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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Ostpreußen und die Getreidezölle

die See- und Wasserfracht über Rotterdam und auf dem Rhein beträgt etwa
die Hälfte dieser Summe. Der Bahnweg kaun wegen der übergroßen Teuerung
gar nicht gewählt werden, und der Wasserweg über Rotterdam ist mit so vielen
Umladungen, Kosten und mit so hohem Zeitverlust verbunden, daß der Zollschutz
schwindet, wenigstens die dnrch den Zoll zu hoffende Preissteigerung ganz
geringfügig wird. Das in großen Massen im Norden von Rußland über
Rotterdam und im Süden von Ungarn über Regensburg und Lindau zu¬
strömende Getreide verdrängt trotz des Zolles das ostdeutsche Getreide aus
dem Süden und Westen des Reiches, und der ostdeutsche Exporteur zieht den
Verkauf feiner Waren in Norwegen, Schweden und England trotz der dort
herrschenden gedrückten Preise dem Verkaufe im Süden Deutschlands vor, weil
die Transportkosten in dieses Ausland unbedeutend sind, das Geschäft sich
rasch abwickelt, in derselben Zeit nicht einmal, sondern zwei- und dreimal ge¬
handelt und verdient werden kann, der Transport auf dem Rheinstrom anch
oft mit großem Warenverluste verbunden ist. Gingen die norddeutschen Ströme
nicht von Silber nach Norden, sondern flössen sie von Osten nach Westen,
dann könnte der Osten sein Getreide leicht nach dem Westen befördern. Bei
den thatsächlichen Verhältnissen erstickt der Osten -- sit vsnia vsrvo -- in
seinem Reichtum, und als Folge ergeben sich trotz des Zolles die niedrigstem
Getreidepreise. Der Zentner besten Weizens hatte im laufenden Jahre in
Königsberg einen Preis meistens unter 9 Mark, in der Provinz stets
einen noch niedrigeren, während eine Preissteigerung bis zu 10 und 10,50 Mark
durchaus notwendig erscheint, wenn die mit hohen Staats- und Kommunal-
steucru belasteten Landgüter eine Rente gewähren sollen.

Wer und was bringt endlich die notwendige Hilfe? Die an den Fürsten
Bismarck gerichtete Petition der Reichstagsabgeordneten deutet unter den zum
Heile der Landwirtschaft dienenden Maßregel,! zunächst auf die Aufhebung
des Identitätsnachweises hin, und diese Aufhebung ist seit den letzten
fünf Jahren die Standarte gewesen, um die sich alle Freunde der östlichen
Landwirtschaft, aufrichtige und unaufrichtige, geschart haben. Der Bundesrat
hat allen Anträgen ein ^lon liaust entgegengesetzt, also bekundet, daß er in
der Aufhebung des Identitätsnachweises ein Heil für die deutsche Landwirt¬
schaft nicht deutlich zu erblicken vermag. Auch wir bezweifeln einen irgendwie
segensreichen Erfolg und wollen unsre Zweifel in folgendem begründen.

Die Aufhebung des Identitätsnachweises, in Handelskreisen zunächst an¬
geregt und in landwirtschaftlichen Kreisen vielfach bewillkommnet, hat zunächst
nur die Entfernung der Plombe von dem durch das Inland gehenden Transit¬
getreide zum Ziele. Dieses ausländische Getreide ist als Transitgut zollfrei,
wird steueramtlich plombirt und überwacht, sodaß das wirklich eingegangene
ausländische Getreide ausgeführt werden muß und durch nichts andres, ins¬
besondre nicht durch inländisches Getreide, ersetzt werden darf. Dieses Festhalten


Ostpreußen und die Getreidezölle

die See- und Wasserfracht über Rotterdam und auf dem Rhein beträgt etwa
die Hälfte dieser Summe. Der Bahnweg kaun wegen der übergroßen Teuerung
gar nicht gewählt werden, und der Wasserweg über Rotterdam ist mit so vielen
Umladungen, Kosten und mit so hohem Zeitverlust verbunden, daß der Zollschutz
schwindet, wenigstens die dnrch den Zoll zu hoffende Preissteigerung ganz
geringfügig wird. Das in großen Massen im Norden von Rußland über
Rotterdam und im Süden von Ungarn über Regensburg und Lindau zu¬
strömende Getreide verdrängt trotz des Zolles das ostdeutsche Getreide aus
dem Süden und Westen des Reiches, und der ostdeutsche Exporteur zieht den
Verkauf feiner Waren in Norwegen, Schweden und England trotz der dort
herrschenden gedrückten Preise dem Verkaufe im Süden Deutschlands vor, weil
die Transportkosten in dieses Ausland unbedeutend sind, das Geschäft sich
rasch abwickelt, in derselben Zeit nicht einmal, sondern zwei- und dreimal ge¬
handelt und verdient werden kann, der Transport auf dem Rheinstrom anch
oft mit großem Warenverluste verbunden ist. Gingen die norddeutschen Ströme
nicht von Silber nach Norden, sondern flössen sie von Osten nach Westen,
dann könnte der Osten sein Getreide leicht nach dem Westen befördern. Bei
den thatsächlichen Verhältnissen erstickt der Osten — sit vsnia vsrvo — in
seinem Reichtum, und als Folge ergeben sich trotz des Zolles die niedrigstem
Getreidepreise. Der Zentner besten Weizens hatte im laufenden Jahre in
Königsberg einen Preis meistens unter 9 Mark, in der Provinz stets
einen noch niedrigeren, während eine Preissteigerung bis zu 10 und 10,50 Mark
durchaus notwendig erscheint, wenn die mit hohen Staats- und Kommunal-
steucru belasteten Landgüter eine Rente gewähren sollen.

Wer und was bringt endlich die notwendige Hilfe? Die an den Fürsten
Bismarck gerichtete Petition der Reichstagsabgeordneten deutet unter den zum
Heile der Landwirtschaft dienenden Maßregel,! zunächst auf die Aufhebung
des Identitätsnachweises hin, und diese Aufhebung ist seit den letzten
fünf Jahren die Standarte gewesen, um die sich alle Freunde der östlichen
Landwirtschaft, aufrichtige und unaufrichtige, geschart haben. Der Bundesrat
hat allen Anträgen ein ^lon liaust entgegengesetzt, also bekundet, daß er in
der Aufhebung des Identitätsnachweises ein Heil für die deutsche Landwirt¬
schaft nicht deutlich zu erblicken vermag. Auch wir bezweifeln einen irgendwie
segensreichen Erfolg und wollen unsre Zweifel in folgendem begründen.

Die Aufhebung des Identitätsnachweises, in Handelskreisen zunächst an¬
geregt und in landwirtschaftlichen Kreisen vielfach bewillkommnet, hat zunächst
nur die Entfernung der Plombe von dem durch das Inland gehenden Transit¬
getreide zum Ziele. Dieses ausländische Getreide ist als Transitgut zollfrei,
wird steueramtlich plombirt und überwacht, sodaß das wirklich eingegangene
ausländische Getreide ausgeführt werden muß und durch nichts andres, ins¬
besondre nicht durch inländisches Getreide, ersetzt werden darf. Dieses Festhalten


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[0587] Ostpreußen und die Getreidezölle die See- und Wasserfracht über Rotterdam und auf dem Rhein beträgt etwa die Hälfte dieser Summe. Der Bahnweg kaun wegen der übergroßen Teuerung gar nicht gewählt werden, und der Wasserweg über Rotterdam ist mit so vielen Umladungen, Kosten und mit so hohem Zeitverlust verbunden, daß der Zollschutz schwindet, wenigstens die dnrch den Zoll zu hoffende Preissteigerung ganz geringfügig wird. Das in großen Massen im Norden von Rußland über Rotterdam und im Süden von Ungarn über Regensburg und Lindau zu¬ strömende Getreide verdrängt trotz des Zolles das ostdeutsche Getreide aus dem Süden und Westen des Reiches, und der ostdeutsche Exporteur zieht den Verkauf feiner Waren in Norwegen, Schweden und England trotz der dort herrschenden gedrückten Preise dem Verkaufe im Süden Deutschlands vor, weil die Transportkosten in dieses Ausland unbedeutend sind, das Geschäft sich rasch abwickelt, in derselben Zeit nicht einmal, sondern zwei- und dreimal ge¬ handelt und verdient werden kann, der Transport auf dem Rheinstrom anch oft mit großem Warenverluste verbunden ist. Gingen die norddeutschen Ströme nicht von Silber nach Norden, sondern flössen sie von Osten nach Westen, dann könnte der Osten sein Getreide leicht nach dem Westen befördern. Bei den thatsächlichen Verhältnissen erstickt der Osten — sit vsnia vsrvo — in seinem Reichtum, und als Folge ergeben sich trotz des Zolles die niedrigstem Getreidepreise. Der Zentner besten Weizens hatte im laufenden Jahre in Königsberg einen Preis meistens unter 9 Mark, in der Provinz stets einen noch niedrigeren, während eine Preissteigerung bis zu 10 und 10,50 Mark durchaus notwendig erscheint, wenn die mit hohen Staats- und Kommunal- steucru belasteten Landgüter eine Rente gewähren sollen. Wer und was bringt endlich die notwendige Hilfe? Die an den Fürsten Bismarck gerichtete Petition der Reichstagsabgeordneten deutet unter den zum Heile der Landwirtschaft dienenden Maßregel,! zunächst auf die Aufhebung des Identitätsnachweises hin, und diese Aufhebung ist seit den letzten fünf Jahren die Standarte gewesen, um die sich alle Freunde der östlichen Landwirtschaft, aufrichtige und unaufrichtige, geschart haben. Der Bundesrat hat allen Anträgen ein ^lon liaust entgegengesetzt, also bekundet, daß er in der Aufhebung des Identitätsnachweises ein Heil für die deutsche Landwirt¬ schaft nicht deutlich zu erblicken vermag. Auch wir bezweifeln einen irgendwie segensreichen Erfolg und wollen unsre Zweifel in folgendem begründen. Die Aufhebung des Identitätsnachweises, in Handelskreisen zunächst an¬ geregt und in landwirtschaftlichen Kreisen vielfach bewillkommnet, hat zunächst nur die Entfernung der Plombe von dem durch das Inland gehenden Transit¬ getreide zum Ziele. Dieses ausländische Getreide ist als Transitgut zollfrei, wird steueramtlich plombirt und überwacht, sodaß das wirklich eingegangene ausländische Getreide ausgeführt werden muß und durch nichts andres, ins¬ besondre nicht durch inländisches Getreide, ersetzt werden darf. Dieses Festhalten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/587>, abgerufen am 05.02.2025.