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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Line ägyptische Kunstgeschichte

Geschichte Babyloniens und Assyriens, beide reich illustrirt, unternimmt, wird
dafür durch manche Erweiterung seines Gesichtskreises belohnt.

Das zweite Kapitel "Religiöse Baukunst" und das dritte "Die Gräber"
sind Meisterwerke einer bei aller Knappheit den Stoff erschöpfenden und licht¬
vollen Darstellung, die stets bemüht bleibt, Eigentümlichkeiten in Einrichtung
und Ausschmückung dieser Bauwerke aus den religiösen Vorstellungen zu er¬
klären. Nur schade, daß selbst Maspero nicht einsieht, eine Bauart wie diese
setze den Gebrauch von Maschinen und von vorzüglichen Werkzeugen voraus.
S. 1A7 knüpft er an die Mitteilung, daß im Mauerwerk der Pyramide"
Überreste von eisernen Werkzeugen gefunden worden sind, die Bemerkung:
"Wenn es nun sicher ist, daß die Ägypter das Eisen gekannt und angewendet
haben, so ist es ebenso sicher, daß sie keinen Stahl besessen haben." Warum
das letztere sicher sein soll, erfahren wir nicht. S. 44 betont er die Unvoll-
kommenheit der mechanischen Hilfsmittel, über die die Ägypter beim Ban
verfügten. Die "schiefe Ebene (Rampe), die sich in dem Maße verlängerte,
als das Denkmal stieg" (wie weit dann bei den Pyramiden?), und bei senk¬
rechten Wänden "ein großer Hebebaum, der auf der Mauerkrone aufgepflanzt
war," das sollen die Mittel zur Bewegung und Hebung gewaltiger Lasten
auf Bauwerke von der Höhe des Kölner Doms gewesen sein. Menschen, die
Bauten errichtet haben, denen die genauesten architektonischen Berechnungen
vorausgegangen sein müssen, sollten ihre mathematischen Kenntnisse nicht anch
auf den Ban so einfacher, fast nnr auf die Gesetze der schiefen Ebene und des
Hebels gegründeter Maschinen verwendet haben, wie solche im Altertum und
allezeit später im Gebrauch gewesen sind? Darin läge ein innerer Widerspruch.
Freilich, die heutige Richtung in der Wissenschaft, die auf "Spekulation"
(deutsch auf Nachdenken!) verzichtet, wird an die Maschinen der alten Ägypter
erst glauben, wenn ihr ein durch kaum denkbaren Zufall erhaltenes Exemplar
vor Augen kommen sollte. Über einen in letzter Zeit mehrfach erörterten
Punkt, die Beleuchtung der ägyptischen Tempel, erfahren wir auch von Maspero
nichts. Bekanntlich sind diese Tempel großenteils dunkel. Schon das Sank¬
tuarium ist in Dämmerung gehüllt, und dahinter in den letzten Sälen herrscht
völlige Nacht. Die auch dort alle Wände bedeckenden Inschriften und Malereien
sind (letztere auch in der lebhaften Farbengebung) auf künstliche Beleuchtung
der Räume berechnet, und doch hat sich bisher nirgends eine von den Spuren
gefunden, welche Fackel- und LaMpenbelenchtuug zurückzulassen pflegt.

Das vierte Kapitel ist der Malerei und Skuptur gewidmet und gleichfalls
von hohem Werte. Es giebt eine ebenso vollständige wie klare Übersicht.
Mit besondrer Liebe ist in Wort und Bild alles zusammengestellt, was auch
den Widerstrebendsten zu überzeugen geeignet ist, daß es neben der früher
allein bekannten Tempelkunst auch eine realistisch geartete bürgerliche, profane
gegeben hat.


Line ägyptische Kunstgeschichte

Geschichte Babyloniens und Assyriens, beide reich illustrirt, unternimmt, wird
dafür durch manche Erweiterung seines Gesichtskreises belohnt.

Das zweite Kapitel „Religiöse Baukunst" und das dritte „Die Gräber"
sind Meisterwerke einer bei aller Knappheit den Stoff erschöpfenden und licht¬
vollen Darstellung, die stets bemüht bleibt, Eigentümlichkeiten in Einrichtung
und Ausschmückung dieser Bauwerke aus den religiösen Vorstellungen zu er¬
klären. Nur schade, daß selbst Maspero nicht einsieht, eine Bauart wie diese
setze den Gebrauch von Maschinen und von vorzüglichen Werkzeugen voraus.
S. 1A7 knüpft er an die Mitteilung, daß im Mauerwerk der Pyramide»
Überreste von eisernen Werkzeugen gefunden worden sind, die Bemerkung:
„Wenn es nun sicher ist, daß die Ägypter das Eisen gekannt und angewendet
haben, so ist es ebenso sicher, daß sie keinen Stahl besessen haben." Warum
das letztere sicher sein soll, erfahren wir nicht. S. 44 betont er die Unvoll-
kommenheit der mechanischen Hilfsmittel, über die die Ägypter beim Ban
verfügten. Die „schiefe Ebene (Rampe), die sich in dem Maße verlängerte,
als das Denkmal stieg" (wie weit dann bei den Pyramiden?), und bei senk¬
rechten Wänden „ein großer Hebebaum, der auf der Mauerkrone aufgepflanzt
war," das sollen die Mittel zur Bewegung und Hebung gewaltiger Lasten
auf Bauwerke von der Höhe des Kölner Doms gewesen sein. Menschen, die
Bauten errichtet haben, denen die genauesten architektonischen Berechnungen
vorausgegangen sein müssen, sollten ihre mathematischen Kenntnisse nicht anch
auf den Ban so einfacher, fast nnr auf die Gesetze der schiefen Ebene und des
Hebels gegründeter Maschinen verwendet haben, wie solche im Altertum und
allezeit später im Gebrauch gewesen sind? Darin läge ein innerer Widerspruch.
Freilich, die heutige Richtung in der Wissenschaft, die auf „Spekulation"
(deutsch auf Nachdenken!) verzichtet, wird an die Maschinen der alten Ägypter
erst glauben, wenn ihr ein durch kaum denkbaren Zufall erhaltenes Exemplar
vor Augen kommen sollte. Über einen in letzter Zeit mehrfach erörterten
Punkt, die Beleuchtung der ägyptischen Tempel, erfahren wir auch von Maspero
nichts. Bekanntlich sind diese Tempel großenteils dunkel. Schon das Sank¬
tuarium ist in Dämmerung gehüllt, und dahinter in den letzten Sälen herrscht
völlige Nacht. Die auch dort alle Wände bedeckenden Inschriften und Malereien
sind (letztere auch in der lebhaften Farbengebung) auf künstliche Beleuchtung
der Räume berechnet, und doch hat sich bisher nirgends eine von den Spuren
gefunden, welche Fackel- und LaMpenbelenchtuug zurückzulassen pflegt.

Das vierte Kapitel ist der Malerei und Skuptur gewidmet und gleichfalls
von hohem Werte. Es giebt eine ebenso vollständige wie klare Übersicht.
Mit besondrer Liebe ist in Wort und Bild alles zusammengestellt, was auch
den Widerstrebendsten zu überzeugen geeignet ist, daß es neben der früher
allein bekannten Tempelkunst auch eine realistisch geartete bürgerliche, profane
gegeben hat.


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[0621] Line ägyptische Kunstgeschichte Geschichte Babyloniens und Assyriens, beide reich illustrirt, unternimmt, wird dafür durch manche Erweiterung seines Gesichtskreises belohnt. Das zweite Kapitel „Religiöse Baukunst" und das dritte „Die Gräber" sind Meisterwerke einer bei aller Knappheit den Stoff erschöpfenden und licht¬ vollen Darstellung, die stets bemüht bleibt, Eigentümlichkeiten in Einrichtung und Ausschmückung dieser Bauwerke aus den religiösen Vorstellungen zu er¬ klären. Nur schade, daß selbst Maspero nicht einsieht, eine Bauart wie diese setze den Gebrauch von Maschinen und von vorzüglichen Werkzeugen voraus. S. 1A7 knüpft er an die Mitteilung, daß im Mauerwerk der Pyramide» Überreste von eisernen Werkzeugen gefunden worden sind, die Bemerkung: „Wenn es nun sicher ist, daß die Ägypter das Eisen gekannt und angewendet haben, so ist es ebenso sicher, daß sie keinen Stahl besessen haben." Warum das letztere sicher sein soll, erfahren wir nicht. S. 44 betont er die Unvoll- kommenheit der mechanischen Hilfsmittel, über die die Ägypter beim Ban verfügten. Die „schiefe Ebene (Rampe), die sich in dem Maße verlängerte, als das Denkmal stieg" (wie weit dann bei den Pyramiden?), und bei senk¬ rechten Wänden „ein großer Hebebaum, der auf der Mauerkrone aufgepflanzt war," das sollen die Mittel zur Bewegung und Hebung gewaltiger Lasten auf Bauwerke von der Höhe des Kölner Doms gewesen sein. Menschen, die Bauten errichtet haben, denen die genauesten architektonischen Berechnungen vorausgegangen sein müssen, sollten ihre mathematischen Kenntnisse nicht anch auf den Ban so einfacher, fast nnr auf die Gesetze der schiefen Ebene und des Hebels gegründeter Maschinen verwendet haben, wie solche im Altertum und allezeit später im Gebrauch gewesen sind? Darin läge ein innerer Widerspruch. Freilich, die heutige Richtung in der Wissenschaft, die auf „Spekulation" (deutsch auf Nachdenken!) verzichtet, wird an die Maschinen der alten Ägypter erst glauben, wenn ihr ein durch kaum denkbaren Zufall erhaltenes Exemplar vor Augen kommen sollte. Über einen in letzter Zeit mehrfach erörterten Punkt, die Beleuchtung der ägyptischen Tempel, erfahren wir auch von Maspero nichts. Bekanntlich sind diese Tempel großenteils dunkel. Schon das Sank¬ tuarium ist in Dämmerung gehüllt, und dahinter in den letzten Sälen herrscht völlige Nacht. Die auch dort alle Wände bedeckenden Inschriften und Malereien sind (letztere auch in der lebhaften Farbengebung) auf künstliche Beleuchtung der Räume berechnet, und doch hat sich bisher nirgends eine von den Spuren gefunden, welche Fackel- und LaMpenbelenchtuug zurückzulassen pflegt. Das vierte Kapitel ist der Malerei und Skuptur gewidmet und gleichfalls von hohem Werte. Es giebt eine ebenso vollständige wie klare Übersicht. Mit besondrer Liebe ist in Wort und Bild alles zusammengestellt, was auch den Widerstrebendsten zu überzeugen geeignet ist, daß es neben der früher allein bekannten Tempelkunst auch eine realistisch geartete bürgerliche, profane gegeben hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/621>, abgerufen am 05.02.2025.