Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Historische Ausstellung deutscher Grabstichelarbeiten im Lerliner Kitpferstichkcibinet Fahrt einen furchtlosen Ritter) sehr wohl einem bildenden Künstler des sechzehnten
lind doch kommt dies der Durchschnittsauffassung der Dürerschen Zeit viel¬ Hat man der Melancholie den Ritter trotz Tod und Teufel als den Sanguiniker Historische Ausstellung deutscher Grabstichelarbeiten im Lerliner Kitpferstichkcibinet Fahrt einen furchtlosen Ritter) sehr wohl einem bildenden Künstler des sechzehnten
lind doch kommt dies der Durchschnittsauffassung der Dürerschen Zeit viel¬ Hat man der Melancholie den Ritter trotz Tod und Teufel als den Sanguiniker <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0572" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205303"/> <fw type="header" place="top"> Historische Ausstellung deutscher Grabstichelarbeiten im Lerliner Kitpferstichkcibinet</fw><lb/> <p xml:id="ID_1606" prev="#ID_1605" next="#ID_1607"> Fahrt einen furchtlosen Ritter) sehr wohl einem bildenden Künstler des sechzehnten<lb/> Jahrhunderts auch ohne äußere Veranlassung kommen konnte, ist in erster Linie<lb/> als freie künstlerische Studie zu betrachten und zu würdigen. Daß Dürer<lb/> ähnliche Studien psychologisch zu vertiefen verstand, beweist uns um besten der<lb/> berühmte Stich „Melancholia." Nur ungern widerstehen wir dem Versuch, in<lb/> dieses tief ergreifende, echt deutsche Phantasiegebilde alle möglichen philo¬<lb/> sophischen Ideen und Probleme hineinzugeheimnissen. Wie trocken erscheint<lb/> uns neben diesem Werke Dürers ein Text, mit dein Jost Amman in seinem<lb/> Wappen- und Stammbuche 1589 die äußerlich an Dürers Gestalt sich an¬<lb/> lehnende Melancholia begleitet:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_15" type="poem"> <l> Hienauß, dortnaus mein Sinn sich lenkt<lb/> Und manche seltsam Kunst erteilte<lb/> Bist dn mein freunde, thu mich nicht irren<lb/> Sonst wirst» nur mein Hirn verwirren.<lb/> Mir bringt kein freud der Kinder schreyen<lb/> Der Hüner gehen, Eyer legen<lb/> Laß mich nur bleiben bey mein Sinn -<lb/> Sonst wirstus haben klein Gewinn.</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_1607" prev="#ID_1606"> lind doch kommt dies der Durchschnittsauffassung der Dürerschen Zeit viel¬<lb/> leicht näher, als unsre Faustischen Weltschmerzstimmnngen, die wir ans dem<lb/> auch landschaftlich ätißerst stimmungsvollen Bilde herauslesen möchten. Die<lb/> Melancholig ist eine der vier Komplexionen oder Temperamente, die in dem<lb/> Aberglauben der Zeit eine hervorragende Rolle spielen. Daß Dürer, vielleicht<lb/> unter dem Eindruck des gleichzeitigen Todes seiner geliebten Mutter, dem<lb/> Gegenstande eine psychologische Vertiefung hat angedeihen lassen, deren Bann<lb/> sich kein moderner Mensch zu entziehen vermag, weil sie eben über alle histo¬<lb/> rischen Grenzen hinaus menschlich ist, ist unbestreitbar, aber wir möchten auch<lb/> diesen Vorgang uns mehr als eine Form künstlerischer Durchbildung, als als<lb/> Aitsfluß einer augenblicklichen Stimmung denken. Giebt doch Alberti einmal<lb/> den Künstlern den offenbar praktisch gemeinten Rath: xvtisÄmnm xmAoncku.<lb/> «rat, yuae xw8 saints quoä exoogitsot rslmyuimt, qMin yuas ooulis mW-<lb/> (j-moi-. Nach dieser Anweisung ist offenbar auch Dürer verfahren.</p><lb/> <p xml:id="ID_1608"> Hat man der Melancholie den Ritter trotz Tod und Teufel als den Sanguiniker<lb/> zur Seite gestellt, so soll der ,,Hieronymus im Gehäus," den wir auch in der<lb/> Ausstellung neben jenen gleichzeitigen Stichen finden, das Phlegma vertreten.<lb/> Daß die anheimelnde Jnnenszene, das Urbild selbstgenugsamer Behaglichkeit,<lb/> die bis ins kleinste hinein durchklingt, im Gegensatz zu jenem phantastisch un¬<lb/> ruhigen Stimmungsbilde steht, empfindet jeder, der beide Bilder neben einander<lb/> sieht. Ob aber diese Behaglichkeit nur dem Phlegma eigen ist, mag ein besserer<lb/> .Kenner der „menschlichen Komplexionen" entscheiden. Wir setzen als Wahl¬<lb/> spruch dieses Heiligen Hieronymus eine von Chytracus überlieferte Inschrift<lb/> des sechzehnten Jahrhunderts:</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0572]
Historische Ausstellung deutscher Grabstichelarbeiten im Lerliner Kitpferstichkcibinet
Fahrt einen furchtlosen Ritter) sehr wohl einem bildenden Künstler des sechzehnten
Jahrhunderts auch ohne äußere Veranlassung kommen konnte, ist in erster Linie
als freie künstlerische Studie zu betrachten und zu würdigen. Daß Dürer
ähnliche Studien psychologisch zu vertiefen verstand, beweist uns um besten der
berühmte Stich „Melancholia." Nur ungern widerstehen wir dem Versuch, in
dieses tief ergreifende, echt deutsche Phantasiegebilde alle möglichen philo¬
sophischen Ideen und Probleme hineinzugeheimnissen. Wie trocken erscheint
uns neben diesem Werke Dürers ein Text, mit dein Jost Amman in seinem
Wappen- und Stammbuche 1589 die äußerlich an Dürers Gestalt sich an¬
lehnende Melancholia begleitet:
Hienauß, dortnaus mein Sinn sich lenkt
Und manche seltsam Kunst erteilte
Bist dn mein freunde, thu mich nicht irren
Sonst wirst» nur mein Hirn verwirren.
Mir bringt kein freud der Kinder schreyen
Der Hüner gehen, Eyer legen
Laß mich nur bleiben bey mein Sinn -
Sonst wirstus haben klein Gewinn.
lind doch kommt dies der Durchschnittsauffassung der Dürerschen Zeit viel¬
leicht näher, als unsre Faustischen Weltschmerzstimmnngen, die wir ans dem
auch landschaftlich ätißerst stimmungsvollen Bilde herauslesen möchten. Die
Melancholig ist eine der vier Komplexionen oder Temperamente, die in dem
Aberglauben der Zeit eine hervorragende Rolle spielen. Daß Dürer, vielleicht
unter dem Eindruck des gleichzeitigen Todes seiner geliebten Mutter, dem
Gegenstande eine psychologische Vertiefung hat angedeihen lassen, deren Bann
sich kein moderner Mensch zu entziehen vermag, weil sie eben über alle histo¬
rischen Grenzen hinaus menschlich ist, ist unbestreitbar, aber wir möchten auch
diesen Vorgang uns mehr als eine Form künstlerischer Durchbildung, als als
Aitsfluß einer augenblicklichen Stimmung denken. Giebt doch Alberti einmal
den Künstlern den offenbar praktisch gemeinten Rath: xvtisÄmnm xmAoncku.
«rat, yuae xw8 saints quoä exoogitsot rslmyuimt, qMin yuas ooulis mW-
(j-moi-. Nach dieser Anweisung ist offenbar auch Dürer verfahren.
Hat man der Melancholie den Ritter trotz Tod und Teufel als den Sanguiniker
zur Seite gestellt, so soll der ,,Hieronymus im Gehäus," den wir auch in der
Ausstellung neben jenen gleichzeitigen Stichen finden, das Phlegma vertreten.
Daß die anheimelnde Jnnenszene, das Urbild selbstgenugsamer Behaglichkeit,
die bis ins kleinste hinein durchklingt, im Gegensatz zu jenem phantastisch un¬
ruhigen Stimmungsbilde steht, empfindet jeder, der beide Bilder neben einander
sieht. Ob aber diese Behaglichkeit nur dem Phlegma eigen ist, mag ein besserer
.Kenner der „menschlichen Komplexionen" entscheiden. Wir setzen als Wahl¬
spruch dieses Heiligen Hieronymus eine von Chytracus überlieferte Inschrift
des sechzehnten Jahrhunderts:
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |