Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Ende einander. Das gilt nach unten wie nach oben. Hier bleiben nnr die besitzen¬ Wenn nun auch, wie noch einmal ansdrücklich hervorgehoben werden soll, Und wie dem Dorfe, so ergeht es der Landschaft, ans der das Dorf heraus¬ Grenzboten II 1S89 63
Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Ende einander. Das gilt nach unten wie nach oben. Hier bleiben nnr die besitzen¬ Wenn nun auch, wie noch einmal ansdrücklich hervorgehoben werden soll, Und wie dem Dorfe, so ergeht es der Landschaft, ans der das Dorf heraus¬ Grenzboten II 1S89 63
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Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Ende
einander. Das gilt nach unten wie nach oben. Hier bleiben nnr die besitzen¬
den Bauern auf der Scholle, die dienende Klasse der Knechte, Mägde und Tage¬
löhner wird in eine immer mehr fluktuireude Bewegung gezogen, die lediglich
dem Gesetz von Angebot und Nachfrage dient und schon heute Ostpreußen und
Polaren bis zur Nordsee und zur Weser führt. Dort erleidet durch den schon
erwähnten Umstand, daß die oberste Schicht der Bauern allmählich dein
Nahmen und den Maßen des Dorfes entwächst, die zurückbleibende Bauerschaft
eine viixitis ckvuüuuUo, während wiederum die innere Konsolidation dieses
Restes durch die Verbindungen und Beziehungen, die zurückbleiben, gehin¬
dert wird.
Wenn nun auch, wie noch einmal ansdrücklich hervorgehoben werden soll,
die geschilderten Umgestaltungen und Umwandlungen in dieser Gewaltsamkeit
ihres Auftretens und Eingreifens der Hauptsache uach sich auf das nördliche
und besonders nordwestliche Deutschland beschränken, auf die Gegenden der von
alters her geschlossenen Höfe und der Einbänden, wenn insbesondre in der
stark parzellirten Mitte unsers Vaterlandes schon die Armut des Bauernstandes
der Entwicklung einen langsamern Gang aufzwingt, so lassen sich doch überall
Cpuren und Ansätze dazu wahrnehmen, und es kann nicht fehlen, daß hier
früher, dort später die gleichen Ursachen auch die gleichen Wirkungen hervor¬
bringen werden.
Und wie dem Dorfe, so ergeht es der Landschaft, ans der das Dorf heraus¬
gewachsen ist. Der Deutsche bedarf heute, bei dem immer anfreibenderen Ge¬
triebe des tägliche» Lebens, der alten Landschaft mehr als je zuvor zu seiner
Erholung und Erbauung, aber diese ist täglich weniger imstande, den Nach¬
kommen das zu sein, was sie den vergangenen Geschlechtern gewesen ist, gleich¬
sam der Jungbruuuen der Sage, der dem Volke die Fähigkeit verleiht, nie zu
altern, mit stets frischen Kräften den sich stets erneuernden und wachsenden
Aufgaben der Geschichte gerecht zu werden. Was uns bekümmern muß, ist
viel weniger der Umstand, daß die alte Landschaft verschwindet — das ent¬
spricht dem Laufe der Welt und dein Gesetze der Natur —, sondern daß wir
keine neue an ihrer Statt erstehen sehen. Nur eine Ausnahme müssen Nur
erwähnen, diese allerdings höchst erfreulicher Art: sie betrifft unsern Norden,
jene öden und unwirtlichen Gegenden der Heiden und Moore, die dereinst,
wenn die Bewaldung der einen und der An- und Abbau der andern sich voll¬
zogen haben wird, uns eiuen vollständig veränderten Anblick und ein Beispiel
der wunderbare,! Verwandlungen zeigen werden, die die Mittel der modernen
Kultur unter den ungünstigsten Verhältnissen zu erzwingen vermögen. Im
allgemeinen aber bleibt es richtig: die Landschaft weicht vor unsern Augen
zurück; wie in vergangnen Zeiten die wilde Natur niedergelegt ward, um
Raum für die Landschaft im zivilisirten Sinne des Wortes zu gewinnen, so
wird heute diese Landschaft, ihrem Begriff nach ein in einander gearbeitetes,
Grenzboten II 1S89 63
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