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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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gewohnt haben. Er konnte aber auch sehr viel lachen, hatte also früh ein
intuitives Urteil über Gegensätze oder Disharmvnieen. Dieses kindlich-geniale
Lachen brachte dem Knaben natürlich oft genug Strafen oder Verlegenheit.
Ebenso war er sehr früh für Frauenschönheit empfänglich und äußerte naiv
seine Freude darüber. Endlich versichert der Dichter, daß er schon in seinem
siebenten Jahre Verse zu machen begonnen habe; die Berufung zum Dichter
habe er ebenso früh in sich gefühlt.

Aus der Dorfschule kam der Knabe 1840 in die Klosterschule des
Cistereienserstiftes Zwettl in Niederösterreich, wo er bis 1844 verblieb. Dieses
Kloster hatte nur eine geringe Anzahl von Zöglingen, nnr ihre zum Kirchen-
dienst nötigen Sängerknaben. Robert wurde aber wegen seiner offenbaren Be¬
gabung aufgenommen, obgleich er nur sehr wenig oder vielmehr gar nicht
singen konnte. Das Klosterleben schildert Hnmerling verhältnismäßig am an¬
mutigsten. Er hatte als Knabe ein großes Bedürfnis nach Geselligkeit zu
zweien, nach Freundschaft. Seine schwärmerische Seele mußte sich in das
Herz eines Freundes cmsschlitten können; derartiger Verkehr spielt bis in seine
späte Universitätszeit noch eine große Rolle in seinem Leben. Der Unterricht
in der Klosterschule - sie bildete nur die untere Hälfte des Gymnasiums und
war von keinen eigentlichen Berufspädagogen geleitet muß nicht sehr aus¬
giebig gewesen sein. Aber der Verkehr mit den einzelnen Patres war doch
anregend, insbesondre wurde dem Knaben der Umgang mit einem wirklich
gläubigen Mystiker folgenreich. Hier wurde auch früh seine Behendigkeit im
Versemachen geschätzt und bescheiden gefördert. Man wollte ihm anfänglich
nicht glauben, daß er selbst der Dichter seiner Verse sei; erst nachdem er eine
Aufgabe dieser Art in einem abgeschlossenen Zimmer ohne fremde Hilfsmittel
gelöst hatte, stand sein Ruhm als Dichter fest.

Nach vierjährigen Aufenthalt im Kloster zog Robert 1844 mit seiner
Mutter nach Wien, wo auch sein Vater als Herrschaftsdiener ein Unterkommen
gefunden hatte; aber die Eltern lebten nicht zusammen. In Wien fand der
Knabe Aufnahme im Schottengymnasium des rühmlichst bekannten Benediktiner-
stiftes auf der Freiung. Das Leben des vierzehnjährigen Gymnasiasten war
kümmerlich und austrennend genug. Täglich hatte er einen weiten Weg von
der mütterlichen Wohnung aus der Landstraße in die Schule zu machen; das
Mittagessen hatte er an einem Freitisch in der Leopoldstadt, und am Kohl¬
markt erteilte er Unterricht. Allein die Vorteile der großen und schönen Kaiser¬
stadt kamen ihm doch auch zu Gute. Er hatte Gelegenheit, in mehrere Familien
zu kommen, Wobei ihm freilich seine immer größer werdende Schüchternheit
und Empfindsamkeit wieder Streiche spielte. Er wanderte viel in der schönen
Umgebung Wiens herum, und endlich war er hier auch in der Lage, seinein
Wissens- und Lesebedürfnis Genüge zu leisten. Hatte er in Zwettl nur
katholisch-religiöse Lyriker lesen können, so wurde er nun auch mit der neuesten


gewohnt haben. Er konnte aber auch sehr viel lachen, hatte also früh ein
intuitives Urteil über Gegensätze oder Disharmvnieen. Dieses kindlich-geniale
Lachen brachte dem Knaben natürlich oft genug Strafen oder Verlegenheit.
Ebenso war er sehr früh für Frauenschönheit empfänglich und äußerte naiv
seine Freude darüber. Endlich versichert der Dichter, daß er schon in seinem
siebenten Jahre Verse zu machen begonnen habe; die Berufung zum Dichter
habe er ebenso früh in sich gefühlt.

Aus der Dorfschule kam der Knabe 1840 in die Klosterschule des
Cistereienserstiftes Zwettl in Niederösterreich, wo er bis 1844 verblieb. Dieses
Kloster hatte nur eine geringe Anzahl von Zöglingen, nnr ihre zum Kirchen-
dienst nötigen Sängerknaben. Robert wurde aber wegen seiner offenbaren Be¬
gabung aufgenommen, obgleich er nur sehr wenig oder vielmehr gar nicht
singen konnte. Das Klosterleben schildert Hnmerling verhältnismäßig am an¬
mutigsten. Er hatte als Knabe ein großes Bedürfnis nach Geselligkeit zu
zweien, nach Freundschaft. Seine schwärmerische Seele mußte sich in das
Herz eines Freundes cmsschlitten können; derartiger Verkehr spielt bis in seine
späte Universitätszeit noch eine große Rolle in seinem Leben. Der Unterricht
in der Klosterschule - sie bildete nur die untere Hälfte des Gymnasiums und
war von keinen eigentlichen Berufspädagogen geleitet muß nicht sehr aus¬
giebig gewesen sein. Aber der Verkehr mit den einzelnen Patres war doch
anregend, insbesondre wurde dem Knaben der Umgang mit einem wirklich
gläubigen Mystiker folgenreich. Hier wurde auch früh seine Behendigkeit im
Versemachen geschätzt und bescheiden gefördert. Man wollte ihm anfänglich
nicht glauben, daß er selbst der Dichter seiner Verse sei; erst nachdem er eine
Aufgabe dieser Art in einem abgeschlossenen Zimmer ohne fremde Hilfsmittel
gelöst hatte, stand sein Ruhm als Dichter fest.

Nach vierjährigen Aufenthalt im Kloster zog Robert 1844 mit seiner
Mutter nach Wien, wo auch sein Vater als Herrschaftsdiener ein Unterkommen
gefunden hatte; aber die Eltern lebten nicht zusammen. In Wien fand der
Knabe Aufnahme im Schottengymnasium des rühmlichst bekannten Benediktiner-
stiftes auf der Freiung. Das Leben des vierzehnjährigen Gymnasiasten war
kümmerlich und austrennend genug. Täglich hatte er einen weiten Weg von
der mütterlichen Wohnung aus der Landstraße in die Schule zu machen; das
Mittagessen hatte er an einem Freitisch in der Leopoldstadt, und am Kohl¬
markt erteilte er Unterricht. Allein die Vorteile der großen und schönen Kaiser¬
stadt kamen ihm doch auch zu Gute. Er hatte Gelegenheit, in mehrere Familien
zu kommen, Wobei ihm freilich seine immer größer werdende Schüchternheit
und Empfindsamkeit wieder Streiche spielte. Er wanderte viel in der schönen
Umgebung Wiens herum, und endlich war er hier auch in der Lage, seinein
Wissens- und Lesebedürfnis Genüge zu leisten. Hatte er in Zwettl nur
katholisch-religiöse Lyriker lesen können, so wurde er nun auch mit der neuesten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/614>, abgerufen am 05.02.2025.