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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Aus dem Leben des Aardinals Rauscher

Deal sie ist doch gar zu sehr Apologie und zwar nicht eine kräftig begeisterte,
von evangelischem Feuer erfüllte, fortreißende und erhebende, sondern eine
salbungsvolle und rührselige, die nur in einem Auditorium von Lnndgeistlichen
oder in katholischen Brüderschaften und Gesellenvereineu wirken könnte. Ver¬
gebens suchen wir eine tiefere Charakteristik des merkwürdigen Menschen, der
Ranscher doch war, wir sehen immer nur den frommen Priester und Bischof;
vergebens suchen wir auch den Staatsmann altösterreichischer Schule, nur die
Umstände seiner äußern Wirksamkeit als solcher sind uns vorgeführt, nicht sein
eigentliches Wesen, sein Wachsen und Werden, sein Zusammenhang mit den geistigen
und politischen Strömungen des Zeitalters. Immerhin aber hat der würdige
Schottenmönch, der der Verfasser dieser Lebensbeschreibung ist, dem künstigen
wirklichen Biographen des Kardinals wacker vorgearbeitet und ihm viele Steine
zu seinem Bau geliefert.

Fast zu derselben Zeit wie dieses Buch ist der Band der Allgemeinen
Deutschen Biographie erschienen, der den Artikel Ranscher enthält; er stammt
aus der Feder Schuttes, der zu der Zeit, wo er noch in Prag Professor
des Kirchenrechts war, öfters Gelegenheit hatte, mit Ranscher zu Verkehren.
Namentlich über die Periode 1859 --1870 enthält sein Aufsatz, der sich natürlich
in engen Grenzen halten mußte, wertvolle Mitteilungen über die Ansichten
und die Thätigkeit des Kardinals; seine Würdigung desselben ist im ganzen
viel freier und unbefangener als die des ?. Wolfsgruber. Immerhin ist es
zu bedauern, daß Schulte vou den Aufschlüssen, die dieser über die Jugend
und über die rein geistliche Wirksamkeit Nnnschens giebt, für seinen Artikel
keinen Gebrauch mehr machen konnte.

Josef Othmar von Rauscher gehörte einer guten Wiener Familie an,
Großvater und Vater waren höhere kaiserliche Beamte gewesen, der Vater
infolge feiner Verdienste in den Adels- und Ritterstand erhoben worden. Auch
der Sohn sollte sich dem Staatsdienst widmen und bezog 1816 die Universität
seiner Vaterstadt. An der juristischen Fukultät herrschten damals noch im
ganzen die josefinischen Einrichtungen; vor allem wurde auf Einzelkenntnis
des österreichischen Rechtes gesehen, wie es sich hauptsächlich in den kaiserlichen
Verordnungen darstellte; daneben auf die Aneignung der naturwissenschaftlichen
Prinzipien. Von der geschichtlichen Entwicklung des Rechtes sah man völlig
ab, der Umschwung, den in Deutschland Savigny und die rechtshistorische
Schule in den juristischen Studien bewirkt hatten, wirkte nach Österreich nicht
herüber. So war denn die Jurisprudenz hier zum Teil eine abstrakte philo¬
sophische Disziplin, zum Teil ein trockenes Gedächtniswissen. Ranscher fand,
obwohl sehr gewissenhaft in der Erfüllung seiner Studentenpflicht, bald keine
Befriedigung darin. Zuerst suchte er diese in der Poesie: mit Erstaunen hören
wir von seinem Biographen, daß er in seiner Jugend ein eifriger Dichter ge¬
wesen ist, und -- nach den mitgeteilten Proben zu schließe" -- kein uubegabter.


Aus dem Leben des Aardinals Rauscher

Deal sie ist doch gar zu sehr Apologie und zwar nicht eine kräftig begeisterte,
von evangelischem Feuer erfüllte, fortreißende und erhebende, sondern eine
salbungsvolle und rührselige, die nur in einem Auditorium von Lnndgeistlichen
oder in katholischen Brüderschaften und Gesellenvereineu wirken könnte. Ver¬
gebens suchen wir eine tiefere Charakteristik des merkwürdigen Menschen, der
Ranscher doch war, wir sehen immer nur den frommen Priester und Bischof;
vergebens suchen wir auch den Staatsmann altösterreichischer Schule, nur die
Umstände seiner äußern Wirksamkeit als solcher sind uns vorgeführt, nicht sein
eigentliches Wesen, sein Wachsen und Werden, sein Zusammenhang mit den geistigen
und politischen Strömungen des Zeitalters. Immerhin aber hat der würdige
Schottenmönch, der der Verfasser dieser Lebensbeschreibung ist, dem künstigen
wirklichen Biographen des Kardinals wacker vorgearbeitet und ihm viele Steine
zu seinem Bau geliefert.

Fast zu derselben Zeit wie dieses Buch ist der Band der Allgemeinen
Deutschen Biographie erschienen, der den Artikel Ranscher enthält; er stammt
aus der Feder Schuttes, der zu der Zeit, wo er noch in Prag Professor
des Kirchenrechts war, öfters Gelegenheit hatte, mit Ranscher zu Verkehren.
Namentlich über die Periode 1859 —1870 enthält sein Aufsatz, der sich natürlich
in engen Grenzen halten mußte, wertvolle Mitteilungen über die Ansichten
und die Thätigkeit des Kardinals; seine Würdigung desselben ist im ganzen
viel freier und unbefangener als die des ?. Wolfsgruber. Immerhin ist es
zu bedauern, daß Schulte vou den Aufschlüssen, die dieser über die Jugend
und über die rein geistliche Wirksamkeit Nnnschens giebt, für seinen Artikel
keinen Gebrauch mehr machen konnte.

Josef Othmar von Rauscher gehörte einer guten Wiener Familie an,
Großvater und Vater waren höhere kaiserliche Beamte gewesen, der Vater
infolge feiner Verdienste in den Adels- und Ritterstand erhoben worden. Auch
der Sohn sollte sich dem Staatsdienst widmen und bezog 1816 die Universität
seiner Vaterstadt. An der juristischen Fukultät herrschten damals noch im
ganzen die josefinischen Einrichtungen; vor allem wurde auf Einzelkenntnis
des österreichischen Rechtes gesehen, wie es sich hauptsächlich in den kaiserlichen
Verordnungen darstellte; daneben auf die Aneignung der naturwissenschaftlichen
Prinzipien. Von der geschichtlichen Entwicklung des Rechtes sah man völlig
ab, der Umschwung, den in Deutschland Savigny und die rechtshistorische
Schule in den juristischen Studien bewirkt hatten, wirkte nach Österreich nicht
herüber. So war denn die Jurisprudenz hier zum Teil eine abstrakte philo¬
sophische Disziplin, zum Teil ein trockenes Gedächtniswissen. Ranscher fand,
obwohl sehr gewissenhaft in der Erfüllung seiner Studentenpflicht, bald keine
Befriedigung darin. Zuerst suchte er diese in der Poesie: mit Erstaunen hören
wir von seinem Biographen, daß er in seiner Jugend ein eifriger Dichter ge¬
wesen ist, und — nach den mitgeteilten Proben zu schließe« — kein uubegabter.


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[0071] Aus dem Leben des Aardinals Rauscher Deal sie ist doch gar zu sehr Apologie und zwar nicht eine kräftig begeisterte, von evangelischem Feuer erfüllte, fortreißende und erhebende, sondern eine salbungsvolle und rührselige, die nur in einem Auditorium von Lnndgeistlichen oder in katholischen Brüderschaften und Gesellenvereineu wirken könnte. Ver¬ gebens suchen wir eine tiefere Charakteristik des merkwürdigen Menschen, der Ranscher doch war, wir sehen immer nur den frommen Priester und Bischof; vergebens suchen wir auch den Staatsmann altösterreichischer Schule, nur die Umstände seiner äußern Wirksamkeit als solcher sind uns vorgeführt, nicht sein eigentliches Wesen, sein Wachsen und Werden, sein Zusammenhang mit den geistigen und politischen Strömungen des Zeitalters. Immerhin aber hat der würdige Schottenmönch, der der Verfasser dieser Lebensbeschreibung ist, dem künstigen wirklichen Biographen des Kardinals wacker vorgearbeitet und ihm viele Steine zu seinem Bau geliefert. Fast zu derselben Zeit wie dieses Buch ist der Band der Allgemeinen Deutschen Biographie erschienen, der den Artikel Ranscher enthält; er stammt aus der Feder Schuttes, der zu der Zeit, wo er noch in Prag Professor des Kirchenrechts war, öfters Gelegenheit hatte, mit Ranscher zu Verkehren. Namentlich über die Periode 1859 —1870 enthält sein Aufsatz, der sich natürlich in engen Grenzen halten mußte, wertvolle Mitteilungen über die Ansichten und die Thätigkeit des Kardinals; seine Würdigung desselben ist im ganzen viel freier und unbefangener als die des ?. Wolfsgruber. Immerhin ist es zu bedauern, daß Schulte vou den Aufschlüssen, die dieser über die Jugend und über die rein geistliche Wirksamkeit Nnnschens giebt, für seinen Artikel keinen Gebrauch mehr machen konnte. Josef Othmar von Rauscher gehörte einer guten Wiener Familie an, Großvater und Vater waren höhere kaiserliche Beamte gewesen, der Vater infolge feiner Verdienste in den Adels- und Ritterstand erhoben worden. Auch der Sohn sollte sich dem Staatsdienst widmen und bezog 1816 die Universität seiner Vaterstadt. An der juristischen Fukultät herrschten damals noch im ganzen die josefinischen Einrichtungen; vor allem wurde auf Einzelkenntnis des österreichischen Rechtes gesehen, wie es sich hauptsächlich in den kaiserlichen Verordnungen darstellte; daneben auf die Aneignung der naturwissenschaftlichen Prinzipien. Von der geschichtlichen Entwicklung des Rechtes sah man völlig ab, der Umschwung, den in Deutschland Savigny und die rechtshistorische Schule in den juristischen Studien bewirkt hatten, wirkte nach Österreich nicht herüber. So war denn die Jurisprudenz hier zum Teil eine abstrakte philo¬ sophische Disziplin, zum Teil ein trockenes Gedächtniswissen. Ranscher fand, obwohl sehr gewissenhaft in der Erfüllung seiner Studentenpflicht, bald keine Befriedigung darin. Zuerst suchte er diese in der Poesie: mit Erstaunen hören wir von seinem Biographen, daß er in seiner Jugend ein eifriger Dichter ge¬ wesen ist, und — nach den mitgeteilten Proben zu schließe« — kein uubegabter.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/71>, abgerufen am 05.02.2025.