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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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ver Kronprinz in der Ronfliktszeit

ihnen die Grundvesten des Hauses in ihren Fugen gelockert werden würden, in
welchem er einmal selbst als König Wohnung zu nehmen hatte.

Nun unsre Vermutungen. Beobachter auf hohem Standpunkte wollen
die Bemerkung gemacht haben, daß seit einigen Jahrzehnten eine Veränderung
in den Anschauungen und Bestrebungen der regierenden Häuser vorgegangen
zu sein scheine, die bei der einen Persönlichkeit deutlicher, bei der andern weniger
erkennbar hervortrete, aber nur selten ganz fehle, wie früher, wo eher das
Gegenteil der betreffenden Denkweise unter den Regenten und Prinzen die
Regel bildete. Bis zur Einführung von Verfassungen nach westlichem Muster
und zur Entwicklung einer einflußreichen Presse genügten die Fürsten mit
geringen Ausnahmen sich selbst, erfreuten sich in vornehmem Beruhen auf
ihrem ererbten oder zu ererbenden Amte oder, je nachdem sie es auffaßten,
ihrem Besitze, ihrer Würde, ihrer Rechte, unbekümmert um den Beifall oder
Tadel, den ihr Regiment bei der öffentlichen Meinung fand. Die guten bemühten
sich, in vollem Ernst Landesvater zu sein oder zu werden, die andern waren auch
ohne solche Mühe sicher, so zu heißen. Es lag etwas von Größe in dieser
Bedürfnislosigkeit, namentlich wo sie mit Klugheit gepaart war und nach
Kräften ihre Schuldigkeit that. Jetzt ist das also, wie behauptet wird, vielfach
anders geworden. Das alte starke Selbstgefühl, die frühere Sicherheit scheint
ausgestorben, man sucht nach Geltung außer sich selbst, man bedarf Anerkennung
beim Publikum der Zeitungen, man ist mit seiner Würde nicht zufrieden und
will daneben auch Würdigung. Diese Unsicherheit und dieses Verlangen nach
Stützen hat ganze Dynastien ergriffen und die nicht seltene Erscheinung hervor¬
gerufen, daß sie alle Parteien zu befriedigen und für sich zu gewinnen streben,
indem auf die Weise für die Zukunft gesorgt wird, daß immer der Thronerbe
sich zu der politischen Doktrin bekennt, die derjenigen entgegengesetzt ist, die
der Throninhaber für die rechte hält und durch sein Regierungssystem zu ver¬
wirklichen sucht.

Wir können nun erzählen, ohne befürchten zu müssen, daß die Dinge irrtüm¬
lich aufgefaßt werden. Bei der Erzählung aber halten wir uns größtenteils,
um ganz unparteiisch zu sein, an die Darstellungen des Konflikts zwischen dem
Könige und dem Ministerium einerseits und dem Kronprinzen anderseits, welche
Personen aus der Umgebung des letztern zu Urhebern hatten.

Bei Gelegenheit einer militärischen Dienstreise hatte der Kronprinz sich in
Danzig gegen die Preßverordnung vom 1. Juni sowie über die innere Politik
seines Vaters überhaupt abfällig ausgesprochen. Darauf forderte ihn der König
in einem strengen Briefe auf. sein Urteil zurückzunehmen, widrigenfalls er ihn
seiner Stellen und Würden entsetzen werde. Der Prinz lehnte den ihm nn-
gesonnenen Widerruf ub, bot die Niederlegung seines Befehlshaberpostens und
andrer Stellen an und bat, ihm zu erlauben, daß er sich mit seiner Familie
nach einem Orte begebe, wo er von dem Verdachte (doch wohl bei den liberalen


ver Kronprinz in der Ronfliktszeit

ihnen die Grundvesten des Hauses in ihren Fugen gelockert werden würden, in
welchem er einmal selbst als König Wohnung zu nehmen hatte.

Nun unsre Vermutungen. Beobachter auf hohem Standpunkte wollen
die Bemerkung gemacht haben, daß seit einigen Jahrzehnten eine Veränderung
in den Anschauungen und Bestrebungen der regierenden Häuser vorgegangen
zu sein scheine, die bei der einen Persönlichkeit deutlicher, bei der andern weniger
erkennbar hervortrete, aber nur selten ganz fehle, wie früher, wo eher das
Gegenteil der betreffenden Denkweise unter den Regenten und Prinzen die
Regel bildete. Bis zur Einführung von Verfassungen nach westlichem Muster
und zur Entwicklung einer einflußreichen Presse genügten die Fürsten mit
geringen Ausnahmen sich selbst, erfreuten sich in vornehmem Beruhen auf
ihrem ererbten oder zu ererbenden Amte oder, je nachdem sie es auffaßten,
ihrem Besitze, ihrer Würde, ihrer Rechte, unbekümmert um den Beifall oder
Tadel, den ihr Regiment bei der öffentlichen Meinung fand. Die guten bemühten
sich, in vollem Ernst Landesvater zu sein oder zu werden, die andern waren auch
ohne solche Mühe sicher, so zu heißen. Es lag etwas von Größe in dieser
Bedürfnislosigkeit, namentlich wo sie mit Klugheit gepaart war und nach
Kräften ihre Schuldigkeit that. Jetzt ist das also, wie behauptet wird, vielfach
anders geworden. Das alte starke Selbstgefühl, die frühere Sicherheit scheint
ausgestorben, man sucht nach Geltung außer sich selbst, man bedarf Anerkennung
beim Publikum der Zeitungen, man ist mit seiner Würde nicht zufrieden und
will daneben auch Würdigung. Diese Unsicherheit und dieses Verlangen nach
Stützen hat ganze Dynastien ergriffen und die nicht seltene Erscheinung hervor¬
gerufen, daß sie alle Parteien zu befriedigen und für sich zu gewinnen streben,
indem auf die Weise für die Zukunft gesorgt wird, daß immer der Thronerbe
sich zu der politischen Doktrin bekennt, die derjenigen entgegengesetzt ist, die
der Throninhaber für die rechte hält und durch sein Regierungssystem zu ver¬
wirklichen sucht.

Wir können nun erzählen, ohne befürchten zu müssen, daß die Dinge irrtüm¬
lich aufgefaßt werden. Bei der Erzählung aber halten wir uns größtenteils,
um ganz unparteiisch zu sein, an die Darstellungen des Konflikts zwischen dem
Könige und dem Ministerium einerseits und dem Kronprinzen anderseits, welche
Personen aus der Umgebung des letztern zu Urhebern hatten.

Bei Gelegenheit einer militärischen Dienstreise hatte der Kronprinz sich in
Danzig gegen die Preßverordnung vom 1. Juni sowie über die innere Politik
seines Vaters überhaupt abfällig ausgesprochen. Darauf forderte ihn der König
in einem strengen Briefe auf. sein Urteil zurückzunehmen, widrigenfalls er ihn
seiner Stellen und Würden entsetzen werde. Der Prinz lehnte den ihm nn-
gesonnenen Widerruf ub, bot die Niederlegung seines Befehlshaberpostens und
andrer Stellen an und bat, ihm zu erlauben, daß er sich mit seiner Familie
nach einem Orte begebe, wo er von dem Verdachte (doch wohl bei den liberalen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/556>, abgerufen am 05.02.2025.