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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Ende

an der alten Einrichtung und Verbindung der Wirtschaftsrämne sich das Be¬
streben erkennen läßt, die Wohnung gänzlich aus dein beengenden Verbände
des Einbaues herauszuziehen, allerdings hauptsächlich, wenn auch uicht allein
in den Gegenden, wo der Bauer durch ein plötzliches und unvermitteltes Steigen
seines Wohlstandes und seiner Mittel seinem Stande gewissermaßen entwöhnt
und durch die Nachbarschaft größerer Städte oder Güter in die Versuchung
geführt wird, sich städtische oder herrschaftliche Moden und Bedürfnisse anzu¬
eignen, eine Versuchung, der der Bauer des meist protestantischen uno auf¬
geweckteren Nordwesten weit eher unterliegt, als der katholische und noch immer
von tiefer Abneigung und Mißtrauen gegen alles städtische und herrische Wesen
durchdrungene Baier. Auf der andern Seite aber bleibt es richtig, daß gerade
für diesen Bauer von altem Schlage, der sich uicht nur als Herr seines Ge¬
sindes, sondern auch als erster Diener und Knecht seines Hofes fühlt, ein
zweckmäßig eingerichteter Einbcin, der nach moderner Art Wohnung und Wirt¬
schaft strenge scheidet, seine besondern Vorteile bietet: den bequemern und bei
jeder Witterung trocknen Verkehr der Räume, Ersparung an Hofraum (bei der
Steigerung der räumlichen Anforderungen für die Baulichkeiten in den eng¬
geschlossenen Dörfern nicht ohne Wert), Ersparung um Bau- und Unterhaltungs¬
kosten, gleichmäßigere Temperatur u. s. w. So sehen wir denn auch, daß im
obern Deutschland, aber auch im mittlern, der Bauer nicht überall geneigt
ist, auf die Vorteile eines engern Znsainmeudrängens der Räume zu verzichten.
Man kann im südlichen Baiern sogar die Beobachtung machen, daß der vber-
ländische Einbau, der im Osten des Jnn bisher auf den Südrand des Chiem-
sees beschränkt war, in den letzten Jahrzehnten angefangen hat, nach dem
Nordufer vorzudringen, wo er schon ganze Dörfer erobert hat. Auch in Tirol
ist die Ansicht, daß der Einbau "kommoder" sei , als durchaus vorherrschend
zu betrachten, auch hier ist er fast überall, wo er mit dem getrennten Ban
zusammenstößt -- im Ötzthal, in: Pusterthal -- im Vorteil.") Und selbst im
mittlern Deutschland ist der alte Grundsatz des fränkischen Bauern, daß man
sein Vieh in unmittelbarer Nähe seiner Augen und Hände haben müsse,"")
uoch nicht in Vergessenheit geraten, wenn auch der ursprüngliche enge Zu¬
sammenhang des Hansganges mit dem anstoßenden Stall meist durch ein-
geschobene Kammern unterbrochen und vielfach sogar die innere Verbindung
ganz fallen gelassen ist. Aber selbst in der reichen Landschaft des Ries (im
baierischen Schwaben nördlich von der Donau) erklärte es der junge Bauer,




") Auch in dem vou der österreichischen Regierung für Nordtirol hernnsgegebcucn
Musterplan wird der Einbau vor der Trennung der Gebäude vorgezogen, ein Umstand, ans
den ich besondern Wert lege, weil der Verfasser Adolf Triendl, ehedem Pfarrer in Gnrgl,
Ötzthnl, jetzt in Zell und langjährigem landwirtschaftlicher Wauderprediger, als der beste Kenner
der echt bäuerlichen Bedürfnisse und Zweckmäsiigteiten zu gelten hat.
Bruckner, Das nordfränkische Bauernhaus. Globus 1864, VII, Seite 60.
Grenzboten II 1839 58
Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Ende

an der alten Einrichtung und Verbindung der Wirtschaftsrämne sich das Be¬
streben erkennen läßt, die Wohnung gänzlich aus dein beengenden Verbände
des Einbaues herauszuziehen, allerdings hauptsächlich, wenn auch uicht allein
in den Gegenden, wo der Bauer durch ein plötzliches und unvermitteltes Steigen
seines Wohlstandes und seiner Mittel seinem Stande gewissermaßen entwöhnt
und durch die Nachbarschaft größerer Städte oder Güter in die Versuchung
geführt wird, sich städtische oder herrschaftliche Moden und Bedürfnisse anzu¬
eignen, eine Versuchung, der der Bauer des meist protestantischen uno auf¬
geweckteren Nordwesten weit eher unterliegt, als der katholische und noch immer
von tiefer Abneigung und Mißtrauen gegen alles städtische und herrische Wesen
durchdrungene Baier. Auf der andern Seite aber bleibt es richtig, daß gerade
für diesen Bauer von altem Schlage, der sich uicht nur als Herr seines Ge¬
sindes, sondern auch als erster Diener und Knecht seines Hofes fühlt, ein
zweckmäßig eingerichteter Einbcin, der nach moderner Art Wohnung und Wirt¬
schaft strenge scheidet, seine besondern Vorteile bietet: den bequemern und bei
jeder Witterung trocknen Verkehr der Räume, Ersparung an Hofraum (bei der
Steigerung der räumlichen Anforderungen für die Baulichkeiten in den eng¬
geschlossenen Dörfern nicht ohne Wert), Ersparung um Bau- und Unterhaltungs¬
kosten, gleichmäßigere Temperatur u. s. w. So sehen wir denn auch, daß im
obern Deutschland, aber auch im mittlern, der Bauer nicht überall geneigt
ist, auf die Vorteile eines engern Znsainmeudrängens der Räume zu verzichten.
Man kann im südlichen Baiern sogar die Beobachtung machen, daß der vber-
ländische Einbau, der im Osten des Jnn bisher auf den Südrand des Chiem-
sees beschränkt war, in den letzten Jahrzehnten angefangen hat, nach dem
Nordufer vorzudringen, wo er schon ganze Dörfer erobert hat. Auch in Tirol
ist die Ansicht, daß der Einbau „kommoder" sei , als durchaus vorherrschend
zu betrachten, auch hier ist er fast überall, wo er mit dem getrennten Ban
zusammenstößt — im Ötzthal, in: Pusterthal — im Vorteil.") Und selbst im
mittlern Deutschland ist der alte Grundsatz des fränkischen Bauern, daß man
sein Vieh in unmittelbarer Nähe seiner Augen und Hände haben müsse,"")
uoch nicht in Vergessenheit geraten, wenn auch der ursprüngliche enge Zu¬
sammenhang des Hansganges mit dem anstoßenden Stall meist durch ein-
geschobene Kammern unterbrochen und vielfach sogar die innere Verbindung
ganz fallen gelassen ist. Aber selbst in der reichen Landschaft des Ries (im
baierischen Schwaben nördlich von der Donau) erklärte es der junge Bauer,




") Auch in dem vou der österreichischen Regierung für Nordtirol hernnsgegebcucn
Musterplan wird der Einbau vor der Trennung der Gebäude vorgezogen, ein Umstand, ans
den ich besondern Wert lege, weil der Verfasser Adolf Triendl, ehedem Pfarrer in Gnrgl,
Ötzthnl, jetzt in Zell und langjährigem landwirtschaftlicher Wauderprediger, als der beste Kenner
der echt bäuerlichen Bedürfnisse und Zweckmäsiigteiten zu gelten hat.
Bruckner, Das nordfränkische Bauernhaus. Globus 1864, VII, Seite 60.
Grenzboten II 1839 58
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[0465] Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Ende an der alten Einrichtung und Verbindung der Wirtschaftsrämne sich das Be¬ streben erkennen läßt, die Wohnung gänzlich aus dein beengenden Verbände des Einbaues herauszuziehen, allerdings hauptsächlich, wenn auch uicht allein in den Gegenden, wo der Bauer durch ein plötzliches und unvermitteltes Steigen seines Wohlstandes und seiner Mittel seinem Stande gewissermaßen entwöhnt und durch die Nachbarschaft größerer Städte oder Güter in die Versuchung geführt wird, sich städtische oder herrschaftliche Moden und Bedürfnisse anzu¬ eignen, eine Versuchung, der der Bauer des meist protestantischen uno auf¬ geweckteren Nordwesten weit eher unterliegt, als der katholische und noch immer von tiefer Abneigung und Mißtrauen gegen alles städtische und herrische Wesen durchdrungene Baier. Auf der andern Seite aber bleibt es richtig, daß gerade für diesen Bauer von altem Schlage, der sich uicht nur als Herr seines Ge¬ sindes, sondern auch als erster Diener und Knecht seines Hofes fühlt, ein zweckmäßig eingerichteter Einbcin, der nach moderner Art Wohnung und Wirt¬ schaft strenge scheidet, seine besondern Vorteile bietet: den bequemern und bei jeder Witterung trocknen Verkehr der Räume, Ersparung an Hofraum (bei der Steigerung der räumlichen Anforderungen für die Baulichkeiten in den eng¬ geschlossenen Dörfern nicht ohne Wert), Ersparung um Bau- und Unterhaltungs¬ kosten, gleichmäßigere Temperatur u. s. w. So sehen wir denn auch, daß im obern Deutschland, aber auch im mittlern, der Bauer nicht überall geneigt ist, auf die Vorteile eines engern Znsainmeudrängens der Räume zu verzichten. Man kann im südlichen Baiern sogar die Beobachtung machen, daß der vber- ländische Einbau, der im Osten des Jnn bisher auf den Südrand des Chiem- sees beschränkt war, in den letzten Jahrzehnten angefangen hat, nach dem Nordufer vorzudringen, wo er schon ganze Dörfer erobert hat. Auch in Tirol ist die Ansicht, daß der Einbau „kommoder" sei , als durchaus vorherrschend zu betrachten, auch hier ist er fast überall, wo er mit dem getrennten Ban zusammenstößt — im Ötzthal, in: Pusterthal — im Vorteil.") Und selbst im mittlern Deutschland ist der alte Grundsatz des fränkischen Bauern, daß man sein Vieh in unmittelbarer Nähe seiner Augen und Hände haben müsse,"") uoch nicht in Vergessenheit geraten, wenn auch der ursprüngliche enge Zu¬ sammenhang des Hansganges mit dem anstoßenden Stall meist durch ein- geschobene Kammern unterbrochen und vielfach sogar die innere Verbindung ganz fallen gelassen ist. Aber selbst in der reichen Landschaft des Ries (im baierischen Schwaben nördlich von der Donau) erklärte es der junge Bauer, ") Auch in dem vou der österreichischen Regierung für Nordtirol hernnsgegebcucn Musterplan wird der Einbau vor der Trennung der Gebäude vorgezogen, ein Umstand, ans den ich besondern Wert lege, weil der Verfasser Adolf Triendl, ehedem Pfarrer in Gnrgl, Ötzthnl, jetzt in Zell und langjährigem landwirtschaftlicher Wauderprediger, als der beste Kenner der echt bäuerlichen Bedürfnisse und Zweckmäsiigteiten zu gelten hat. Bruckner, Das nordfränkische Bauernhaus. Globus 1864, VII, Seite 60. Grenzboten II 1839 58

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/465>, abgerufen am 05.02.2025.