Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.-sah neue Gymnasium Jugend, damit sie fröhlich aufstrebend erwachse? Nicht: wie führen wir am -sah neue Gymnasium Jugend, damit sie fröhlich aufstrebend erwachse? Nicht: wie führen wir am <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0602" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205333"/> <fw type="header" place="top"> -sah neue Gymnasium</fw><lb/> <p xml:id="ID_1690" prev="#ID_1689" next="#ID_1691"> Jugend, damit sie fröhlich aufstrebend erwachse? Nicht: wie führen wir am<lb/> schnellsten sie in die Geschichte unsers geistigen Lebens ein? sondern: wie<lb/> erhalten wir sie bei alledem jung und ahnungsvoll? Denn das kann doch nimmer¬<lb/> mehr der Sinn geschichtlicher Jugendbildung sein, daß das heranwachsende<lb/> Geschlecht den ganzen Stammbaum unsers geistigen Lebens bis in seine neuesten<lb/> Verzweiguuge» hinein verfolge; an besonders geeigneten Epochen und inner¬<lb/> halb gewisser Grenzen, mehr an Quer- als an Längsschnitten gilt es, der<lb/> Jugend zu zeigen, wie die Adern und Fasern neben einander und herüber und<lb/> hinüberlaufen, damit sie sich allmählich gewöhne geschichtliches Leben hoher<lb/> Ahnen mit- und nachzuerleben. Drum nicht: woher empfing, was wir Kultur<lb/> des neunzehnten Jahrhunderts nennen könnten, seine letzten und breitesten und<lb/> wichtigsten Einflüsse? sondern: wo in der Geschichte unsers geistigen Lebens<lb/> hat es eine Kultur gegeben, die, was uns heute auf der Seele brennt und<lb/> je den Menschen auf der Seele brennen wird, in denkbar reichster und zugleich<lb/> denkbar durchsichtigster Entfaltung darstellt, unsrer Jugend, ich meine nicht so<lb/> sehr ein Vorbild oder Schreckbild, als ein faßliches und ihrer innigsten Teil¬<lb/> nahme gewisses Urbild? Und solch eine Kultur hat es gegeben. Wer die deutsche<lb/> Jugend und die Griechen kennt, der ruft: die beideu gehören zusammen. Wers<lb/> nicht glauben will, wird schwer zu überzeugen sein; ein pädagogisches Problem<lb/> ist ja kein Rechenexempel. Aber man mache Gegenvorschläge: das augusteische<lb/> Zeitalter, das staufische, das mediceische, das lutherische, das Elisabeths,<lb/> das Ludwigs, das Friedrichs. Von allen hört ja der Schüler, überall giebts<lb/> wohl auch einzelne Gestalten, die der Jugend ans Herz wachsen, und in<lb/> deren Wesen allein schon der Sinn der Erde zu lesen ist, dein der lesen<lb/> kann. Das ungeübte Auge braucht einfache Zeichnung, starke Ausprägung,<lb/> breite Entwicklung. Die Jugend braucht, um erst einmal zu lernen, was geistig<lb/> geschichtliches Leben ist, eine in geschichtlicher Klarheit hinter uns liegende<lb/> Kulturperiode, ein Volk, das in nicht allzuschwer verständlicher Sprache, in<lb/> Darstellungen, die geistiges Leben womöglich nach allen Seiten zur An-<lb/> schciuuug bringen, sein eigner klassischer Geschichtsschreiber geworden ist. Und<lb/> solch ein Volk ist doch wohl nur einmal gewachsen; zu kurzer Blüte freilich,<lb/> doch zu so reicher, daß es all unsre Einbildungskraft beschämt. Auf so engem<lb/> Raum eine solche Fülle von lebensvollen, großen und schlichten Gestalten,<lb/> mit denen ohne Dolmetsch verkehren zu können, unsrer Jugend, denk ich,<lb/> doch mehr ist, als all die interessanten Bekanntschaften, die sie unter-<lb/> dessen bei Engländern und Franzosen machen könnte! Es ist wohl wahr,<lb/> unsre Gymnasien könnten die griechische Lektüre wohl noch umfassender und<lb/> gediegner betreiben; auch der Vorschlag, durch Darbietung guter Übersetzungen<lb/> hier und da ergänzend einzugreifen, ist so übel nicht. Doch eine Litteratur,<lb/> die nach Inhalt und Form für die Geschichte unsrer Kultur von so unleug¬<lb/> barer, für unsre Jugendbildung von so unvergleichlicher Wichtigkeit ist, nie</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0602]
-sah neue Gymnasium
Jugend, damit sie fröhlich aufstrebend erwachse? Nicht: wie führen wir am
schnellsten sie in die Geschichte unsers geistigen Lebens ein? sondern: wie
erhalten wir sie bei alledem jung und ahnungsvoll? Denn das kann doch nimmer¬
mehr der Sinn geschichtlicher Jugendbildung sein, daß das heranwachsende
Geschlecht den ganzen Stammbaum unsers geistigen Lebens bis in seine neuesten
Verzweiguuge» hinein verfolge; an besonders geeigneten Epochen und inner¬
halb gewisser Grenzen, mehr an Quer- als an Längsschnitten gilt es, der
Jugend zu zeigen, wie die Adern und Fasern neben einander und herüber und
hinüberlaufen, damit sie sich allmählich gewöhne geschichtliches Leben hoher
Ahnen mit- und nachzuerleben. Drum nicht: woher empfing, was wir Kultur
des neunzehnten Jahrhunderts nennen könnten, seine letzten und breitesten und
wichtigsten Einflüsse? sondern: wo in der Geschichte unsers geistigen Lebens
hat es eine Kultur gegeben, die, was uns heute auf der Seele brennt und
je den Menschen auf der Seele brennen wird, in denkbar reichster und zugleich
denkbar durchsichtigster Entfaltung darstellt, unsrer Jugend, ich meine nicht so
sehr ein Vorbild oder Schreckbild, als ein faßliches und ihrer innigsten Teil¬
nahme gewisses Urbild? Und solch eine Kultur hat es gegeben. Wer die deutsche
Jugend und die Griechen kennt, der ruft: die beideu gehören zusammen. Wers
nicht glauben will, wird schwer zu überzeugen sein; ein pädagogisches Problem
ist ja kein Rechenexempel. Aber man mache Gegenvorschläge: das augusteische
Zeitalter, das staufische, das mediceische, das lutherische, das Elisabeths,
das Ludwigs, das Friedrichs. Von allen hört ja der Schüler, überall giebts
wohl auch einzelne Gestalten, die der Jugend ans Herz wachsen, und in
deren Wesen allein schon der Sinn der Erde zu lesen ist, dein der lesen
kann. Das ungeübte Auge braucht einfache Zeichnung, starke Ausprägung,
breite Entwicklung. Die Jugend braucht, um erst einmal zu lernen, was geistig
geschichtliches Leben ist, eine in geschichtlicher Klarheit hinter uns liegende
Kulturperiode, ein Volk, das in nicht allzuschwer verständlicher Sprache, in
Darstellungen, die geistiges Leben womöglich nach allen Seiten zur An-
schciuuug bringen, sein eigner klassischer Geschichtsschreiber geworden ist. Und
solch ein Volk ist doch wohl nur einmal gewachsen; zu kurzer Blüte freilich,
doch zu so reicher, daß es all unsre Einbildungskraft beschämt. Auf so engem
Raum eine solche Fülle von lebensvollen, großen und schlichten Gestalten,
mit denen ohne Dolmetsch verkehren zu können, unsrer Jugend, denk ich,
doch mehr ist, als all die interessanten Bekanntschaften, die sie unter-
dessen bei Engländern und Franzosen machen könnte! Es ist wohl wahr,
unsre Gymnasien könnten die griechische Lektüre wohl noch umfassender und
gediegner betreiben; auch der Vorschlag, durch Darbietung guter Übersetzungen
hier und da ergänzend einzugreifen, ist so übel nicht. Doch eine Litteratur,
die nach Inhalt und Form für die Geschichte unsrer Kultur von so unleug¬
barer, für unsre Jugendbildung von so unvergleichlicher Wichtigkeit ist, nie
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