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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Historische Abstellung deutscher Grabstichclarbeiteu im Berliner Vnpferstichkabinet

So vit du magst, leb still für dich
Nach hohem Stand nicht sehne dich
Vom höchsten Schloß der donner klint
Herrn grad selten ein gut end nimmt.
Wenn du fürhast ein wichtig sach
So seh dich für und thu gemach
Mit eil soll man nicht heben an
Das man hernach nicht enden kann.

In den letzten Jahren seines Lebens waren es vorzugsweise Physio-
gnomische und Proportionsstudien, die Dürer fesselten. Ein Blatt, wie die von
einem Engel gekrönte Madonna aus dem Jahre 1520, zeigt keine Merkmale
einer besondern Vertiefung, es ist wohl mehr eine Arbeit, die der Marktnach¬
frage ihre Entstehung verdankt. Schon während seiner niederländischen Reise
und auch nach seiner Rückkehr in die Heimat wandte sich Dürer mit gesteigerter
Vorliebe dem Bildnisfache zu. In der Ausstellung sind seine Leistungen ans
diesem Gebiete durch den sogenannten "Kleinen Kardinal" (Albrecht von Mainz)
und das Porträt des Erasmus von Rotterdam vertreten, beides Zeitgenossen, die
bekanntlich in der Reformationsgeschichte ihre besondere Rolle spielten. Auf dem
denkwürdigen Reichstage zu Augsburg im Herbst 1518, wo Luther von dem
Päpstlichen Legaten Cajetan vernommen wurde, war auch Dürer mit seinen
Freunden Nützel und Spengler, den amtlichen Vertretern Nürnbergs, zugegen.
Hier entwarf er auch neben Skizzen zu dem Porträt des Kaisers Maximilian
die Zeichnung für den "Kleinen Kardinal," zunächst in Kohle (die Skizze
befindet sich in der Albertina in Wien) und sodann in sorgfältig den Stich
vorbereitender Federzeichnung (in der Kunsthalle zu Bremen.) Der Kurfürst
verfehlte nicht, nach Übersendung der Platte mit 200 Abzügen dem Künstler
seine Erkenntlichkeit zu erzeigen, indem er ihm 200 Gulden in Gold und
zwanzig Ellen Damast zu einem Rock schickte und auch später sich für Dürer
verwendete. Erasmus von Rotterdam zahlte für sein Konterfei, dessen Voll¬
endung er mit eitler Ungeduld kaum erwarten konnte, nur mit schönen
Redensarten. 1520 in Brüssel hatte er Dürer gesessen. 1526 ist der Stich
datirt, offenbar haben die Züge des großen Humanisten in Dürers Gedächtnis
nicht fest gehaftet, denn die Ähnlichkeit mit dem durch die Meisterhand Holbeins
verewigten Antlitz ist nur gering. Erasmus selbst konnte dieser Mangel nicht
entgehen, er entschuldigte ihn aber höflich und bescheiden zugleich damit, daß
er in den fünf Jahren, die seit dem Entwurf vergangen waren, eben nicht derselbe
geblieben sei. Technisch steht das Blatt auf der vollen Höhe jener letzten Kupferstiche
Dürers, deren Reihe es mit dem gleichzeitigen Porträt Melanchthons abschließt.
Den Nest seines Lebens widmete der Meister fast ausschließlich theoretischen
Untersuchungen, denen der Tod am 6. April 1528 ein Ziel setzte. Wenn
Erasmus von Rotterdam ihm sogar vor Apelles die Palme reicht, mit dein
verglichen zu werden der größte Malerruhm aller Zeiten blieb, so begründet


Historische Abstellung deutscher Grabstichclarbeiteu im Berliner Vnpferstichkabinet

So vit du magst, leb still für dich
Nach hohem Stand nicht sehne dich
Vom höchsten Schloß der donner klint
Herrn grad selten ein gut end nimmt.
Wenn du fürhast ein wichtig sach
So seh dich für und thu gemach
Mit eil soll man nicht heben an
Das man hernach nicht enden kann.

In den letzten Jahren seines Lebens waren es vorzugsweise Physio-
gnomische und Proportionsstudien, die Dürer fesselten. Ein Blatt, wie die von
einem Engel gekrönte Madonna aus dem Jahre 1520, zeigt keine Merkmale
einer besondern Vertiefung, es ist wohl mehr eine Arbeit, die der Marktnach¬
frage ihre Entstehung verdankt. Schon während seiner niederländischen Reise
und auch nach seiner Rückkehr in die Heimat wandte sich Dürer mit gesteigerter
Vorliebe dem Bildnisfache zu. In der Ausstellung sind seine Leistungen ans
diesem Gebiete durch den sogenannten „Kleinen Kardinal" (Albrecht von Mainz)
und das Porträt des Erasmus von Rotterdam vertreten, beides Zeitgenossen, die
bekanntlich in der Reformationsgeschichte ihre besondere Rolle spielten. Auf dem
denkwürdigen Reichstage zu Augsburg im Herbst 1518, wo Luther von dem
Päpstlichen Legaten Cajetan vernommen wurde, war auch Dürer mit seinen
Freunden Nützel und Spengler, den amtlichen Vertretern Nürnbergs, zugegen.
Hier entwarf er auch neben Skizzen zu dem Porträt des Kaisers Maximilian
die Zeichnung für den „Kleinen Kardinal," zunächst in Kohle (die Skizze
befindet sich in der Albertina in Wien) und sodann in sorgfältig den Stich
vorbereitender Federzeichnung (in der Kunsthalle zu Bremen.) Der Kurfürst
verfehlte nicht, nach Übersendung der Platte mit 200 Abzügen dem Künstler
seine Erkenntlichkeit zu erzeigen, indem er ihm 200 Gulden in Gold und
zwanzig Ellen Damast zu einem Rock schickte und auch später sich für Dürer
verwendete. Erasmus von Rotterdam zahlte für sein Konterfei, dessen Voll¬
endung er mit eitler Ungeduld kaum erwarten konnte, nur mit schönen
Redensarten. 1520 in Brüssel hatte er Dürer gesessen. 1526 ist der Stich
datirt, offenbar haben die Züge des großen Humanisten in Dürers Gedächtnis
nicht fest gehaftet, denn die Ähnlichkeit mit dem durch die Meisterhand Holbeins
verewigten Antlitz ist nur gering. Erasmus selbst konnte dieser Mangel nicht
entgehen, er entschuldigte ihn aber höflich und bescheiden zugleich damit, daß
er in den fünf Jahren, die seit dem Entwurf vergangen waren, eben nicht derselbe
geblieben sei. Technisch steht das Blatt auf der vollen Höhe jener letzten Kupferstiche
Dürers, deren Reihe es mit dem gleichzeitigen Porträt Melanchthons abschließt.
Den Nest seines Lebens widmete der Meister fast ausschließlich theoretischen
Untersuchungen, denen der Tod am 6. April 1528 ein Ziel setzte. Wenn
Erasmus von Rotterdam ihm sogar vor Apelles die Palme reicht, mit dein
verglichen zu werden der größte Malerruhm aller Zeiten blieb, so begründet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/573>, abgerufen am 05.02.2025.