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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Robert Hamerlings Selbstbiographie

der Objektivität, darum war Goethe glücklich, darum war Grillparzer nur
glücklich, so lauge er dichtete; darum sind nur die ganz univeu Meuscheu ivahr-
haft glücklich.

Wen" Hamerliug am Schlüsse seines Buches -- ganz abgesehen von seiner
traurigen Krankheit -- erschütternd gesteht, daß er eigentlich niemals glücklich
gewesen sei (was doch wohl eine Übertreibung ist, denn das künstlerische Schaffen
hat ihn gewiß, wenigstens so lange er schuf, erhoben), so ist dies in dem Wesen
seines ganzen menschlichen wie künstlerische" Charakters begründet. Seltsam
ist nnr, daß Hamerling diese Erkenntnis niemals selbst gewonnen hat. Aus
dem Maugel dieser Einsicht ist aber der Fehler auch seines ganzen theoretisch-
ästhetischen Denkens zu erklären. Grillparzer hat dieses Bewußtsein gehabt,
und das hat ihm wenigstens in der Kunst zur Größe verholfen. Hamerliug
hat es nicht, und es ist die Schwäche sowohl seines künstlerischen wie seines
menschlichen Wesens. Sein Sinn für reine Nntnr ist gering; sonst hätte er nicht
glauben könne", daß z. B. ein Nerv, wie er ihn geschaffen hat, nämlich ein
seine Handlung fortwährend philosophisch beleuchtender Bösewicht, psycho¬
logisch eine Möglichkeit sei, oder er hätte in seinen Dramen mehr Sinn für
wirkliche Handlung, nicht bloß für Bilder oder für Monologe offenbart, oder
er hätte nicht über seineu Homunkulus in der Selbstbiographie geschrieben:
"Diese Entwicklungsfähigkeit des Homnnkels, die anch ein menschliches
Interesse für ihn gar wohl aufkommen läßt und seine Gestalt über die
Bedeutung eiuer dürren "Allegorie" weit hinaushebt, sicherte ich mir nur
dadurch, daß ich deu eigentlichen Hvmnnkel, das Alräuucheu des ersten Ge¬
sanges, wieder einschmelzen und menschlicher gestalten ließ, indem ich ihm
wenigstens eine natürliche Mutter gab. Lauter Dinge, die in meüier
Dichtung nur da sind, um -- übersehe" zu werden"! Wie spitzfindig! wie
unkünstlerisch! Als ob der Eindruck der Naturwahrheit, deu eine dichterische
Gestalt hervorruft, von der Versicherung nbhinge, daß diese Gestalt das
wirklich nnter Schmerzen geborne Kind eiuer irdischen Mutter sei! Als ob
Mephistopheles in Goethes "Faust" keinen wahrhaft natürlichen Schein hätte,
nicht in überzeugender Lebensfülle und Kraft vor uns stünde, trotzdem daß
wir ihn aus dem schwarzen Pudel herauskommen sahen! Schon in diesem
Mißverständnis Hamerlings verrät sich seine ganze ästhetische Beschränktheit
(man verzeihe dieses scharfe Wort, aber ich finde kein andres), die sich mit
vergeblichem Bemühen der Angriffe jener Kritiker wehrt, die auf diese Schranke
seiner Begabung hingewiesen haben. Hamerliug verträgt es schlechtweg nicht,
in dieser Richtung getadelt oder auch uur charnkterisirt zu werden, und doch
dreht sich das Wesen der gauzeu Kunst um die Klarheit dieses Begriffes von
Natur in der Poesie.

In den: Bericht über seine Jugendarbeiten aus dem Jahre 1857 kommt
Hamerliug selbst auf diese Fragen zu sprechen; nachdem er die Entwürfe zu


Robert Hamerlings Selbstbiographie

der Objektivität, darum war Goethe glücklich, darum war Grillparzer nur
glücklich, so lauge er dichtete; darum sind nur die ganz univeu Meuscheu ivahr-
haft glücklich.

Wen» Hamerliug am Schlüsse seines Buches — ganz abgesehen von seiner
traurigen Krankheit — erschütternd gesteht, daß er eigentlich niemals glücklich
gewesen sei (was doch wohl eine Übertreibung ist, denn das künstlerische Schaffen
hat ihn gewiß, wenigstens so lange er schuf, erhoben), so ist dies in dem Wesen
seines ganzen menschlichen wie künstlerische» Charakters begründet. Seltsam
ist nnr, daß Hamerling diese Erkenntnis niemals selbst gewonnen hat. Aus
dem Maugel dieser Einsicht ist aber der Fehler auch seines ganzen theoretisch-
ästhetischen Denkens zu erklären. Grillparzer hat dieses Bewußtsein gehabt,
und das hat ihm wenigstens in der Kunst zur Größe verholfen. Hamerliug
hat es nicht, und es ist die Schwäche sowohl seines künstlerischen wie seines
menschlichen Wesens. Sein Sinn für reine Nntnr ist gering; sonst hätte er nicht
glauben könne», daß z. B. ein Nerv, wie er ihn geschaffen hat, nämlich ein
seine Handlung fortwährend philosophisch beleuchtender Bösewicht, psycho¬
logisch eine Möglichkeit sei, oder er hätte in seinen Dramen mehr Sinn für
wirkliche Handlung, nicht bloß für Bilder oder für Monologe offenbart, oder
er hätte nicht über seineu Homunkulus in der Selbstbiographie geschrieben:
„Diese Entwicklungsfähigkeit des Homnnkels, die anch ein menschliches
Interesse für ihn gar wohl aufkommen läßt und seine Gestalt über die
Bedeutung eiuer dürren »Allegorie» weit hinaushebt, sicherte ich mir nur
dadurch, daß ich deu eigentlichen Hvmnnkel, das Alräuucheu des ersten Ge¬
sanges, wieder einschmelzen und menschlicher gestalten ließ, indem ich ihm
wenigstens eine natürliche Mutter gab. Lauter Dinge, die in meüier
Dichtung nur da sind, um — übersehe» zu werden"! Wie spitzfindig! wie
unkünstlerisch! Als ob der Eindruck der Naturwahrheit, deu eine dichterische
Gestalt hervorruft, von der Versicherung nbhinge, daß diese Gestalt das
wirklich nnter Schmerzen geborne Kind eiuer irdischen Mutter sei! Als ob
Mephistopheles in Goethes „Faust" keinen wahrhaft natürlichen Schein hätte,
nicht in überzeugender Lebensfülle und Kraft vor uns stünde, trotzdem daß
wir ihn aus dem schwarzen Pudel herauskommen sahen! Schon in diesem
Mißverständnis Hamerlings verrät sich seine ganze ästhetische Beschränktheit
(man verzeihe dieses scharfe Wort, aber ich finde kein andres), die sich mit
vergeblichem Bemühen der Angriffe jener Kritiker wehrt, die auf diese Schranke
seiner Begabung hingewiesen haben. Hamerliug verträgt es schlechtweg nicht,
in dieser Richtung getadelt oder auch uur charnkterisirt zu werden, und doch
dreht sich das Wesen der gauzeu Kunst um die Klarheit dieses Begriffes von
Natur in der Poesie.

In den: Bericht über seine Jugendarbeiten aus dem Jahre 1857 kommt
Hamerliug selbst auf diese Fragen zu sprechen; nachdem er die Entwürfe zu


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[0610] Robert Hamerlings Selbstbiographie der Objektivität, darum war Goethe glücklich, darum war Grillparzer nur glücklich, so lauge er dichtete; darum sind nur die ganz univeu Meuscheu ivahr- haft glücklich. Wen» Hamerliug am Schlüsse seines Buches — ganz abgesehen von seiner traurigen Krankheit — erschütternd gesteht, daß er eigentlich niemals glücklich gewesen sei (was doch wohl eine Übertreibung ist, denn das künstlerische Schaffen hat ihn gewiß, wenigstens so lange er schuf, erhoben), so ist dies in dem Wesen seines ganzen menschlichen wie künstlerische» Charakters begründet. Seltsam ist nnr, daß Hamerling diese Erkenntnis niemals selbst gewonnen hat. Aus dem Maugel dieser Einsicht ist aber der Fehler auch seines ganzen theoretisch- ästhetischen Denkens zu erklären. Grillparzer hat dieses Bewußtsein gehabt, und das hat ihm wenigstens in der Kunst zur Größe verholfen. Hamerliug hat es nicht, und es ist die Schwäche sowohl seines künstlerischen wie seines menschlichen Wesens. Sein Sinn für reine Nntnr ist gering; sonst hätte er nicht glauben könne», daß z. B. ein Nerv, wie er ihn geschaffen hat, nämlich ein seine Handlung fortwährend philosophisch beleuchtender Bösewicht, psycho¬ logisch eine Möglichkeit sei, oder er hätte in seinen Dramen mehr Sinn für wirkliche Handlung, nicht bloß für Bilder oder für Monologe offenbart, oder er hätte nicht über seineu Homunkulus in der Selbstbiographie geschrieben: „Diese Entwicklungsfähigkeit des Homnnkels, die anch ein menschliches Interesse für ihn gar wohl aufkommen läßt und seine Gestalt über die Bedeutung eiuer dürren »Allegorie» weit hinaushebt, sicherte ich mir nur dadurch, daß ich deu eigentlichen Hvmnnkel, das Alräuucheu des ersten Ge¬ sanges, wieder einschmelzen und menschlicher gestalten ließ, indem ich ihm wenigstens eine natürliche Mutter gab. Lauter Dinge, die in meüier Dichtung nur da sind, um — übersehe» zu werden"! Wie spitzfindig! wie unkünstlerisch! Als ob der Eindruck der Naturwahrheit, deu eine dichterische Gestalt hervorruft, von der Versicherung nbhinge, daß diese Gestalt das wirklich nnter Schmerzen geborne Kind eiuer irdischen Mutter sei! Als ob Mephistopheles in Goethes „Faust" keinen wahrhaft natürlichen Schein hätte, nicht in überzeugender Lebensfülle und Kraft vor uns stünde, trotzdem daß wir ihn aus dem schwarzen Pudel herauskommen sahen! Schon in diesem Mißverständnis Hamerlings verrät sich seine ganze ästhetische Beschränktheit (man verzeihe dieses scharfe Wort, aber ich finde kein andres), die sich mit vergeblichem Bemühen der Angriffe jener Kritiker wehrt, die auf diese Schranke seiner Begabung hingewiesen haben. Hamerliug verträgt es schlechtweg nicht, in dieser Richtung getadelt oder auch uur charnkterisirt zu werden, und doch dreht sich das Wesen der gauzeu Kunst um die Klarheit dieses Begriffes von Natur in der Poesie. In den: Bericht über seine Jugendarbeiten aus dem Jahre 1857 kommt Hamerliug selbst auf diese Fragen zu sprechen; nachdem er die Entwürfe zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/610>, abgerufen am 05.02.2025.