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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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er auf dem Lande und kam erst im Oktober wieder, kurz bevor Wien von den
Krönten eingeschlossen und beschossen wurde. Ju dieser Zeit hat er nicht
mehr mitgewirkt. Darum bekennt er zum Schluß dieses Kapitels: "Als einen
weitern Vorteil dieser Erlebnisse muß ich es bezeichnen, daß ich den reinen
Gedanken des Jahres 1848 aufzufassen und zu bewahren in der Lage war.
Worin er besteht, dieser reine Gedanke der Revolution von 1848? Das will
ich jetzt und hier nicht erörtern. ^Das ist zu bedauern, denn gerade darauf
kommt es an.^ Weit entfernt, über diesen reinen Gedanken hinausgereift zu
sein, sind wir noch lange nicht wieder reif für denselben. Mag der heutige
Liberalismus in Österreich, welcher Elemente in sich aufgenommen hat,
die wir im flotten Jugendzeitalter der österreichischen Freiheit bekämpfte",
jwelche Elemente?j, geringschätzend auf die angebliche Unklarheit der Tendenzen
von 1848 zurückblicken, einen entscheidenden Vorteil hatten jene Bestrebungen:
sie lagen in der Strömung der wahrhaft großen, ewigen und allgemeinen
Ideen. In Kämpfen dieser Art siegt die Sache, auch wenn die Kämpfer
unterliegen, wie wir ja auch wirklich die Errungenschaften von 1848 trotz
aller "Reaktion" heute genießen. Dagegen ist nichts verhängnisvoller, pein¬
licher und aufreibender, als in politisch-nationalen Dingen sich außerhalb der
wirklichen, mit Naturgewalten sich bahnbrechenden Zeitideen stellen und strom¬
aufwärts mit den Wellen kämpfen zu müssen." Wir teilen dieses Bekenntnis
rein historisch und wörtlich mit, weil es zum Charakterbilde Hamerlings
gehört. Er ist bekanntlich in Österreich immer einer der poetischen Wort¬
führer der deutsch-nationalen Bewegung, gewesen; aber für des Dichters Beruf
erklärt er öfters die Pflicht, über den Parteien zu stehen, mitten im Kampfe
das Ideal der Sittlichkeit festzuhalten, damit nicht alle sittlichen, ewigen Grund¬
sätze ans Parteirückstchteu niedergetreten werden. Darum verwahrt er sich
auch dagegen, im "Homunkulus" die Juden vom einseitig antisemitischen
Standpunkte augegriffe" zu haben, und lehnt die Huldigungen der Anti¬
semiten ab.

Nachdem sich der politische Sturm gelegt hatte, begannen sich wieder die
Hörsäle zu füllen, und auch Hamerling nahm seiue Studien wieder auf. In
der Revolutionszeit war er zum erstenmale als Dichter und Schriftsteller
(politischer Art) öffentlich hervorgetreten, jetzt kehrte er wieder zu seinen alten
Griechen zurück, die er am liebsten studirte. Um sich ein Einkommen zu ver¬
schaffen, bemühte er sich um die Aufnahme in das philologische und in das
historische Seminar, das erstere wurde damals gerade von dem berühmten
Philologen und Schulmann Bonitz geleitet; mit der Würde eines Seminaristen
war ein Stipendium verbunden, worauf es dem armen Musensohn sehr ankam.
Hübsch erzählt Hamerling die Umstände seiner Aufnahme. Von all diesen
Schulauekdoteu ist aber die lustigste die, daß er es bei allen Prüfungen nie
in der deutsche" Schulgrammatik deu gestrengen Herren recht machen konnte;


er auf dem Lande und kam erst im Oktober wieder, kurz bevor Wien von den
Krönten eingeschlossen und beschossen wurde. Ju dieser Zeit hat er nicht
mehr mitgewirkt. Darum bekennt er zum Schluß dieses Kapitels: „Als einen
weitern Vorteil dieser Erlebnisse muß ich es bezeichnen, daß ich den reinen
Gedanken des Jahres 1848 aufzufassen und zu bewahren in der Lage war.
Worin er besteht, dieser reine Gedanke der Revolution von 1848? Das will
ich jetzt und hier nicht erörtern. ^Das ist zu bedauern, denn gerade darauf
kommt es an.^ Weit entfernt, über diesen reinen Gedanken hinausgereift zu
sein, sind wir noch lange nicht wieder reif für denselben. Mag der heutige
Liberalismus in Österreich, welcher Elemente in sich aufgenommen hat,
die wir im flotten Jugendzeitalter der österreichischen Freiheit bekämpfte»,
jwelche Elemente?j, geringschätzend auf die angebliche Unklarheit der Tendenzen
von 1848 zurückblicken, einen entscheidenden Vorteil hatten jene Bestrebungen:
sie lagen in der Strömung der wahrhaft großen, ewigen und allgemeinen
Ideen. In Kämpfen dieser Art siegt die Sache, auch wenn die Kämpfer
unterliegen, wie wir ja auch wirklich die Errungenschaften von 1848 trotz
aller »Reaktion« heute genießen. Dagegen ist nichts verhängnisvoller, pein¬
licher und aufreibender, als in politisch-nationalen Dingen sich außerhalb der
wirklichen, mit Naturgewalten sich bahnbrechenden Zeitideen stellen und strom¬
aufwärts mit den Wellen kämpfen zu müssen." Wir teilen dieses Bekenntnis
rein historisch und wörtlich mit, weil es zum Charakterbilde Hamerlings
gehört. Er ist bekanntlich in Österreich immer einer der poetischen Wort¬
führer der deutsch-nationalen Bewegung, gewesen; aber für des Dichters Beruf
erklärt er öfters die Pflicht, über den Parteien zu stehen, mitten im Kampfe
das Ideal der Sittlichkeit festzuhalten, damit nicht alle sittlichen, ewigen Grund¬
sätze ans Parteirückstchteu niedergetreten werden. Darum verwahrt er sich
auch dagegen, im „Homunkulus" die Juden vom einseitig antisemitischen
Standpunkte augegriffe» zu haben, und lehnt die Huldigungen der Anti¬
semiten ab.

Nachdem sich der politische Sturm gelegt hatte, begannen sich wieder die
Hörsäle zu füllen, und auch Hamerling nahm seiue Studien wieder auf. In
der Revolutionszeit war er zum erstenmale als Dichter und Schriftsteller
(politischer Art) öffentlich hervorgetreten, jetzt kehrte er wieder zu seinen alten
Griechen zurück, die er am liebsten studirte. Um sich ein Einkommen zu ver¬
schaffen, bemühte er sich um die Aufnahme in das philologische und in das
historische Seminar, das erstere wurde damals gerade von dem berühmten
Philologen und Schulmann Bonitz geleitet; mit der Würde eines Seminaristen
war ein Stipendium verbunden, worauf es dem armen Musensohn sehr ankam.
Hübsch erzählt Hamerling die Umstände seiner Aufnahme. Von all diesen
Schulauekdoteu ist aber die lustigste die, daß er es bei allen Prüfungen nie
in der deutsche» Schulgrammatik deu gestrengen Herren recht machen konnte;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/616>, abgerufen am 05.02.2025.