, als vielmehr aus den ganz eigentümlichen Verhältnissen des Mittelalters zu erklären, unter deren Obwalten sie allerdings viel des Bösen verhinderten und viel des Guten aufrecht erhielten; in der gegenwärtigen Ausbildung des bürgerlichen Lebens könne diese Gewalt aber unmöglich geltend gemacht werden. Er will wohl die Kirche in die volle Übung ihrer Rechte — die sie in Österreich, wie er meint, entbehre — wieder eingesetzt wissen, aber diese Übung soll in „zeitgemäße Formen" gebracht werden. In solchen Ausführungen kündigt sich der Bischof, der das Konkordat abschließen sollte, schon an. So ganz uach dem Willen der Kurie war er nicht; es war, als wenn auch in ihm noch ein Tropfen josephimschen Blutes flösse, der es ihm verbot, die Interessen des Staates, dessen Bürger er war, ganz zu vergessen. 1844 erhielt Rauscher von Kaiserin Karolina Augusta den Auftrag, den Erzherzog Franz Joseph in das Studium der Philosophie einzuführen. Er äußerte sich darüber an den Kardinal Fürsten Schwarzenberg, der in Salzburg sein Schüler gewesen war: „Man hat mir den Unterricht in der Philosophie bei dem ältesten Sohn des Erzherzogs Franz Karl übertragen, und dies ließ sich natürlich nicht ablehnen. Nun habe ich zwar wöchentlich nnr drei Stunden zu geben; indessen wird es im Sommer, da ich nach Schönbrunn fahren muß, mich doch drei Vormittage kosten, und was die Hauptsache ist, ich weiß kein Lehrbuch anzuempfehlen. Die deutsche Philosophie befindet sich in einer ver¬ worrenen Übergangsperiode; sie ringt nach einer klärenden Krise, welche jedoch noch keineswegs eingetreten ist. Kants Mängel und Verstöße sind hinlänglich nachgewiesen, aber alle Versuche, über ihn hinauszukommen, sind zum Teil ohne alles für die Wissenschaft wichtige Ergebnis geblieben, zum Teil haben sie zu weit schlimmern Irrtümern geführt. Ich sehe mich also genötigt, zum Behuf meiner Vorträge einen Abriß der Philosophie zu verfassen, und ich brauche Ew. Eminenz nicht zu sagen, daß dies keine kleine Arbeit ist, umso- mehr, da alles nach den Bedürfnissen eines Prinzen, welcher zwar viele Talente besitzt, aber erst im fünfzehnten Jahre ist, berechnet sein muß." Auch die jüngern Brüder Franz Josephs, die Erzherzoge Ferdinand Max, der spätere Kaiser von Mexiko, und Karl Ludwig, wurden, als sie in den sogenannten philosophischen Kurs, der dein Faknltätsstndium vorausging, eintraten, der Leitung Rauschers anvertraut. So trat er um die Mitte der vierziger Jahre in mannichfache Beziehungen zum Kaiserhnuse.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/75>, abgerufen am 05.02.2025.