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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Litteratur

noch verächtlich die Nase rümpfen, sich einmal das Sündenregister völlig unnötiger
Fremdwörter ansähen -- Maler hat es aus weitverbreiteten Lehrbüchern zusammen¬
gestellt --, mit denen sich unsre Jungen herumschlagen müssen, ehe sie zur Haupt¬
sache kämmen; sie würden dann gewiß nicht, wie die Herren Beirdd und Wendt,
gerade der Schule, d. h. deu Lehrer", das Recht und die Pflicht bestreiten, in den
Kampf für die Muttersprache mit einzutreten. -- Ein Versehen, wie das ans Seite 16,
daß das Grimmsche Wörterbuch jetzt bis K fortgeführt sei, während doch auf
Seite 34 erwähnt ist, daß ebendort 730 Zusammensetzungen des Wortes Land
ausgeführt würden, hätte dem Verfasser nicht begegnen dürfen.


Aus vergangenen Tagen. Drei Erzählungen von Ada Linden.
Leipzig, C. F. Winter, 1838.

Die dritte Erzählung ist die hübscheste. Die "Hexe von Heidebnrg" führt in
das zweite Jahrzehnt des sechzehnten Jahrhunderts, an die Schwelle des Nefor-
mationszeitaltcrs, und berichtet von der merkwürdigen Selbstaufopferung eines
heldenhaften Mädchens, zur Rettung des Mannes, den es liebt, obgleich er aus
Standesrücksichten sie doch nicht heiratet. So überschwänglich unwahrscheinlich diese
Geschichte ist, so verrät sie doch Talent. Die verschiednen Urteile über die heroische
Gertrudis, die dem Wahn des Volkes zum Opfer fällt, aus einander zu halten, diesen
Hexenglauben selbst im Werden zu veranschaulichen, war nicht leicht. Die Dar¬
stellung ist entweder zu breit oder zu kurz; der Stoff nämlich hätte die Roman¬
form gefordert; die Verfasserin begnügt sich aber mit Referaten dort, wo sie die
Handlungen bildhaft hätte vor Angen stellen sollen, und Referate sind immer lang¬
weilig. An dieser Unsicherheit verrät sich die ihrer selbst noch unbewußte weibliche
Kunst. Die ersten zwei Erzählungen stehen nicht auf derselben Höhe. Phcintastik
und Geschichte ^sind dort zu sehr verwoben; nachgerade aber sollte die Erkenntnis
festsitzen, daß nur erfundene Fabeln romanhafte Darstellung vertragen, während die
Motivirung großer politischer Ereignisse mit erotischen Geschichten die Größe der
Wirklichkeit zu fälschen pflegt. Dies gilt insbesondre für die zweite Erzählung, in
der Stephan Fadinger, der oberösterreichische Bauernführer, den Mittelpunkt bildet.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Gruuow in Leipzig
Verlag von Fr. Will). Gruuow in Leipzig -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Litteratur

noch verächtlich die Nase rümpfen, sich einmal das Sündenregister völlig unnötiger
Fremdwörter ansähen — Maler hat es aus weitverbreiteten Lehrbüchern zusammen¬
gestellt —, mit denen sich unsre Jungen herumschlagen müssen, ehe sie zur Haupt¬
sache kämmen; sie würden dann gewiß nicht, wie die Herren Beirdd und Wendt,
gerade der Schule, d. h. deu Lehrer«, das Recht und die Pflicht bestreiten, in den
Kampf für die Muttersprache mit einzutreten. — Ein Versehen, wie das ans Seite 16,
daß das Grimmsche Wörterbuch jetzt bis K fortgeführt sei, während doch auf
Seite 34 erwähnt ist, daß ebendort 730 Zusammensetzungen des Wortes Land
ausgeführt würden, hätte dem Verfasser nicht begegnen dürfen.


Aus vergangenen Tagen. Drei Erzählungen von Ada Linden.
Leipzig, C. F. Winter, 1838.

Die dritte Erzählung ist die hübscheste. Die „Hexe von Heidebnrg" führt in
das zweite Jahrzehnt des sechzehnten Jahrhunderts, an die Schwelle des Nefor-
mationszeitaltcrs, und berichtet von der merkwürdigen Selbstaufopferung eines
heldenhaften Mädchens, zur Rettung des Mannes, den es liebt, obgleich er aus
Standesrücksichten sie doch nicht heiratet. So überschwänglich unwahrscheinlich diese
Geschichte ist, so verrät sie doch Talent. Die verschiednen Urteile über die heroische
Gertrudis, die dem Wahn des Volkes zum Opfer fällt, aus einander zu halten, diesen
Hexenglauben selbst im Werden zu veranschaulichen, war nicht leicht. Die Dar¬
stellung ist entweder zu breit oder zu kurz; der Stoff nämlich hätte die Roman¬
form gefordert; die Verfasserin begnügt sich aber mit Referaten dort, wo sie die
Handlungen bildhaft hätte vor Angen stellen sollen, und Referate sind immer lang¬
weilig. An dieser Unsicherheit verrät sich die ihrer selbst noch unbewußte weibliche
Kunst. Die ersten zwei Erzählungen stehen nicht auf derselben Höhe. Phcintastik
und Geschichte ^sind dort zu sehr verwoben; nachgerade aber sollte die Erkenntnis
festsitzen, daß nur erfundene Fabeln romanhafte Darstellung vertragen, während die
Motivirung großer politischer Ereignisse mit erotischen Geschichten die Größe der
Wirklichkeit zu fälschen pflegt. Dies gilt insbesondre für die zweite Erzählung, in
der Stephan Fadinger, der oberösterreichische Bauernführer, den Mittelpunkt bildet.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Gruuow in Leipzig
Verlag von Fr. Will). Gruuow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0628] Litteratur noch verächtlich die Nase rümpfen, sich einmal das Sündenregister völlig unnötiger Fremdwörter ansähen — Maler hat es aus weitverbreiteten Lehrbüchern zusammen¬ gestellt —, mit denen sich unsre Jungen herumschlagen müssen, ehe sie zur Haupt¬ sache kämmen; sie würden dann gewiß nicht, wie die Herren Beirdd und Wendt, gerade der Schule, d. h. deu Lehrer«, das Recht und die Pflicht bestreiten, in den Kampf für die Muttersprache mit einzutreten. — Ein Versehen, wie das ans Seite 16, daß das Grimmsche Wörterbuch jetzt bis K fortgeführt sei, während doch auf Seite 34 erwähnt ist, daß ebendort 730 Zusammensetzungen des Wortes Land ausgeführt würden, hätte dem Verfasser nicht begegnen dürfen. Aus vergangenen Tagen. Drei Erzählungen von Ada Linden. Leipzig, C. F. Winter, 1838. Die dritte Erzählung ist die hübscheste. Die „Hexe von Heidebnrg" führt in das zweite Jahrzehnt des sechzehnten Jahrhunderts, an die Schwelle des Nefor- mationszeitaltcrs, und berichtet von der merkwürdigen Selbstaufopferung eines heldenhaften Mädchens, zur Rettung des Mannes, den es liebt, obgleich er aus Standesrücksichten sie doch nicht heiratet. So überschwänglich unwahrscheinlich diese Geschichte ist, so verrät sie doch Talent. Die verschiednen Urteile über die heroische Gertrudis, die dem Wahn des Volkes zum Opfer fällt, aus einander zu halten, diesen Hexenglauben selbst im Werden zu veranschaulichen, war nicht leicht. Die Dar¬ stellung ist entweder zu breit oder zu kurz; der Stoff nämlich hätte die Roman¬ form gefordert; die Verfasserin begnügt sich aber mit Referaten dort, wo sie die Handlungen bildhaft hätte vor Angen stellen sollen, und Referate sind immer lang¬ weilig. An dieser Unsicherheit verrät sich die ihrer selbst noch unbewußte weibliche Kunst. Die ersten zwei Erzählungen stehen nicht auf derselben Höhe. Phcintastik und Geschichte ^sind dort zu sehr verwoben; nachgerade aber sollte die Erkenntnis festsitzen, daß nur erfundene Fabeln romanhafte Darstellung vertragen, während die Motivirung großer politischer Ereignisse mit erotischen Geschichten die Größe der Wirklichkeit zu fälschen pflegt. Dies gilt insbesondre für die zweite Erzählung, in der Stephan Fadinger, der oberösterreichische Bauernführer, den Mittelpunkt bildet. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Gruuow in Leipzig Verlag von Fr. Will). Gruuow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/628>, abgerufen am 05.02.2025.