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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Ostpreußen und die Getreidezölle

den Verhandlungen über diesen Gegenstand einigte man sich im Reichstage
demnächst zu dem Antrage von Ampach und Genüssen, der fordert, daß für
jede Menge ausgeführten Getreides ein Jmportschein ausgestellt werde, welcher
die zollfreie Einfuhr einer gleichen Gewichtsmenge derselben Getreideart ge¬
stattet und zwar an jedem beliebigen Punkte der Reichsgrenze. Der Reichstag
erörterte diese" Antrag in seiner Sitzung vom 5. Mai 1888 und beschloß,
zwar nicht dem Antrage von Ampach und Genossen zuzustimmen, aber zur
Tagesordnung überzugehen mit dem ausdrücklichen Wunsche, daß die verbün¬
deten Regierungen den in dem Antrage angeregten Fragen ihre volle Auf¬
merksamkeit zuwenden und das Ergebnis der darüber anzustellenden Erhebungen
dem Reichstag in der nächsten Session mitteilen möchten. Dieser Wunsch ist
bisher nicht erfüllt worden, und die jetzigen Bittsteller erinnern den Fürsten
an diesen Reichstagsbeschluß vom 5. Mai 1888 nud beantragen feine Erfüllung.

Den Antrag von Ampach und Genossen glauben wir in volles Licht setzen
zu müssen. Man bezeichnet die darin empfohlene Maßregel ebenfalls als Auf¬
hebung des Identitätsnachweises, obgleich nirgend eine Identität vorausgesetzt
wird, daher auch nicht von einer Aushebung derselben gesprochen werden kann.
Bei dem oben besprochenen Antrage von Hecreman, Hoffmann und Rickert
handelte es sich in der That um Aufhebung der Identität, nämlich um Ver-
tauschung des zollfrei trausitirendeu ausländischen Getreides mit inländischen
Getreide. Das ausländische Getreide befindet sich bereits im Inlande, jedoch
unter Zvllplombe; die Plombe soll abgenommen, das Transitgetreide soll gegen
inländisches vertauscht und dieses ausgeführt werden. Der Antrag von Ampach
und Genossen setzt ein bestimmtes ausländisches, im Inlande bereits vorhan¬
denes Getreide gar nicht voraus und geht umgekehrt zu Werke, indem zunächst
inländisches Getreide ausgeführt, darüber ein Schein ausgestellt und gegen
diesen Schein ausländisches Getreide zollfrei eingeführt werden soll. Es ist
nicht einzusehen, wie diese Maßregel Aufhebung des Identitätsnachweises ge¬
nannt werden kaun. Sie bedeutet nichts andres als: Wegfall des Getreidc-
zvlles unter einer Bedingung, nämlich unter der Bedingung, daß vorher eine
gleiche Menge inländischen Getreides ausgeführt worden ist. Mit dieser rich¬
tigen Benennung tritt auch die Maßregel in das richtige Licht.

Die ostdeutsche Landwirtschaft würde durch diese Maßregel in hohem Grade
gefördert werden. Das ganze Ostseegebiet des deutscheu Reiches würde dadurch
in jene Zeiten versetzt werden, wo es noch keine Eisenbahnen und Dampfschiffe
gab und der Getreidebedarf des ganzen Nordens, Schwedens, Norwegens,
Großbritanniens und auch Frankreichs von den Landwirten der deutschen Ost¬
seeprovinzen gedeckt wurde. Damals -- wir sprechen von den Zeiten bis zu
dem unglücklichen Kriege von 1807 -- blühte auch die ostpreußische Land¬
wirtschaft in hohem Grade, und die damaligen Güterpreise erreichten, wie die
Angaben in den Grundbüchern noch heilte beweisen, nicht nur die gegenwärtigen


Ostpreußen und die Getreidezölle

den Verhandlungen über diesen Gegenstand einigte man sich im Reichstage
demnächst zu dem Antrage von Ampach und Genüssen, der fordert, daß für
jede Menge ausgeführten Getreides ein Jmportschein ausgestellt werde, welcher
die zollfreie Einfuhr einer gleichen Gewichtsmenge derselben Getreideart ge¬
stattet und zwar an jedem beliebigen Punkte der Reichsgrenze. Der Reichstag
erörterte diese» Antrag in seiner Sitzung vom 5. Mai 1888 und beschloß,
zwar nicht dem Antrage von Ampach und Genossen zuzustimmen, aber zur
Tagesordnung überzugehen mit dem ausdrücklichen Wunsche, daß die verbün¬
deten Regierungen den in dem Antrage angeregten Fragen ihre volle Auf¬
merksamkeit zuwenden und das Ergebnis der darüber anzustellenden Erhebungen
dem Reichstag in der nächsten Session mitteilen möchten. Dieser Wunsch ist
bisher nicht erfüllt worden, und die jetzigen Bittsteller erinnern den Fürsten
an diesen Reichstagsbeschluß vom 5. Mai 1888 nud beantragen feine Erfüllung.

Den Antrag von Ampach und Genossen glauben wir in volles Licht setzen
zu müssen. Man bezeichnet die darin empfohlene Maßregel ebenfalls als Auf¬
hebung des Identitätsnachweises, obgleich nirgend eine Identität vorausgesetzt
wird, daher auch nicht von einer Aushebung derselben gesprochen werden kann.
Bei dem oben besprochenen Antrage von Hecreman, Hoffmann und Rickert
handelte es sich in der That um Aufhebung der Identität, nämlich um Ver-
tauschung des zollfrei trausitirendeu ausländischen Getreides mit inländischen
Getreide. Das ausländische Getreide befindet sich bereits im Inlande, jedoch
unter Zvllplombe; die Plombe soll abgenommen, das Transitgetreide soll gegen
inländisches vertauscht und dieses ausgeführt werden. Der Antrag von Ampach
und Genossen setzt ein bestimmtes ausländisches, im Inlande bereits vorhan¬
denes Getreide gar nicht voraus und geht umgekehrt zu Werke, indem zunächst
inländisches Getreide ausgeführt, darüber ein Schein ausgestellt und gegen
diesen Schein ausländisches Getreide zollfrei eingeführt werden soll. Es ist
nicht einzusehen, wie diese Maßregel Aufhebung des Identitätsnachweises ge¬
nannt werden kaun. Sie bedeutet nichts andres als: Wegfall des Getreidc-
zvlles unter einer Bedingung, nämlich unter der Bedingung, daß vorher eine
gleiche Menge inländischen Getreides ausgeführt worden ist. Mit dieser rich¬
tigen Benennung tritt auch die Maßregel in das richtige Licht.

Die ostdeutsche Landwirtschaft würde durch diese Maßregel in hohem Grade
gefördert werden. Das ganze Ostseegebiet des deutscheu Reiches würde dadurch
in jene Zeiten versetzt werden, wo es noch keine Eisenbahnen und Dampfschiffe
gab und der Getreidebedarf des ganzen Nordens, Schwedens, Norwegens,
Großbritanniens und auch Frankreichs von den Landwirten der deutschen Ost¬
seeprovinzen gedeckt wurde. Damals — wir sprechen von den Zeiten bis zu
dem unglücklichen Kriege von 1807 — blühte auch die ostpreußische Land¬
wirtschaft in hohem Grade, und die damaligen Güterpreise erreichten, wie die
Angaben in den Grundbüchern noch heilte beweisen, nicht nur die gegenwärtigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/589>, abgerufen am 05.02.2025.