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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Goethes Mettkampf mit den griechischen Dichtern

der nächste" Umgebung des Dichters leicht nachweisen. Iphigenie ist Fran
von Stein, die ,,Besänftigeritt der Leidenschaften/' mit der sinnlichen Hoheit
und Schönheit der Corona Schröter ausgestattet, Orest der leidenschaftlich be¬
wegte junge Goethe selbst, der von mancherlei Geistern umschwirrt ist. Selbst
wenn man in Phlades den Herzog Karl August, den rüstigen Helfer und un¬
verwüstlichen Hvffer, erblicken wollte, so wäre das nicht gewagt.

Von tieferem Studium der Griechen aber noch leine Spur. Ans der
Landstraße, im Wirtshause, im romantisch gelegenen Schloß, in der Waldhütte,
beim Rekrntenausheben und Wegebesichtigen, mitten im Lärm des geschäftigen,
verdrießlichen, prosaischen modernen Alltagslebens wird die deutsche Iphigenie
gleichsam ruck- und stoßweise ins Leben gerufen, und um die hohen, klaren,
ruhigen Gestalten ans ihrer klassischen Zeitenferne heranzulocken, liest der Dichter
nicht im Euripides oder Sophokles, sondern -- läßt im Nebenzimmer ein paar
geübte Stimmen ihre zufällig eingeübten modernen Lieder singen!

Das Griechische hatte überhaupt dem jungen Goethe einige Not gemacht.
In der Kindheit und in den ersten Jünglingsjahren hatte er nnr wenig davon
gelernt, erst Herder machte ihn in Straßburg ans die Klassizität und Origi¬
nalität der griechischen Dichter aufmerksam, und Vater Brion in Sessenheim
las mit ihm den Homer. In Weimar nahm er gelegentlich dieses Studium
wieder ans, Dalberg mußte ihm von neuem einen Homer schicken, auch mit
griechischer Mythologie gab er sich gern ub, aber die Tragiker las er wie Schiller
nnr in französischer Übersetzung. Antike Stoffe traten vor Iphigenie ganz
zerstreut und ""vermittelt in sein Phantasieleben ein und nur als Träger ganz
moderner Ideenverbindungen. So beschäftigte er sich "ach seiner Rückkehr von
Strnßbnrg ins Elternhaus kurze Zeit mit einem Drama "Sokrates," ließ es
ober fallen, weil er daran zweifelte, daß es ihm gelingen würde, "sich vom
Dienste des Götzenbildes, das Pluto bemale und vergolde, dein .^euophvu
räuchere, zu der wahren Religion hinaufzuschwingen, der statt des Heiligen
ein großer Mensch erscheine, den er mit Lievesenthnsiasmns an seine Brust
drücke" könne mit dem Zuruf: Mein Freund und Bruder"! Doch hatte dieser
Plan die Folge, daß er ^enophon, Pluto, Theokrit, Anakreon und Pindar
studirte.

Nach der Rückkehr von Wetzlar schrieb er den "Satyros" und das Bruch¬
stück "Prometheus," beide um dem unbegrenzten Kraftgefühl der Sturm- und
Drangperiode Ausdruck zu verleihen. Im zweiten Jahre feines Weimarischen
Lebens, als er schon unter der Zucht der Frau von Stein zum Maßvollen,
Gesetzte", dnrch Selbstbeschränkung Geläuterten hinneigte, 1777, schrieb er das
Monodrama "Proserpina" für Corona Schröter. In diesen ungereimten Bers-
zeilen, die annähernd den antiken Strophenbau veranschaulichen, herrscht ein
hvchpathetischer Schwung der Gedanken und Empfindungen. Die lebensfrohe,
warmblütige Tochter der Ceres beklagt ihr Schicksal, zur Königin der düstern,


Goethes Mettkampf mit den griechischen Dichtern

der nächste» Umgebung des Dichters leicht nachweisen. Iphigenie ist Fran
von Stein, die ,,Besänftigeritt der Leidenschaften/' mit der sinnlichen Hoheit
und Schönheit der Corona Schröter ausgestattet, Orest der leidenschaftlich be¬
wegte junge Goethe selbst, der von mancherlei Geistern umschwirrt ist. Selbst
wenn man in Phlades den Herzog Karl August, den rüstigen Helfer und un¬
verwüstlichen Hvffer, erblicken wollte, so wäre das nicht gewagt.

Von tieferem Studium der Griechen aber noch leine Spur. Ans der
Landstraße, im Wirtshause, im romantisch gelegenen Schloß, in der Waldhütte,
beim Rekrntenausheben und Wegebesichtigen, mitten im Lärm des geschäftigen,
verdrießlichen, prosaischen modernen Alltagslebens wird die deutsche Iphigenie
gleichsam ruck- und stoßweise ins Leben gerufen, und um die hohen, klaren,
ruhigen Gestalten ans ihrer klassischen Zeitenferne heranzulocken, liest der Dichter
nicht im Euripides oder Sophokles, sondern — läßt im Nebenzimmer ein paar
geübte Stimmen ihre zufällig eingeübten modernen Lieder singen!

Das Griechische hatte überhaupt dem jungen Goethe einige Not gemacht.
In der Kindheit und in den ersten Jünglingsjahren hatte er nnr wenig davon
gelernt, erst Herder machte ihn in Straßburg ans die Klassizität und Origi¬
nalität der griechischen Dichter aufmerksam, und Vater Brion in Sessenheim
las mit ihm den Homer. In Weimar nahm er gelegentlich dieses Studium
wieder ans, Dalberg mußte ihm von neuem einen Homer schicken, auch mit
griechischer Mythologie gab er sich gern ub, aber die Tragiker las er wie Schiller
nnr in französischer Übersetzung. Antike Stoffe traten vor Iphigenie ganz
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moderner Ideenverbindungen. So beschäftigte er sich »ach seiner Rückkehr von
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Dienste des Götzenbildes, das Pluto bemale und vergolde, dein .^euophvu
räuchere, zu der wahren Religion hinaufzuschwingen, der statt des Heiligen
ein großer Mensch erscheine, den er mit Lievesenthnsiasmns an seine Brust
drücke» könne mit dem Zuruf: Mein Freund und Bruder"! Doch hatte dieser
Plan die Folge, daß er ^enophon, Pluto, Theokrit, Anakreon und Pindar
studirte.

Nach der Rückkehr von Wetzlar schrieb er den „Satyros" und das Bruch¬
stück „Prometheus," beide um dem unbegrenzten Kraftgefühl der Sturm- und
Drangperiode Ausdruck zu verleihen. Im zweiten Jahre feines Weimarischen
Lebens, als er schon unter der Zucht der Frau von Stein zum Maßvollen,
Gesetzte», dnrch Selbstbeschränkung Geläuterten hinneigte, 1777, schrieb er das
Monodrama „Proserpina" für Corona Schröter. In diesen ungereimten Bers-
zeilen, die annähernd den antiken Strophenbau veranschaulichen, herrscht ein
hvchpathetischer Schwung der Gedanken und Empfindungen. Die lebensfrohe,
warmblütige Tochter der Ceres beklagt ihr Schicksal, zur Königin der düstern,


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[0511] Goethes Mettkampf mit den griechischen Dichtern der nächste» Umgebung des Dichters leicht nachweisen. Iphigenie ist Fran von Stein, die ,,Besänftigeritt der Leidenschaften/' mit der sinnlichen Hoheit und Schönheit der Corona Schröter ausgestattet, Orest der leidenschaftlich be¬ wegte junge Goethe selbst, der von mancherlei Geistern umschwirrt ist. Selbst wenn man in Phlades den Herzog Karl August, den rüstigen Helfer und un¬ verwüstlichen Hvffer, erblicken wollte, so wäre das nicht gewagt. Von tieferem Studium der Griechen aber noch leine Spur. Ans der Landstraße, im Wirtshause, im romantisch gelegenen Schloß, in der Waldhütte, beim Rekrntenausheben und Wegebesichtigen, mitten im Lärm des geschäftigen, verdrießlichen, prosaischen modernen Alltagslebens wird die deutsche Iphigenie gleichsam ruck- und stoßweise ins Leben gerufen, und um die hohen, klaren, ruhigen Gestalten ans ihrer klassischen Zeitenferne heranzulocken, liest der Dichter nicht im Euripides oder Sophokles, sondern — läßt im Nebenzimmer ein paar geübte Stimmen ihre zufällig eingeübten modernen Lieder singen! Das Griechische hatte überhaupt dem jungen Goethe einige Not gemacht. In der Kindheit und in den ersten Jünglingsjahren hatte er nnr wenig davon gelernt, erst Herder machte ihn in Straßburg ans die Klassizität und Origi¬ nalität der griechischen Dichter aufmerksam, und Vater Brion in Sessenheim las mit ihm den Homer. In Weimar nahm er gelegentlich dieses Studium wieder ans, Dalberg mußte ihm von neuem einen Homer schicken, auch mit griechischer Mythologie gab er sich gern ub, aber die Tragiker las er wie Schiller nnr in französischer Übersetzung. Antike Stoffe traten vor Iphigenie ganz zerstreut und „»vermittelt in sein Phantasieleben ein und nur als Träger ganz moderner Ideenverbindungen. So beschäftigte er sich »ach seiner Rückkehr von Strnßbnrg ins Elternhaus kurze Zeit mit einem Drama „Sokrates," ließ es ober fallen, weil er daran zweifelte, daß es ihm gelingen würde, „sich vom Dienste des Götzenbildes, das Pluto bemale und vergolde, dein .^euophvu räuchere, zu der wahren Religion hinaufzuschwingen, der statt des Heiligen ein großer Mensch erscheine, den er mit Lievesenthnsiasmns an seine Brust drücke» könne mit dem Zuruf: Mein Freund und Bruder"! Doch hatte dieser Plan die Folge, daß er ^enophon, Pluto, Theokrit, Anakreon und Pindar studirte. Nach der Rückkehr von Wetzlar schrieb er den „Satyros" und das Bruch¬ stück „Prometheus," beide um dem unbegrenzten Kraftgefühl der Sturm- und Drangperiode Ausdruck zu verleihen. Im zweiten Jahre feines Weimarischen Lebens, als er schon unter der Zucht der Frau von Stein zum Maßvollen, Gesetzte», dnrch Selbstbeschränkung Geläuterten hinneigte, 1777, schrieb er das Monodrama „Proserpina" für Corona Schröter. In diesen ungereimten Bers- zeilen, die annähernd den antiken Strophenbau veranschaulichen, herrscht ein hvchpathetischer Schwung der Gedanken und Empfindungen. Die lebensfrohe, warmblütige Tochter der Ceres beklagt ihr Schicksal, zur Königin der düstern,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/511>, abgerufen am 05.02.2025.