Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Goethes Wettkampf mit den griechischen Dichtern Iphigenie Diesem Schauspiel nahetreten. In der hingeworfenen Bemerkung des Königs liegt der Kenn zu einer Be¬ Goethe fand deu antiken Stoff und dessen antike Bearbeitung in einer
Dies zog ihn zu Orest. Seine Ftthrerin in diesem Emporklimme" zu den Aber wie konnte Goethe in dieser durchaus subjektive" Auffassung unter¬ Goethes Wettkampf mit den griechischen Dichtern Iphigenie Diesem Schauspiel nahetreten. In der hingeworfenen Bemerkung des Königs liegt der Kenn zu einer Be¬ Goethe fand deu antiken Stoff und dessen antike Bearbeitung in einer
Dies zog ihn zu Orest. Seine Ftthrerin in diesem Emporklimme« zu den Aber wie konnte Goethe in dieser durchaus subjektive» Auffassung unter¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0516" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205247"/> <fw type="header" place="top"> Goethes Wettkampf mit den griechischen Dichtern</fw><lb/> <note type="speaker"> Iphigenie</note><lb/> <p xml:id="ID_1436" next="#ID_1437"> Diesem Schauspiel nahetreten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1437" prev="#ID_1436"> In der hingeworfenen Bemerkung des Königs liegt der Kenn zu einer Be¬<lb/> werbung um die Hand der Priesterin, aber der Dichter läßt Iphigenie leicht<lb/> darüber hinweggehen, und die Sache ist abgethan. Es scheint sast, als ob<lb/> Euripides mit Gewalt die Nebenpersonen in den Hintergrund gedrängt hätte,<lb/> um den beiden Heldengestalten, Iphigenie und Orest, freien Raum zu lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1438" next="#ID_1439"> Goethe fand deu antiken Stoff und dessen antike Bearbeitung in einer<lb/> durchaus modernen, man möchte sagen christlich-sentimentalen Stimmung. Er<lb/> selbst war inmitten eines Läuternngs- und Reinigungsprvzesses. Ans der<lb/> Satyros- und Prometheusstimmung, ans der studentisch-burschikosen und kauf-<lb/> mäunisch-lebenslustigen Atmosphäre des Frankfurter Patriziersohues, aus dem.<lb/> Wirrwarr der Werther-, Mitschuldige«!- und Stellaprvduktion rang er sich<lb/> empor zu sittlicher Klarheit, zum vorsichtigen Hofton, zur objektiven Welt-<lb/> anschauung, und an der Schwelle dieses Ringens stehen die schon 177<i ge¬<lb/> schriebenen Worte:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_14" type="poem"> <l> Ach, ich bin des Treibens müde!<lb/> Was soll all der Schmerz und Lust?<lb/> Süßer Friede,<lb/> Kvnnn, ach kennen in meine Brust!</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_1439" prev="#ID_1438"> Dies zog ihn zu Orest. Seine Ftthrerin in diesem Emporklimme« zu den<lb/> Höhen der Menschheit war, wie schon angedeutet, Frau von Stein. Dies zog<lb/> ihn zu Iphigenie, der „Schwester," wie er die geliebte Frau oft genug nennt.<lb/> War diese in ihrer äußern Erscheinung nicht die Priesterin, die Tochter Aga-<lb/> memuous, so bot sich in der schönen Corona Schröter ungesucht die passendste<lb/> Darstellerin dar.</p><lb/> <p xml:id="ID_1440" next="#ID_1441"> Aber wie konnte Goethe in dieser durchaus subjektive» Auffassung unter¬<lb/> nehmen, sich mit Euripides zu messen? Ja, das wird freilich immer ein Rätsel<lb/> bleiben, denn es ist und bleibt eine geniale That, vielleicht die genialste in<lb/> Goethes dichterischem Leben und Wirken. Er pfropfte das christliche Reis,<lb/> das er aus dem eignen Herzen gebrochen hatte, auf den alten griechisch¬<lb/> heidnischen Stamm, und dieser war kräftig.genug, den edeln Zweig zu beleben<lb/> und zur herrlichsten Blüte zu treibe». Das Meisterstück gelang, indem Goethe<lb/> mit der clivins-dio des echten Dichters den Schwerpunkt in das dritte Motiv,<lb/> in die Heilung des Orest, verlegte und die beiden andern, die Erkennung und<lb/> die Flucht, diesem unterordnete, es gelang, indem er die Heilung vollbringen<lb/> ließ durch die göttliche Macht der uneigennützigen, opferwilligen Liebe in dem<lb/> irdischen Gefäß einer sittlich reinen und sittlich hohen Jungfran. Darum hat<lb/> er auch nur eine Heldengestalt, die der Iphigenie; alle andern treten in har¬<lb/> monischen Abstufungen vor ihr zurück, die Chöre mit ihren melodramatischen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0516]
Goethes Wettkampf mit den griechischen Dichtern
Iphigenie
Diesem Schauspiel nahetreten.
In der hingeworfenen Bemerkung des Königs liegt der Kenn zu einer Be¬
werbung um die Hand der Priesterin, aber der Dichter läßt Iphigenie leicht
darüber hinweggehen, und die Sache ist abgethan. Es scheint sast, als ob
Euripides mit Gewalt die Nebenpersonen in den Hintergrund gedrängt hätte,
um den beiden Heldengestalten, Iphigenie und Orest, freien Raum zu lassen.
Goethe fand deu antiken Stoff und dessen antike Bearbeitung in einer
durchaus modernen, man möchte sagen christlich-sentimentalen Stimmung. Er
selbst war inmitten eines Läuternngs- und Reinigungsprvzesses. Ans der
Satyros- und Prometheusstimmung, ans der studentisch-burschikosen und kauf-
mäunisch-lebenslustigen Atmosphäre des Frankfurter Patriziersohues, aus dem.
Wirrwarr der Werther-, Mitschuldige«!- und Stellaprvduktion rang er sich
empor zu sittlicher Klarheit, zum vorsichtigen Hofton, zur objektiven Welt-
anschauung, und an der Schwelle dieses Ringens stehen die schon 177<i ge¬
schriebenen Worte:
Ach, ich bin des Treibens müde!
Was soll all der Schmerz und Lust?
Süßer Friede,
Kvnnn, ach kennen in meine Brust!
Dies zog ihn zu Orest. Seine Ftthrerin in diesem Emporklimme« zu den
Höhen der Menschheit war, wie schon angedeutet, Frau von Stein. Dies zog
ihn zu Iphigenie, der „Schwester," wie er die geliebte Frau oft genug nennt.
War diese in ihrer äußern Erscheinung nicht die Priesterin, die Tochter Aga-
memuous, so bot sich in der schönen Corona Schröter ungesucht die passendste
Darstellerin dar.
Aber wie konnte Goethe in dieser durchaus subjektive» Auffassung unter¬
nehmen, sich mit Euripides zu messen? Ja, das wird freilich immer ein Rätsel
bleiben, denn es ist und bleibt eine geniale That, vielleicht die genialste in
Goethes dichterischem Leben und Wirken. Er pfropfte das christliche Reis,
das er aus dem eignen Herzen gebrochen hatte, auf den alten griechisch¬
heidnischen Stamm, und dieser war kräftig.genug, den edeln Zweig zu beleben
und zur herrlichsten Blüte zu treibe». Das Meisterstück gelang, indem Goethe
mit der clivins-dio des echten Dichters den Schwerpunkt in das dritte Motiv,
in die Heilung des Orest, verlegte und die beiden andern, die Erkennung und
die Flucht, diesem unterordnete, es gelang, indem er die Heilung vollbringen
ließ durch die göttliche Macht der uneigennützigen, opferwilligen Liebe in dem
irdischen Gefäß einer sittlich reinen und sittlich hohen Jungfran. Darum hat
er auch nur eine Heldengestalt, die der Iphigenie; alle andern treten in har¬
monischen Abstufungen vor ihr zurück, die Chöre mit ihren melodramatischen
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