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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Litteratur

Psychologie, ^le den dichtenden Zeitgenossen Lenbachs eigen ist, und die dem
novellistischen Porträtmaler doch besser ansteht, als seinem dramatischen Geistes¬
verwandten Franz Grillparzer. Sie beide werden jene eigenartige Nachblüte der
Goethischen Poesie (wie dies schon Grillparzer stolzbescheiden von sich empfand)
doch einmal am vollständigsten darstellen, die Farbenreichtum und Sinnenglut
mit kältester Reflexion durchsetzte. Merkwürdig, der Einsiedler Grillparzer stellt
ihre Tagseite dar, das "Weltkind" Heyse die Nachtseite! Doch auch an dieser
Glücksnatnr ist ja der Freund der Dichter, der Schmerz, nicht achtlos vorüber¬
gegangen. Eine Reihe der am tiefsten empfundnen Gedichte kündet es dein Leser
mit einem trauernden Kehrreim.


Konradin, der letzte Hohenstaufe. Trauerspiel in fünf Akten von Martin Greif.
Stuttgart, Cotta, 1389

Eine Hohcnstaufentragödie muß von vornherein sehr individuelle oder sehr
bedeutende Züge tragen, um überhaupt noch Leser festzuhalten. Weder das eine
noch das andre kann von diesem Drama des gewiß redlich strebenden und auch
durchaus nicht talentlosen Dichters gesagt werden. Wir wissen nicht, in wie weit
das alte Gartenlaubenmotiv des Ueberganges weiblichen Hasses in Liebe bei
"Violante Frangipcmi" im Kreise der Hohenstaufentragödien auf Neuheit Anspruch
erheben kann. Jedenfalls verpufft es ganz befremdlich wirkungslos, obgleich der
Dichter "in Rache sich verschmähte Liebe kehren" läßt und zeigt, wie das "unglück¬
selige Weib" bei dein Bericht von Konradins Hinrichtung "sich zerknirscht zu-
sammenbeugt." Was die szenische Vorschrift S. 66 soll (wo "sie angsterfüllt die
Stufen zum Kapital emporstürmt," um, von der Menge nicht dnrchgelasfen, "zur
Seite abzugehen"), ist unverständlich. Die Seite des Bedeutenden würden wir gern
belegen, wenn sich auch nur ein Vers aus dem gleichmäßigen Trabe des Gleich-
giltigen kräftiger heraushöbe. Geradezu platt wollen wir es ja nicht nennen, aber
wir würden lieber manche derbe Plattheit mit einem gelegentlichen Aufschwünge
erkaufen.


Bilder ohne Rahmen. Aus den Papieren einer Ungenannten. Achte Auflage. Heidel¬
berg, Winter, 1889

Zum achtenmale wird dieses schöne Buch, dem die große Kunst gelungen ist,
die Entsagung liebenswürdig und die Weltflucht anmutig zu macheu, seinen Weg
zu gleichgestimmten Herzen antreten. Möge es manchem das heute so seltene
Glück lehren, sich vor der Welt ohne Haß zu verschließen, ohne dabei aufzuhören,
sich ihrer zu freuen und sie so tief und von so vielen Seiten aufzufassen, wie es
diese Sprüche zeigen. In der deutschen Poesie setzte einmal die Idee einer poe¬
tischen Prosa, besser einer Lyrik ohne Vers, sehr bestimmt und nachhaltig ein.
Hier haben wir noch einen Ableger dieses Triebes in einer ihm sonst so wenig
gemäßen Zeit. -






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Litteratur

Psychologie, ^le den dichtenden Zeitgenossen Lenbachs eigen ist, und die dem
novellistischen Porträtmaler doch besser ansteht, als seinem dramatischen Geistes¬
verwandten Franz Grillparzer. Sie beide werden jene eigenartige Nachblüte der
Goethischen Poesie (wie dies schon Grillparzer stolzbescheiden von sich empfand)
doch einmal am vollständigsten darstellen, die Farbenreichtum und Sinnenglut
mit kältester Reflexion durchsetzte. Merkwürdig, der Einsiedler Grillparzer stellt
ihre Tagseite dar, das „Weltkind" Heyse die Nachtseite! Doch auch an dieser
Glücksnatnr ist ja der Freund der Dichter, der Schmerz, nicht achtlos vorüber¬
gegangen. Eine Reihe der am tiefsten empfundnen Gedichte kündet es dein Leser
mit einem trauernden Kehrreim.


Konradin, der letzte Hohenstaufe. Trauerspiel in fünf Akten von Martin Greif.
Stuttgart, Cotta, 1389

Eine Hohcnstaufentragödie muß von vornherein sehr individuelle oder sehr
bedeutende Züge tragen, um überhaupt noch Leser festzuhalten. Weder das eine
noch das andre kann von diesem Drama des gewiß redlich strebenden und auch
durchaus nicht talentlosen Dichters gesagt werden. Wir wissen nicht, in wie weit
das alte Gartenlaubenmotiv des Ueberganges weiblichen Hasses in Liebe bei
„Violante Frangipcmi" im Kreise der Hohenstaufentragödien auf Neuheit Anspruch
erheben kann. Jedenfalls verpufft es ganz befremdlich wirkungslos, obgleich der
Dichter „in Rache sich verschmähte Liebe kehren" läßt und zeigt, wie das „unglück¬
selige Weib" bei dein Bericht von Konradins Hinrichtung „sich zerknirscht zu-
sammenbeugt." Was die szenische Vorschrift S. 66 soll (wo „sie angsterfüllt die
Stufen zum Kapital emporstürmt," um, von der Menge nicht dnrchgelasfen, „zur
Seite abzugehen"), ist unverständlich. Die Seite des Bedeutenden würden wir gern
belegen, wenn sich auch nur ein Vers aus dem gleichmäßigen Trabe des Gleich-
giltigen kräftiger heraushöbe. Geradezu platt wollen wir es ja nicht nennen, aber
wir würden lieber manche derbe Plattheit mit einem gelegentlichen Aufschwünge
erkaufen.


Bilder ohne Rahmen. Aus den Papieren einer Ungenannten. Achte Auflage. Heidel¬
berg, Winter, 1889

Zum achtenmale wird dieses schöne Buch, dem die große Kunst gelungen ist,
die Entsagung liebenswürdig und die Weltflucht anmutig zu macheu, seinen Weg
zu gleichgestimmten Herzen antreten. Möge es manchem das heute so seltene
Glück lehren, sich vor der Welt ohne Haß zu verschließen, ohne dabei aufzuhören,
sich ihrer zu freuen und sie so tief und von so vielen Seiten aufzufassen, wie es
diese Sprüche zeigen. In der deutschen Poesie setzte einmal die Idee einer poe¬
tischen Prosa, besser einer Lyrik ohne Vers, sehr bestimmt und nachhaltig ein.
Hier haben wir noch einen Ableger dieses Triebes in einer ihm sonst so wenig
gemäßen Zeit. -






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0056] Litteratur Psychologie, ^le den dichtenden Zeitgenossen Lenbachs eigen ist, und die dem novellistischen Porträtmaler doch besser ansteht, als seinem dramatischen Geistes¬ verwandten Franz Grillparzer. Sie beide werden jene eigenartige Nachblüte der Goethischen Poesie (wie dies schon Grillparzer stolzbescheiden von sich empfand) doch einmal am vollständigsten darstellen, die Farbenreichtum und Sinnenglut mit kältester Reflexion durchsetzte. Merkwürdig, der Einsiedler Grillparzer stellt ihre Tagseite dar, das „Weltkind" Heyse die Nachtseite! Doch auch an dieser Glücksnatnr ist ja der Freund der Dichter, der Schmerz, nicht achtlos vorüber¬ gegangen. Eine Reihe der am tiefsten empfundnen Gedichte kündet es dein Leser mit einem trauernden Kehrreim. Konradin, der letzte Hohenstaufe. Trauerspiel in fünf Akten von Martin Greif. Stuttgart, Cotta, 1389 Eine Hohcnstaufentragödie muß von vornherein sehr individuelle oder sehr bedeutende Züge tragen, um überhaupt noch Leser festzuhalten. Weder das eine noch das andre kann von diesem Drama des gewiß redlich strebenden und auch durchaus nicht talentlosen Dichters gesagt werden. Wir wissen nicht, in wie weit das alte Gartenlaubenmotiv des Ueberganges weiblichen Hasses in Liebe bei „Violante Frangipcmi" im Kreise der Hohenstaufentragödien auf Neuheit Anspruch erheben kann. Jedenfalls verpufft es ganz befremdlich wirkungslos, obgleich der Dichter „in Rache sich verschmähte Liebe kehren" läßt und zeigt, wie das „unglück¬ selige Weib" bei dein Bericht von Konradins Hinrichtung „sich zerknirscht zu- sammenbeugt." Was die szenische Vorschrift S. 66 soll (wo „sie angsterfüllt die Stufen zum Kapital emporstürmt," um, von der Menge nicht dnrchgelasfen, „zur Seite abzugehen"), ist unverständlich. Die Seite des Bedeutenden würden wir gern belegen, wenn sich auch nur ein Vers aus dem gleichmäßigen Trabe des Gleich- giltigen kräftiger heraushöbe. Geradezu platt wollen wir es ja nicht nennen, aber wir würden lieber manche derbe Plattheit mit einem gelegentlichen Aufschwünge erkaufen. Bilder ohne Rahmen. Aus den Papieren einer Ungenannten. Achte Auflage. Heidel¬ berg, Winter, 1889 Zum achtenmale wird dieses schöne Buch, dem die große Kunst gelungen ist, die Entsagung liebenswürdig und die Weltflucht anmutig zu macheu, seinen Weg zu gleichgestimmten Herzen antreten. Möge es manchem das heute so seltene Glück lehren, sich vor der Welt ohne Haß zu verschließen, ohne dabei aufzuhören, sich ihrer zu freuen und sie so tief und von so vielen Seiten aufzufassen, wie es diese Sprüche zeigen. In der deutschen Poesie setzte einmal die Idee einer poe¬ tischen Prosa, besser einer Lyrik ohne Vers, sehr bestimmt und nachhaltig ein. Hier haben wir noch einen Ableger dieses Triebes in einer ihm sonst so wenig gemäßen Zeit. - Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/56>, abgerufen am 05.02.2025.