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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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(Ostpreußen und die Getreidezölle

kommenden Ströme: Memel, Weichsel, Oder und Elbe zu leiden hat, so leidet
Norddeutschland in gleichartiger Weise durch das massenhaft aus Rußland
und Österreich zuströmende Getreide, das teils auf den genannten Strömen,
teils ans den neben den Strömen herlaufenden Eisenbahnen dem Norden zu¬
geführt wird. Diese Massenznfuhr wird durch die deutschen Bahntarifc
noch besonders gefördert. Denn ans allen Staats- und Privatbahnen gelten
für das aus Rußland lind Österreich stammende, seewärts auszuführende und
bis zum Seehafen laufende Getreide ermäßigte Frachtsätze. Man nimmt an,
daß dem deutschen Getreideball dadurch keine lästige Konkurrenz bereitet werde.

In der in den Zeitungen neuerdings vielfach besprochenen "Refaktien"-
augelegeuheit der Ostpreußischen Südbahn sind wir aber belehrt worden, daß
noch andre Mittel als billige Tarife, insbesondre Frachtvergütungen (Refaktien)
angewendet werden, um Massentransporte möglichst billig zu gestalten. In
Rußland und Österreich werden diese Frachtvergütnngen vielfach angewandt,
um Getreidemasfen billigst an die deutsche Grenze zu bringen. Die Tarife
der Ostpreußischen Sndbcchn, vom Grafen Stolberg ganz richtig im Reichstage
angegriffen, bringen es mit sich, daß das Getreide aus nächster Nähe von
Odessa nicht nach diesem Hafen, sondern nach dem Hafen von Königsberg zur
Ausfuhr gebracht wird. Durch solche Tarife werden die Handelsverhältnisse
eines ganzen Weltteils geändert. Während nach der natürlichen Lage Nord-
deutschland die Länder um Ost- und Nordsee, Südrnßlaiid die Länder um das
Schwarze und das Mittelländische Meer mit Getreide versorgen sollte, giebt
Siidrußland diese Versorgung ans und vielleicht an Indien ab, und wirft sein
Getreide nach der Ost- und Nordsee, den" natürlichen Absatzgebiete Nord-
deutschlands, dessen Landwirtschaft darunter natürlich leidet.

Gegen die im Allslande bestehenden billigen Tarife und gegen die dort
üblichen Frachtvergütungen kann das deutsche Reich keinen Einspruch erheben,
auch sind wir weit davon entfernt, den deutscheu Seehäfen das Zuströme"
ausländischen Getreides zu mißgönnen. Wir verlangen nnr, daß dem deutschell
Getreide auf deutscheu Bahnen gleiche Erleichterungen zu teil werden, daß die
Getreidetarife auf allen Bahnen so weit ermäßigt werden, daß die Bahnen
nicht, wie jetzt, aus dem Getreidetrausport einen überreichen Gewinn erzielen
und diesen Transport unmöglich machen. Flossen die norddeutschen Ströme
nicht, wie zum mehrfachen Nachteile, von Süden nach Norden, sondern voll
Osten nach Westen, dann würden, wir heben dieses nochmals hervor, diese
Strome durch die Längsachse des Reiches die besten Verbindungsmittel darstellen,
und wir würden die Eisenbahnen zum Getreidetrauspvrt entbehren können.
Jetzt sind sie zu diesem Transporte schlechterdings notwendig und müssen dazu
schicklich gemacht, d. h. mit angemessenen Tarifen versehen werden. Bei den
jetzigen Tarifen ist der norddeutsche Landwirt ans Ost- und Westpreußen,
auch in Posen und Schlesien genötigt, sein Getreide zunächst nach dem See-


(Ostpreußen und die Getreidezölle

kommenden Ströme: Memel, Weichsel, Oder und Elbe zu leiden hat, so leidet
Norddeutschland in gleichartiger Weise durch das massenhaft aus Rußland
und Österreich zuströmende Getreide, das teils auf den genannten Strömen,
teils ans den neben den Strömen herlaufenden Eisenbahnen dem Norden zu¬
geführt wird. Diese Massenznfuhr wird durch die deutschen Bahntarifc
noch besonders gefördert. Denn ans allen Staats- und Privatbahnen gelten
für das aus Rußland lind Österreich stammende, seewärts auszuführende und
bis zum Seehafen laufende Getreide ermäßigte Frachtsätze. Man nimmt an,
daß dem deutschen Getreideball dadurch keine lästige Konkurrenz bereitet werde.

In der in den Zeitungen neuerdings vielfach besprochenen „Refaktien"-
augelegeuheit der Ostpreußischen Südbahn sind wir aber belehrt worden, daß
noch andre Mittel als billige Tarife, insbesondre Frachtvergütungen (Refaktien)
angewendet werden, um Massentransporte möglichst billig zu gestalten. In
Rußland und Österreich werden diese Frachtvergütnngen vielfach angewandt,
um Getreidemasfen billigst an die deutsche Grenze zu bringen. Die Tarife
der Ostpreußischen Sndbcchn, vom Grafen Stolberg ganz richtig im Reichstage
angegriffen, bringen es mit sich, daß das Getreide aus nächster Nähe von
Odessa nicht nach diesem Hafen, sondern nach dem Hafen von Königsberg zur
Ausfuhr gebracht wird. Durch solche Tarife werden die Handelsverhältnisse
eines ganzen Weltteils geändert. Während nach der natürlichen Lage Nord-
deutschland die Länder um Ost- und Nordsee, Südrnßlaiid die Länder um das
Schwarze und das Mittelländische Meer mit Getreide versorgen sollte, giebt
Siidrußland diese Versorgung ans und vielleicht an Indien ab, und wirft sein
Getreide nach der Ost- und Nordsee, den« natürlichen Absatzgebiete Nord-
deutschlands, dessen Landwirtschaft darunter natürlich leidet.

Gegen die im Allslande bestehenden billigen Tarife und gegen die dort
üblichen Frachtvergütungen kann das deutsche Reich keinen Einspruch erheben,
auch sind wir weit davon entfernt, den deutscheu Seehäfen das Zuströme»
ausländischen Getreides zu mißgönnen. Wir verlangen nnr, daß dem deutschell
Getreide auf deutscheu Bahnen gleiche Erleichterungen zu teil werden, daß die
Getreidetarife auf allen Bahnen so weit ermäßigt werden, daß die Bahnen
nicht, wie jetzt, aus dem Getreidetrausport einen überreichen Gewinn erzielen
und diesen Transport unmöglich machen. Flossen die norddeutschen Ströme
nicht, wie zum mehrfachen Nachteile, von Süden nach Norden, sondern voll
Osten nach Westen, dann würden, wir heben dieses nochmals hervor, diese
Strome durch die Längsachse des Reiches die besten Verbindungsmittel darstellen,
und wir würden die Eisenbahnen zum Getreidetrauspvrt entbehren können.
Jetzt sind sie zu diesem Transporte schlechterdings notwendig und müssen dazu
schicklich gemacht, d. h. mit angemessenen Tarifen versehen werden. Bei den
jetzigen Tarifen ist der norddeutsche Landwirt ans Ost- und Westpreußen,
auch in Posen und Schlesien genötigt, sein Getreide zunächst nach dem See-


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[0595] (Ostpreußen und die Getreidezölle kommenden Ströme: Memel, Weichsel, Oder und Elbe zu leiden hat, so leidet Norddeutschland in gleichartiger Weise durch das massenhaft aus Rußland und Österreich zuströmende Getreide, das teils auf den genannten Strömen, teils ans den neben den Strömen herlaufenden Eisenbahnen dem Norden zu¬ geführt wird. Diese Massenznfuhr wird durch die deutschen Bahntarifc noch besonders gefördert. Denn ans allen Staats- und Privatbahnen gelten für das aus Rußland lind Österreich stammende, seewärts auszuführende und bis zum Seehafen laufende Getreide ermäßigte Frachtsätze. Man nimmt an, daß dem deutschen Getreideball dadurch keine lästige Konkurrenz bereitet werde. In der in den Zeitungen neuerdings vielfach besprochenen „Refaktien"- augelegeuheit der Ostpreußischen Südbahn sind wir aber belehrt worden, daß noch andre Mittel als billige Tarife, insbesondre Frachtvergütungen (Refaktien) angewendet werden, um Massentransporte möglichst billig zu gestalten. In Rußland und Österreich werden diese Frachtvergütnngen vielfach angewandt, um Getreidemasfen billigst an die deutsche Grenze zu bringen. Die Tarife der Ostpreußischen Sndbcchn, vom Grafen Stolberg ganz richtig im Reichstage angegriffen, bringen es mit sich, daß das Getreide aus nächster Nähe von Odessa nicht nach diesem Hafen, sondern nach dem Hafen von Königsberg zur Ausfuhr gebracht wird. Durch solche Tarife werden die Handelsverhältnisse eines ganzen Weltteils geändert. Während nach der natürlichen Lage Nord- deutschland die Länder um Ost- und Nordsee, Südrnßlaiid die Länder um das Schwarze und das Mittelländische Meer mit Getreide versorgen sollte, giebt Siidrußland diese Versorgung ans und vielleicht an Indien ab, und wirft sein Getreide nach der Ost- und Nordsee, den« natürlichen Absatzgebiete Nord- deutschlands, dessen Landwirtschaft darunter natürlich leidet. Gegen die im Allslande bestehenden billigen Tarife und gegen die dort üblichen Frachtvergütungen kann das deutsche Reich keinen Einspruch erheben, auch sind wir weit davon entfernt, den deutscheu Seehäfen das Zuströme» ausländischen Getreides zu mißgönnen. Wir verlangen nnr, daß dem deutschell Getreide auf deutscheu Bahnen gleiche Erleichterungen zu teil werden, daß die Getreidetarife auf allen Bahnen so weit ermäßigt werden, daß die Bahnen nicht, wie jetzt, aus dem Getreidetrausport einen überreichen Gewinn erzielen und diesen Transport unmöglich machen. Flossen die norddeutschen Ströme nicht, wie zum mehrfachen Nachteile, von Süden nach Norden, sondern voll Osten nach Westen, dann würden, wir heben dieses nochmals hervor, diese Strome durch die Längsachse des Reiches die besten Verbindungsmittel darstellen, und wir würden die Eisenbahnen zum Getreidetrauspvrt entbehren können. Jetzt sind sie zu diesem Transporte schlechterdings notwendig und müssen dazu schicklich gemacht, d. h. mit angemessenen Tarifen versehen werden. Bei den jetzigen Tarifen ist der norddeutsche Landwirt ans Ost- und Westpreußen, auch in Posen und Schlesien genötigt, sein Getreide zunächst nach dem See-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/595>, abgerufen am 06.02.2025.