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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Lüde

wechselvolles Ganze von Natur und Kultur, "gelegt" zu Gunsten einer, wir
möchten sagen, "denatnrirten" Kultur, einer Kultur, die in chemischer Wollust
jede Berührung mit der Natur zurückweist, und wird gezwungen, sich mehr
und mehr in die Gebirge zu flüchte", Aber auch hier läßt man ihr keine
Ruhe. Es ist ja nicht zu ändern, das; der Weg der Kultur über die Trümmer
des Vergangnen geht, und es wäre ein Verbrechen, ihrem Triumphzuge um
einer sentimentalen Anwandlung willen in die Arme zu fallen, es ist auch nicht
zu hindern, daß die Einsamkeit und Stille von Berg und Wald in deu Bereich
der eisernen Verkehrswege gezogen wird, aber umso mehr sollte man darauf
bedacht sein, derlei Eingriffe ans das Maß der Notwendigkeit und wohlver-
standuen Nützlichkeit zu beschränken. Wie man aber heute die Sache -- die
Erschließung der Gebirge und ihrer ästhetischen Schätze -- in Augriff nimmt,
werden nicht viele Jahrzehnte mehr imo Land gehen, bis jede irgend nennens-
werte Schönheit unsrer Mittelgebirge dnrch eine Hochbahn, eine Drahtseil¬
oder Zahnradbahn genommen sein wird. Derlei Bahnen mögen für die Alpen
noch Hingeben, wo sie naturgemäß sich auf den suum, die Erhebungen untern
Ranges beschränken müssen, wo aber der eigentliche Kern, das Innere der
Hochgebirge, die Majestät der Firn- und Gletscherwelt vor dem Antasten ihrer
brutalen Hand gefeit bleibt; für unsre deutschen Waldgebirge sind sie geradezu
ein Unfug. Die eigentlich schönen Punkte dieser Gebirge, eben die, die von
den Hochbahnen aufgesucht werden, sind an den Fingern herzuzählen, sie sind
zahmer und zarter Natur und vertragen ein rauhes Anfassen nicht, am wenigsten
von einem eisernen Handschuh, und auch ihr Reiz ist wesentlich mit bedingt durch
die Stimmung der umgebenden Landschaft, deren Mittelpunkt sie bilde,:. Diese
aber wird durch eine Hochbahn unwiderruflich zerstört.

Wir Deutschen galten bis ans unsre Tage als ein Volk von idealen Träumern
und sentimentalen Gefühlsmenschen. Wir haben unsern Fehler erkannt und
beschlossen, diese üble Nachrede um jeden Preis zu zerstören. Während die
Amerikaner, bei uns verrufen als die nüchternsten Spekulanten, eine ganze
Provinz voll der erhabensten Naturwunder zum Nationalpark erklärt und damit
der gemeinen Spekulation entrückt haben, sind wir in bester Arbeit, den Harz,
das geschlossenste, herrlichste und besuchteste unsrer kleinen Gebirge, zu Haukeeisiren
und meistbietend an die Spekulation loszuschlagen. Nichts kaun bezeichnender
sein für deu Notstand, in dem sich die Landschaft befindet, als daß es möglich
war, daß der Bvdekeffel, die erste Schönheit des innern Deutschlands, der einzige
Punkt, der Alpeucharakter trägt und neben dem alles, was sonst wohl genannt
wird, wie etwa das vielgepriesene Höllenthnl des Schwarzwaldes, zum Un¬
bedeutenden herabsinkt, daß diese Perle der Landschaft einer Spekulation vor¬
geworfen werden konnte, die ohne den Schatten eines wirklichen Bedürfnisses, nicht
mehr Berechtigung beanspruchen kann, als etwa die Errichtung eines Tingel¬
tangel ans der Roßtrappe oder eines (ZnK klmntünt. auf dein Hexentanzplatz,


Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Lüde

wechselvolles Ganze von Natur und Kultur, „gelegt" zu Gunsten einer, wir
möchten sagen, „denatnrirten" Kultur, einer Kultur, die in chemischer Wollust
jede Berührung mit der Natur zurückweist, und wird gezwungen, sich mehr
und mehr in die Gebirge zu flüchte», Aber auch hier läßt man ihr keine
Ruhe. Es ist ja nicht zu ändern, das; der Weg der Kultur über die Trümmer
des Vergangnen geht, und es wäre ein Verbrechen, ihrem Triumphzuge um
einer sentimentalen Anwandlung willen in die Arme zu fallen, es ist auch nicht
zu hindern, daß die Einsamkeit und Stille von Berg und Wald in deu Bereich
der eisernen Verkehrswege gezogen wird, aber umso mehr sollte man darauf
bedacht sein, derlei Eingriffe ans das Maß der Notwendigkeit und wohlver-
standuen Nützlichkeit zu beschränken. Wie man aber heute die Sache — die
Erschließung der Gebirge und ihrer ästhetischen Schätze — in Augriff nimmt,
werden nicht viele Jahrzehnte mehr imo Land gehen, bis jede irgend nennens-
werte Schönheit unsrer Mittelgebirge dnrch eine Hochbahn, eine Drahtseil¬
oder Zahnradbahn genommen sein wird. Derlei Bahnen mögen für die Alpen
noch Hingeben, wo sie naturgemäß sich auf den suum, die Erhebungen untern
Ranges beschränken müssen, wo aber der eigentliche Kern, das Innere der
Hochgebirge, die Majestät der Firn- und Gletscherwelt vor dem Antasten ihrer
brutalen Hand gefeit bleibt; für unsre deutschen Waldgebirge sind sie geradezu
ein Unfug. Die eigentlich schönen Punkte dieser Gebirge, eben die, die von
den Hochbahnen aufgesucht werden, sind an den Fingern herzuzählen, sie sind
zahmer und zarter Natur und vertragen ein rauhes Anfassen nicht, am wenigsten
von einem eisernen Handschuh, und auch ihr Reiz ist wesentlich mit bedingt durch
die Stimmung der umgebenden Landschaft, deren Mittelpunkt sie bilde,:. Diese
aber wird durch eine Hochbahn unwiderruflich zerstört.

Wir Deutschen galten bis ans unsre Tage als ein Volk von idealen Träumern
und sentimentalen Gefühlsmenschen. Wir haben unsern Fehler erkannt und
beschlossen, diese üble Nachrede um jeden Preis zu zerstören. Während die
Amerikaner, bei uns verrufen als die nüchternsten Spekulanten, eine ganze
Provinz voll der erhabensten Naturwunder zum Nationalpark erklärt und damit
der gemeinen Spekulation entrückt haben, sind wir in bester Arbeit, den Harz,
das geschlossenste, herrlichste und besuchteste unsrer kleinen Gebirge, zu Haukeeisiren
und meistbietend an die Spekulation loszuschlagen. Nichts kaun bezeichnender
sein für deu Notstand, in dem sich die Landschaft befindet, als daß es möglich
war, daß der Bvdekeffel, die erste Schönheit des innern Deutschlands, der einzige
Punkt, der Alpeucharakter trägt und neben dem alles, was sonst wohl genannt
wird, wie etwa das vielgepriesene Höllenthnl des Schwarzwaldes, zum Un¬
bedeutenden herabsinkt, daß diese Perle der Landschaft einer Spekulation vor¬
geworfen werden konnte, die ohne den Schatten eines wirklichen Bedürfnisses, nicht
mehr Berechtigung beanspruchen kann, als etwa die Errichtung eines Tingel¬
tangel ans der Roßtrappe oder eines (ZnK klmntünt. auf dein Hexentanzplatz,


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[0506] Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Lüde wechselvolles Ganze von Natur und Kultur, „gelegt" zu Gunsten einer, wir möchten sagen, „denatnrirten" Kultur, einer Kultur, die in chemischer Wollust jede Berührung mit der Natur zurückweist, und wird gezwungen, sich mehr und mehr in die Gebirge zu flüchte», Aber auch hier läßt man ihr keine Ruhe. Es ist ja nicht zu ändern, das; der Weg der Kultur über die Trümmer des Vergangnen geht, und es wäre ein Verbrechen, ihrem Triumphzuge um einer sentimentalen Anwandlung willen in die Arme zu fallen, es ist auch nicht zu hindern, daß die Einsamkeit und Stille von Berg und Wald in deu Bereich der eisernen Verkehrswege gezogen wird, aber umso mehr sollte man darauf bedacht sein, derlei Eingriffe ans das Maß der Notwendigkeit und wohlver- standuen Nützlichkeit zu beschränken. Wie man aber heute die Sache — die Erschließung der Gebirge und ihrer ästhetischen Schätze — in Augriff nimmt, werden nicht viele Jahrzehnte mehr imo Land gehen, bis jede irgend nennens- werte Schönheit unsrer Mittelgebirge dnrch eine Hochbahn, eine Drahtseil¬ oder Zahnradbahn genommen sein wird. Derlei Bahnen mögen für die Alpen noch Hingeben, wo sie naturgemäß sich auf den suum, die Erhebungen untern Ranges beschränken müssen, wo aber der eigentliche Kern, das Innere der Hochgebirge, die Majestät der Firn- und Gletscherwelt vor dem Antasten ihrer brutalen Hand gefeit bleibt; für unsre deutschen Waldgebirge sind sie geradezu ein Unfug. Die eigentlich schönen Punkte dieser Gebirge, eben die, die von den Hochbahnen aufgesucht werden, sind an den Fingern herzuzählen, sie sind zahmer und zarter Natur und vertragen ein rauhes Anfassen nicht, am wenigsten von einem eisernen Handschuh, und auch ihr Reiz ist wesentlich mit bedingt durch die Stimmung der umgebenden Landschaft, deren Mittelpunkt sie bilde,:. Diese aber wird durch eine Hochbahn unwiderruflich zerstört. Wir Deutschen galten bis ans unsre Tage als ein Volk von idealen Träumern und sentimentalen Gefühlsmenschen. Wir haben unsern Fehler erkannt und beschlossen, diese üble Nachrede um jeden Preis zu zerstören. Während die Amerikaner, bei uns verrufen als die nüchternsten Spekulanten, eine ganze Provinz voll der erhabensten Naturwunder zum Nationalpark erklärt und damit der gemeinen Spekulation entrückt haben, sind wir in bester Arbeit, den Harz, das geschlossenste, herrlichste und besuchteste unsrer kleinen Gebirge, zu Haukeeisiren und meistbietend an die Spekulation loszuschlagen. Nichts kaun bezeichnender sein für deu Notstand, in dem sich die Landschaft befindet, als daß es möglich war, daß der Bvdekeffel, die erste Schönheit des innern Deutschlands, der einzige Punkt, der Alpeucharakter trägt und neben dem alles, was sonst wohl genannt wird, wie etwa das vielgepriesene Höllenthnl des Schwarzwaldes, zum Un¬ bedeutenden herabsinkt, daß diese Perle der Landschaft einer Spekulation vor¬ geworfen werden konnte, die ohne den Schatten eines wirklichen Bedürfnisses, nicht mehr Berechtigung beanspruchen kann, als etwa die Errichtung eines Tingel¬ tangel ans der Roßtrappe oder eines (ZnK klmntünt. auf dein Hexentanzplatz,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/506>, abgerufen am 05.02.2025.