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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Goethes Ulettkmnpf init den griechischen Dichtern

dann will ich mich in das Schloß sperre lind einige Tilge.' an meinen Figuren
bosseln. Ich leb mit den Menschen dieser Welt, und esse und trinke, spaße
auch wohl mit ihnen, spüre sie aber kaum, denn mein inneres Leben gehl un-
verrücklich seinen Gang." In Apvlda erging es ihm. nicht so gut. Er klagt
Knebel, der den Thoas spielen soll: "Ehrlicher alter Herr König, ich muß dir
gestehen, daß ich als ambtilirender povw sehr geschunden bin, und hätte ich
die Paar schönen Tage in dem ruhigen und lieblichen Dvrnbnrger Schlößchen
nicht gehabt, so wäre das El halb ausgebrütet verfault. Denn von hier sehe
ich keine gute Hoffnung. Es machen mich den ganzen Abend ein Paar Hunde
toll, die ich mit Befehl und Trinkgeldern nicht stillen kann." Und der Fran
von Stein: "Hier will das Drama nicht fort; es ist verflucht, der König von
Tauris soll reden, als wenn kein Strumpfwirker in Apolda hungerte." In
Vntlstädt kam das Stück wieder ins Rollen, in Altstadt wurden die drei ersten
Akte fertig, in Ilmenau anf dem Schwalbensteine am 15. März der vierte
Akt, und am 2". März war das ganze Werk vollendet. Die erste Aufführung
fand in Weimar am 6. April, das ist am, dritten Osterfeiertage, statt. Goethe
selbst spielte den Orest, Corona Schröter die Iphigenie, Knebel als Thoas,
Prinz Konstantin als Pvlades und Sekretär Seidler als Arkas stellten die
erdgeborne Begleitung der beiden heroischen Gestalten dar. "Nie werde ich
deu Eindruck vergessen -- schrieb Hufeland ein Jahr nach Goethes Tode in der
Zeitschrift für praktische Heilkunde -- den er als Orestes im griechischen Kostüm,
in der Darstellung seiner Iphigenie machte. Mau glaubte einen Apollo zu
sehen. Noch nie erblickte man eine solche Bereinigung physischer nud geistiger
Bollkommeuheit und Schönheit als damals an Goethe." Und Fräulein von
Göchhausen, die aufrichtigste der Hofdamen, gestand der Frau Rat, der sie von
der Aufführung Bericht erstattete: ,,sein Kleid war griechisch, und ich habe
ihn in meinem Leben nicht so schön gesehen." Bei einer der nächsten Auf¬
führungen, am 12. Juli, in Mercks Gegenwart spielte der Herzog deu Pylades --
nun war das Stück erst vollkommen in die Gegenwart gerückt.

So ist Iphigenie entstanden, eine der schönsten und reinsten Perlen unter
Goethes Dichtungen. Der erste Entwurf war der entscheidende, denn die
spätere Ausfeilnng und metrische Überarbeitung des Stückes, die er im sonnigen
Italien vornahm, hat in Inhalt und Form nur weniges verändert. Im
vierten Auftritt des viereckt Aktes ist das Auftreten des Pylades besser be¬
gründet, in der Schlußszene siud die Nebenpersonen ausgeschieden, und das
Ganze ist in kunstgerechte Verse gebracht. Aber was will das sagen! War
doch schon in der Prosa unwillkürlich der rhythmische Gaug der Sprache vor¬
gebildet.

Es ist nicht zu leugnen: Goethes Iphigenie ist ganz aus der Romantik
des ersten Jahrzehnts entsprossen, das er in Weimar zubrachte, und man
kann gerade bei dieser Dichtung die Borbilder für die einzelnen Charaktere in


Goethes Ulettkmnpf init den griechischen Dichtern

dann will ich mich in das Schloß sperre lind einige Tilge.' an meinen Figuren
bosseln. Ich leb mit den Menschen dieser Welt, und esse und trinke, spaße
auch wohl mit ihnen, spüre sie aber kaum, denn mein inneres Leben gehl un-
verrücklich seinen Gang." In Apvlda erging es ihm. nicht so gut. Er klagt
Knebel, der den Thoas spielen soll: „Ehrlicher alter Herr König, ich muß dir
gestehen, daß ich als ambtilirender povw sehr geschunden bin, und hätte ich
die Paar schönen Tage in dem ruhigen und lieblichen Dvrnbnrger Schlößchen
nicht gehabt, so wäre das El halb ausgebrütet verfault. Denn von hier sehe
ich keine gute Hoffnung. Es machen mich den ganzen Abend ein Paar Hunde
toll, die ich mit Befehl und Trinkgeldern nicht stillen kann." Und der Fran
von Stein: „Hier will das Drama nicht fort; es ist verflucht, der König von
Tauris soll reden, als wenn kein Strumpfwirker in Apolda hungerte." In
Vntlstädt kam das Stück wieder ins Rollen, in Altstadt wurden die drei ersten
Akte fertig, in Ilmenau anf dem Schwalbensteine am 15. März der vierte
Akt, und am 2». März war das ganze Werk vollendet. Die erste Aufführung
fand in Weimar am 6. April, das ist am, dritten Osterfeiertage, statt. Goethe
selbst spielte den Orest, Corona Schröter die Iphigenie, Knebel als Thoas,
Prinz Konstantin als Pvlades und Sekretär Seidler als Arkas stellten die
erdgeborne Begleitung der beiden heroischen Gestalten dar. „Nie werde ich
deu Eindruck vergessen — schrieb Hufeland ein Jahr nach Goethes Tode in der
Zeitschrift für praktische Heilkunde — den er als Orestes im griechischen Kostüm,
in der Darstellung seiner Iphigenie machte. Mau glaubte einen Apollo zu
sehen. Noch nie erblickte man eine solche Bereinigung physischer nud geistiger
Bollkommeuheit und Schönheit als damals an Goethe." Und Fräulein von
Göchhausen, die aufrichtigste der Hofdamen, gestand der Frau Rat, der sie von
der Aufführung Bericht erstattete: ,,sein Kleid war griechisch, und ich habe
ihn in meinem Leben nicht so schön gesehen." Bei einer der nächsten Auf¬
führungen, am 12. Juli, in Mercks Gegenwart spielte der Herzog deu Pylades —
nun war das Stück erst vollkommen in die Gegenwart gerückt.

So ist Iphigenie entstanden, eine der schönsten und reinsten Perlen unter
Goethes Dichtungen. Der erste Entwurf war der entscheidende, denn die
spätere Ausfeilnng und metrische Überarbeitung des Stückes, die er im sonnigen
Italien vornahm, hat in Inhalt und Form nur weniges verändert. Im
vierten Auftritt des viereckt Aktes ist das Auftreten des Pylades besser be¬
gründet, in der Schlußszene siud die Nebenpersonen ausgeschieden, und das
Ganze ist in kunstgerechte Verse gebracht. Aber was will das sagen! War
doch schon in der Prosa unwillkürlich der rhythmische Gaug der Sprache vor¬
gebildet.

Es ist nicht zu leugnen: Goethes Iphigenie ist ganz aus der Romantik
des ersten Jahrzehnts entsprossen, das er in Weimar zubrachte, und man
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[0510] Goethes Ulettkmnpf init den griechischen Dichtern dann will ich mich in das Schloß sperre lind einige Tilge.' an meinen Figuren bosseln. Ich leb mit den Menschen dieser Welt, und esse und trinke, spaße auch wohl mit ihnen, spüre sie aber kaum, denn mein inneres Leben gehl un- verrücklich seinen Gang." In Apvlda erging es ihm. nicht so gut. Er klagt Knebel, der den Thoas spielen soll: „Ehrlicher alter Herr König, ich muß dir gestehen, daß ich als ambtilirender povw sehr geschunden bin, und hätte ich die Paar schönen Tage in dem ruhigen und lieblichen Dvrnbnrger Schlößchen nicht gehabt, so wäre das El halb ausgebrütet verfault. Denn von hier sehe ich keine gute Hoffnung. Es machen mich den ganzen Abend ein Paar Hunde toll, die ich mit Befehl und Trinkgeldern nicht stillen kann." Und der Fran von Stein: „Hier will das Drama nicht fort; es ist verflucht, der König von Tauris soll reden, als wenn kein Strumpfwirker in Apolda hungerte." In Vntlstädt kam das Stück wieder ins Rollen, in Altstadt wurden die drei ersten Akte fertig, in Ilmenau anf dem Schwalbensteine am 15. März der vierte Akt, und am 2». März war das ganze Werk vollendet. Die erste Aufführung fand in Weimar am 6. April, das ist am, dritten Osterfeiertage, statt. Goethe selbst spielte den Orest, Corona Schröter die Iphigenie, Knebel als Thoas, Prinz Konstantin als Pvlades und Sekretär Seidler als Arkas stellten die erdgeborne Begleitung der beiden heroischen Gestalten dar. „Nie werde ich deu Eindruck vergessen — schrieb Hufeland ein Jahr nach Goethes Tode in der Zeitschrift für praktische Heilkunde — den er als Orestes im griechischen Kostüm, in der Darstellung seiner Iphigenie machte. Mau glaubte einen Apollo zu sehen. Noch nie erblickte man eine solche Bereinigung physischer nud geistiger Bollkommeuheit und Schönheit als damals an Goethe." Und Fräulein von Göchhausen, die aufrichtigste der Hofdamen, gestand der Frau Rat, der sie von der Aufführung Bericht erstattete: ,,sein Kleid war griechisch, und ich habe ihn in meinem Leben nicht so schön gesehen." Bei einer der nächsten Auf¬ führungen, am 12. Juli, in Mercks Gegenwart spielte der Herzog deu Pylades — nun war das Stück erst vollkommen in die Gegenwart gerückt. So ist Iphigenie entstanden, eine der schönsten und reinsten Perlen unter Goethes Dichtungen. Der erste Entwurf war der entscheidende, denn die spätere Ausfeilnng und metrische Überarbeitung des Stückes, die er im sonnigen Italien vornahm, hat in Inhalt und Form nur weniges verändert. Im vierten Auftritt des viereckt Aktes ist das Auftreten des Pylades besser be¬ gründet, in der Schlußszene siud die Nebenpersonen ausgeschieden, und das Ganze ist in kunstgerechte Verse gebracht. Aber was will das sagen! War doch schon in der Prosa unwillkürlich der rhythmische Gaug der Sprache vor¬ gebildet. Es ist nicht zu leugnen: Goethes Iphigenie ist ganz aus der Romantik des ersten Jahrzehnts entsprossen, das er in Weimar zubrachte, und man kann gerade bei dieser Dichtung die Borbilder für die einzelnen Charaktere in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/510>, abgerufen am 05.02.2025.