Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.mild geschürt hätte. Sie war eben in erster Linie ein Gewerbe, ihre Lebens¬ Diese glückliche Wendung sollte jedoch noch lange auf sich warten lassen. mild geschürt hätte. Sie war eben in erster Linie ein Gewerbe, ihre Lebens¬ Diese glückliche Wendung sollte jedoch noch lange auf sich warten lassen. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0548" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205279"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1544" prev="#ID_1543"> mild geschürt hätte. Sie war eben in erster Linie ein Gewerbe, ihre Lebens¬<lb/> luft Aufregung, ihre oberste Tugend Betriebsamkeit, ihr Rohstoff und das<lb/> Produkt ihrer Arbeit das, was die Dänen „Wahrheitmit Modifikation" nennen.<lb/> Versöhnung der Geister, Klärung der getrübten Wasser, Ruhe lagen ganz und gar<lb/> nicht in ihrem Interesse. Wer fragte viel nach ihr, wenn es keinen Streit gab,<lb/> wo fand sich Stoff zu Leitartikeln, die verschlungen wurden, wo blieb die<lb/> Glorie des gewandten, schneidigen, unerschrocknen Helden von der Stahlfeder,<lb/> der den großen Herren oben alle Morgen und Abende die Wahrheit sagte —<lb/> wo blieben zuletzt dem Herrn Verleger die Abonnenten und Aunomen, die ihm<lb/> den Geldbeutel schwellten! Hier war dem Giftbaum die Axt an die Wurzel<lb/> zu legen, hier zu hemmen und zu wehren. Geschäftsmäßiges Hetzen im eignen<lb/> Interesse gegen das Interesse des Staates sollte mit der Verordnung zur Un¬<lb/> möglichkeit gemacht werden. Nicht Leidenschaft bewog dazu, uicht Rache, sondern<lb/> der Wunsch, durch heilsame Zucht des Gesetzes einen unnatürlichen Zustand,<lb/> ein politisches Fieber mit seinen Wahnvorstellungen mit Beseitigung seiner<lb/> Hauptursache zu vertreiben. Gelang es der Negierung, die öffentliche Meinung,<lb/> die freilich schon zu sehr unter dem Baume der Presse stand, um viel hoffen<lb/> zu lassen, zunächst die Parteileidenschaftcn einigermaßen zu beschwichtigen, und<lb/> folgte darauf weitere Beruhigung, auch auf andern Gebieten der innern Politik,<lb/> so konnte man darauf vertrauen, daß sich daran der Beginn einer fernern<lb/> Entwicklung des preußischen Verfassungslcbens erfreulicher Art schließen werde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1545" next="#ID_1546"> Diese glückliche Wendung sollte jedoch noch lange auf sich warten lassen.<lb/> Zunächst erhob sich im liberalen Heerlager allenthalben ein Aufschrei über<lb/> die Verordnung vom 1. Juni. Sie wurde mit den Ordonnanzen des Ministeriums<lb/> Polignac verglichen, die zu der Revolution von 1830 geführt hatten. Sie<lb/> war der Anfang der Reaktion, die, wie prophetische Zeitungs- und Landtags¬<lb/> stimmen schon längst verkündet hatten, seit dem Amtsantritt des „Junkers"<lb/> von Schönhausen und seiner geistesverwandten Kollegen deutlich erkennbar am<lb/> Horizonte Preußens heraufgezogen war. Sie war eine Verletzung der Ver¬<lb/> fassung, eine Mißachtung des Abgeordnetenhauses, das dabei nicht gefragt<lb/> worden war, eine Beleidigung des Richterstandes durch Geringschätzung seiner<lb/> Befähigung zur Abhilfe oder durch Mißtrauen in seinen guten Willen, ein<lb/> Schlag ins Gesicht der Preßfreiheit, kurz, eine unerhörte Vergewaltigung.<lb/> Es gab, wenn man den Schreiern, die diese Anklage erhoben, Glauben ver¬<lb/> messen durfte, fortan in Preußen keinen Rechtsstaat mehr, Preußen war zu einem<lb/> Polizeistaat geworden. In Wahrheit hatte man dreister Zügellosigkeit Schranken<lb/> zu setzen versucht und dabei allerdings nicht vermeiden können, allerlei Interessen<lb/> zu bedrohen, und gewisse Doktrinen der Demokratie nicht als schon Gesetz ge¬<lb/> worden behandelt. Die Preßfreiheit war der demokratischen Opposition unan¬<lb/> tastbar, auch wo sie zur Preßfrechheit ausartete, und die Preßverordnnng war<lb/> dieser Meinung nicht. Sie gefährdete ferner die Presse als Geschäft, den</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0548]
mild geschürt hätte. Sie war eben in erster Linie ein Gewerbe, ihre Lebens¬
luft Aufregung, ihre oberste Tugend Betriebsamkeit, ihr Rohstoff und das
Produkt ihrer Arbeit das, was die Dänen „Wahrheitmit Modifikation" nennen.
Versöhnung der Geister, Klärung der getrübten Wasser, Ruhe lagen ganz und gar
nicht in ihrem Interesse. Wer fragte viel nach ihr, wenn es keinen Streit gab,
wo fand sich Stoff zu Leitartikeln, die verschlungen wurden, wo blieb die
Glorie des gewandten, schneidigen, unerschrocknen Helden von der Stahlfeder,
der den großen Herren oben alle Morgen und Abende die Wahrheit sagte —
wo blieben zuletzt dem Herrn Verleger die Abonnenten und Aunomen, die ihm
den Geldbeutel schwellten! Hier war dem Giftbaum die Axt an die Wurzel
zu legen, hier zu hemmen und zu wehren. Geschäftsmäßiges Hetzen im eignen
Interesse gegen das Interesse des Staates sollte mit der Verordnung zur Un¬
möglichkeit gemacht werden. Nicht Leidenschaft bewog dazu, uicht Rache, sondern
der Wunsch, durch heilsame Zucht des Gesetzes einen unnatürlichen Zustand,
ein politisches Fieber mit seinen Wahnvorstellungen mit Beseitigung seiner
Hauptursache zu vertreiben. Gelang es der Negierung, die öffentliche Meinung,
die freilich schon zu sehr unter dem Baume der Presse stand, um viel hoffen
zu lassen, zunächst die Parteileidenschaftcn einigermaßen zu beschwichtigen, und
folgte darauf weitere Beruhigung, auch auf andern Gebieten der innern Politik,
so konnte man darauf vertrauen, daß sich daran der Beginn einer fernern
Entwicklung des preußischen Verfassungslcbens erfreulicher Art schließen werde.
Diese glückliche Wendung sollte jedoch noch lange auf sich warten lassen.
Zunächst erhob sich im liberalen Heerlager allenthalben ein Aufschrei über
die Verordnung vom 1. Juni. Sie wurde mit den Ordonnanzen des Ministeriums
Polignac verglichen, die zu der Revolution von 1830 geführt hatten. Sie
war der Anfang der Reaktion, die, wie prophetische Zeitungs- und Landtags¬
stimmen schon längst verkündet hatten, seit dem Amtsantritt des „Junkers"
von Schönhausen und seiner geistesverwandten Kollegen deutlich erkennbar am
Horizonte Preußens heraufgezogen war. Sie war eine Verletzung der Ver¬
fassung, eine Mißachtung des Abgeordnetenhauses, das dabei nicht gefragt
worden war, eine Beleidigung des Richterstandes durch Geringschätzung seiner
Befähigung zur Abhilfe oder durch Mißtrauen in seinen guten Willen, ein
Schlag ins Gesicht der Preßfreiheit, kurz, eine unerhörte Vergewaltigung.
Es gab, wenn man den Schreiern, die diese Anklage erhoben, Glauben ver¬
messen durfte, fortan in Preußen keinen Rechtsstaat mehr, Preußen war zu einem
Polizeistaat geworden. In Wahrheit hatte man dreister Zügellosigkeit Schranken
zu setzen versucht und dabei allerdings nicht vermeiden können, allerlei Interessen
zu bedrohen, und gewisse Doktrinen der Demokratie nicht als schon Gesetz ge¬
worden behandelt. Die Preßfreiheit war der demokratischen Opposition unan¬
tastbar, auch wo sie zur Preßfrechheit ausartete, und die Preßverordnnng war
dieser Meinung nicht. Sie gefährdete ferner die Presse als Geschäft, den
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |