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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Lüde

der auf den Rat, bei dem Neubau des Hofes Wohnhaus und Stube an die
Straße zu legen, ablehnend antwortete: "Mer soll die Weiber nicht auf die
Straße sehen lau, sie versiemeu sunst zu viele" (sie versäumen sonst zu viel).
Aber heutzutage, wo der Pantoffel selbst in die bäuerliche Garderobe seinen
Einzug gehalten hat, läßt sich solche mich dem finstern Mittelalter schmeckende
Grausamkeit nicht mehr aufrecht halten.

Soviel von den Räumlichkeiten des Hofes im einzelnen. Was nun ihre
Verbindung unter einander betrifft, die da, wo sie grundsätzlich für alle
Haupträume durchgeführt worden ist, zu den großen Einbänden geführt
hat, wie sie auch auf dem Gebiete des mitteldeutschen Hofes in weitem
Umfange eine dem Hauptgebäude einverleibte Stallung veranlaßt hat, so
macht sich ein immer entschiedneres Bestreben geltend, Wohnung, Stallung
und Scheune scharf durch feste Wände zu sondern und alle Verschmelzungen
und Übergänge aufzuheben, eine Neigung, der fast allerorten durch bau¬
polizeiliche Anordnungen Vorschub geleistet wird. Diese Richtung braucht in
ihrer Verfolgung nicht logischerweise zu einer vollständigen Trennung und
Auflösung der früher vorhandenen Verbindung in mehrere selbständige Ge¬
bäude zu führen, aber sie ebnet ihr und damit einer dem mitteldeutschen Hofe
entsprechenden Anlage die Wege, insofern sie den Grundgedanken, uns denen
die Einbänden, besonders der niedersächsische, hervorgegangen sind, durchkreuzt,
ihr Wesen verüudert, wo nicht aufhebt, und somit ihre Widerstandskraft lahmt.
Im allgemeinen ist es also wohl richtig, daß eine solche vollständige Trennung
von Wohnhaus, Stall und Scheune in gesonderte Gebäude und damit ein
Bau wie der mitteldeutsche und zumal fränkische den heutigen Verhältnissen,
wie sie durch das Eindringen städtischer Nnschauuugeu und Moden auch in
bäuerliche Kreise sich gestalten, entsprechender ist, und man darf insoweit den
empfehlenden Worten Meitzens") beistimmen: "Das fränkische Hans hat eine
zweckentsprechende bürgerliche Einrichtung, die das gebildetere Familienleben
fördert, Sauberkeit und Zurückhaltung gestattet und trotz der wünschenswerten
größer" Abgeschlossenheit der Wohnräume genügende Wirtschaftsübersicht und
eignes Eingreifen des Leiters zuläßt. Dabei kann auch das fränkische Hans
leichter als jedes andre der gedachten Gebündethpen zu größerer Bequemlich¬
keit und zu ganz hohen Ansprüchen ohne wesentliche Umänderungen entwickelt
werden." Ja man kann hinzufügen, daß der Bauer bei dem Hvfbau von dem
Stubenfenster seines Wohnhauses über den Hof hinweg alle Eingänge zu den
Wirtschaftsgebäuden besser im Auge behalten und die Thätigkeit seines Gesindes
schärfer zu überwache" vermag, als in einem modernen Einbau, der alle Räume
durch feste Wände trennt. Hiermit stimmt die Beobachtung überein, daß auf
dem Gebiete der norddeutschen Einbänden vielfach auch bei sonstiger Festhaltung



*) Das deutsche Hans in seinen volkstümlichen Formen. Berlin, 1882, Seite 10.
Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Lüde

der auf den Rat, bei dem Neubau des Hofes Wohnhaus und Stube an die
Straße zu legen, ablehnend antwortete: „Mer soll die Weiber nicht auf die
Straße sehen lau, sie versiemeu sunst zu viele" (sie versäumen sonst zu viel).
Aber heutzutage, wo der Pantoffel selbst in die bäuerliche Garderobe seinen
Einzug gehalten hat, läßt sich solche mich dem finstern Mittelalter schmeckende
Grausamkeit nicht mehr aufrecht halten.

Soviel von den Räumlichkeiten des Hofes im einzelnen. Was nun ihre
Verbindung unter einander betrifft, die da, wo sie grundsätzlich für alle
Haupträume durchgeführt worden ist, zu den großen Einbänden geführt
hat, wie sie auch auf dem Gebiete des mitteldeutschen Hofes in weitem
Umfange eine dem Hauptgebäude einverleibte Stallung veranlaßt hat, so
macht sich ein immer entschiedneres Bestreben geltend, Wohnung, Stallung
und Scheune scharf durch feste Wände zu sondern und alle Verschmelzungen
und Übergänge aufzuheben, eine Neigung, der fast allerorten durch bau¬
polizeiliche Anordnungen Vorschub geleistet wird. Diese Richtung braucht in
ihrer Verfolgung nicht logischerweise zu einer vollständigen Trennung und
Auflösung der früher vorhandenen Verbindung in mehrere selbständige Ge¬
bäude zu führen, aber sie ebnet ihr und damit einer dem mitteldeutschen Hofe
entsprechenden Anlage die Wege, insofern sie den Grundgedanken, uns denen
die Einbänden, besonders der niedersächsische, hervorgegangen sind, durchkreuzt,
ihr Wesen verüudert, wo nicht aufhebt, und somit ihre Widerstandskraft lahmt.
Im allgemeinen ist es also wohl richtig, daß eine solche vollständige Trennung
von Wohnhaus, Stall und Scheune in gesonderte Gebäude und damit ein
Bau wie der mitteldeutsche und zumal fränkische den heutigen Verhältnissen,
wie sie durch das Eindringen städtischer Nnschauuugeu und Moden auch in
bäuerliche Kreise sich gestalten, entsprechender ist, und man darf insoweit den
empfehlenden Worten Meitzens") beistimmen: „Das fränkische Hans hat eine
zweckentsprechende bürgerliche Einrichtung, die das gebildetere Familienleben
fördert, Sauberkeit und Zurückhaltung gestattet und trotz der wünschenswerten
größer« Abgeschlossenheit der Wohnräume genügende Wirtschaftsübersicht und
eignes Eingreifen des Leiters zuläßt. Dabei kann auch das fränkische Hans
leichter als jedes andre der gedachten Gebündethpen zu größerer Bequemlich¬
keit und zu ganz hohen Ansprüchen ohne wesentliche Umänderungen entwickelt
werden." Ja man kann hinzufügen, daß der Bauer bei dem Hvfbau von dem
Stubenfenster seines Wohnhauses über den Hof hinweg alle Eingänge zu den
Wirtschaftsgebäuden besser im Auge behalten und die Thätigkeit seines Gesindes
schärfer zu überwache» vermag, als in einem modernen Einbau, der alle Räume
durch feste Wände trennt. Hiermit stimmt die Beobachtung überein, daß auf
dem Gebiete der norddeutschen Einbänden vielfach auch bei sonstiger Festhaltung



*) Das deutsche Hans in seinen volkstümlichen Formen. Berlin, 1882, Seite 10.
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[0464] Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Lüde der auf den Rat, bei dem Neubau des Hofes Wohnhaus und Stube an die Straße zu legen, ablehnend antwortete: „Mer soll die Weiber nicht auf die Straße sehen lau, sie versiemeu sunst zu viele" (sie versäumen sonst zu viel). Aber heutzutage, wo der Pantoffel selbst in die bäuerliche Garderobe seinen Einzug gehalten hat, läßt sich solche mich dem finstern Mittelalter schmeckende Grausamkeit nicht mehr aufrecht halten. Soviel von den Räumlichkeiten des Hofes im einzelnen. Was nun ihre Verbindung unter einander betrifft, die da, wo sie grundsätzlich für alle Haupträume durchgeführt worden ist, zu den großen Einbänden geführt hat, wie sie auch auf dem Gebiete des mitteldeutschen Hofes in weitem Umfange eine dem Hauptgebäude einverleibte Stallung veranlaßt hat, so macht sich ein immer entschiedneres Bestreben geltend, Wohnung, Stallung und Scheune scharf durch feste Wände zu sondern und alle Verschmelzungen und Übergänge aufzuheben, eine Neigung, der fast allerorten durch bau¬ polizeiliche Anordnungen Vorschub geleistet wird. Diese Richtung braucht in ihrer Verfolgung nicht logischerweise zu einer vollständigen Trennung und Auflösung der früher vorhandenen Verbindung in mehrere selbständige Ge¬ bäude zu führen, aber sie ebnet ihr und damit einer dem mitteldeutschen Hofe entsprechenden Anlage die Wege, insofern sie den Grundgedanken, uns denen die Einbänden, besonders der niedersächsische, hervorgegangen sind, durchkreuzt, ihr Wesen verüudert, wo nicht aufhebt, und somit ihre Widerstandskraft lahmt. Im allgemeinen ist es also wohl richtig, daß eine solche vollständige Trennung von Wohnhaus, Stall und Scheune in gesonderte Gebäude und damit ein Bau wie der mitteldeutsche und zumal fränkische den heutigen Verhältnissen, wie sie durch das Eindringen städtischer Nnschauuugeu und Moden auch in bäuerliche Kreise sich gestalten, entsprechender ist, und man darf insoweit den empfehlenden Worten Meitzens") beistimmen: „Das fränkische Hans hat eine zweckentsprechende bürgerliche Einrichtung, die das gebildetere Familienleben fördert, Sauberkeit und Zurückhaltung gestattet und trotz der wünschenswerten größer« Abgeschlossenheit der Wohnräume genügende Wirtschaftsübersicht und eignes Eingreifen des Leiters zuläßt. Dabei kann auch das fränkische Hans leichter als jedes andre der gedachten Gebündethpen zu größerer Bequemlich¬ keit und zu ganz hohen Ansprüchen ohne wesentliche Umänderungen entwickelt werden." Ja man kann hinzufügen, daß der Bauer bei dem Hvfbau von dem Stubenfenster seines Wohnhauses über den Hof hinweg alle Eingänge zu den Wirtschaftsgebäuden besser im Auge behalten und die Thätigkeit seines Gesindes schärfer zu überwache» vermag, als in einem modernen Einbau, der alle Räume durch feste Wände trennt. Hiermit stimmt die Beobachtung überein, daß auf dem Gebiete der norddeutschen Einbänden vielfach auch bei sonstiger Festhaltung *) Das deutsche Hans in seinen volkstümlichen Formen. Berlin, 1882, Seite 10.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/464>, abgerufen am 05.02.2025.