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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Lüde

daß der Schäfer eines Rittergutes seine Herde auf die Stoppeln treibt. Und
auch der Mensch wird seltener und mehr und mehr durch die Maschine ver¬
drängt, die das in Stunden erledigt, was früher ein halb Dutzend Mäher
oder ein Dutzend Schnitterinnen Tage lang in Anspruch nahm. Auch das
fröhliche Leben und Treiben der Landstraße ist verstummt: der blaue Kittel
des Fuhrmanns wird nicht mehr gesehen, und den hochgetürmten Planwagen
mit seinen Rossen im Schmuck der Kummete und glänzenden Messingbleche
und Schellen lernt das heranwachsende Geschlecht höchstens aus den Bilder¬
büchern kennen. Die ganze Staffage der Landschaft, dem Dichter so vertraut,
ist dahin: hat der wilde Mann, die Nixe, der Zwerg schon vor Jahrhunderten
das Feld geräumt, so folgen ihnen heute der Säemann, die Schnitterin, der
Hirtenknabe, und wer weiß, vielleicht wird ein paar Jahrhunderte weiter der
Poet selber hinausgethan.

Nur das Dorf selber ist von der Verkoppelung unberührt geblieben; leider,
möchte man sagen, wenn man den Blick nach unsern Nachbarn in Dänemark
wendet, wo die Verkoppelung das Dorf selbst in ihren Nahmen einbezogen
und dadurch gewissermaßen mit der einen Hand gegeben hat, was sie mit der
andern genommen. In Dänemark, wo die Verkoppelung am frühestem schon
gegen Ende des vorigen Jahrhunderts, in Angriff genommen wurde, hat die
Regierung den Ausbau der Bauern aus den Dörfern in jeder Weise befördert
und in gewissen Füllen, besonders wenn das den Bauern zugewiesene Haupt¬
stück seines neuen Besitzes in eine zu große Entfernung von: Dorfe zu liegen
kam, geradezu vorgeschrieben. Dadurch ist es in sehr großem Maßstabe ge¬
schehen, daß entweder ein Teil der Bauern oder alle zusammen ihre Höfe
im Dorf aufgegeben und sich in der Mitte ihres neuen Grundes niedergelassen
haben, und es liegt auf der Hand, daß diese überall zerstreuten Einzelhöfe mit
ihren Gärten und Baumpflanzungen dem Aussehen der Landschaft nur zu
Statten kommen können. Nehmen wir dazu, daß der dänische Bauer die
Stallfütterung nicht angenommen hat und, um das Vieh beim Weidegang
zusammenzuhalten, in immer weiteren! Umfange zur Einhegung der ver-
schiednen Schläge geschritten ist, so kann man, alles in allem genommen,
sagen, daß die dänische Landschaft durch die Verkoppelung eher gewonnen, als
verloren hat.

Bei uns dagegen ist das Dorf auf dem alten Flecke geblieben aber das
ist auch alles. In seinem Innern ist es ebenfalls in Bewegung gekommen,
es ist in Anlage, Bau, Einrichtung seiner Höfe in einer Umwandlung be¬
griffen, die, wenn anch nur zum vorläufigen Abschluß geführt, das Aussehen
der Dörfer nicht in geringerm Maße umgestalten wird, als es mit ihrer Um¬
gebung schon geschehen ist. Freilich, diese Vorgänge vollziehen sich langsamer,
erstens weil der Bauer nicht bloß auf das Bedürfnis, sondern auch auf seine
Mittel Rücksicht zu nehmen hat, dann, weil die dieser Umwälzung zu Grunde


Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Lüde

daß der Schäfer eines Rittergutes seine Herde auf die Stoppeln treibt. Und
auch der Mensch wird seltener und mehr und mehr durch die Maschine ver¬
drängt, die das in Stunden erledigt, was früher ein halb Dutzend Mäher
oder ein Dutzend Schnitterinnen Tage lang in Anspruch nahm. Auch das
fröhliche Leben und Treiben der Landstraße ist verstummt: der blaue Kittel
des Fuhrmanns wird nicht mehr gesehen, und den hochgetürmten Planwagen
mit seinen Rossen im Schmuck der Kummete und glänzenden Messingbleche
und Schellen lernt das heranwachsende Geschlecht höchstens aus den Bilder¬
büchern kennen. Die ganze Staffage der Landschaft, dem Dichter so vertraut,
ist dahin: hat der wilde Mann, die Nixe, der Zwerg schon vor Jahrhunderten
das Feld geräumt, so folgen ihnen heute der Säemann, die Schnitterin, der
Hirtenknabe, und wer weiß, vielleicht wird ein paar Jahrhunderte weiter der
Poet selber hinausgethan.

Nur das Dorf selber ist von der Verkoppelung unberührt geblieben; leider,
möchte man sagen, wenn man den Blick nach unsern Nachbarn in Dänemark
wendet, wo die Verkoppelung das Dorf selbst in ihren Nahmen einbezogen
und dadurch gewissermaßen mit der einen Hand gegeben hat, was sie mit der
andern genommen. In Dänemark, wo die Verkoppelung am frühestem schon
gegen Ende des vorigen Jahrhunderts, in Angriff genommen wurde, hat die
Regierung den Ausbau der Bauern aus den Dörfern in jeder Weise befördert
und in gewissen Füllen, besonders wenn das den Bauern zugewiesene Haupt¬
stück seines neuen Besitzes in eine zu große Entfernung von: Dorfe zu liegen
kam, geradezu vorgeschrieben. Dadurch ist es in sehr großem Maßstabe ge¬
schehen, daß entweder ein Teil der Bauern oder alle zusammen ihre Höfe
im Dorf aufgegeben und sich in der Mitte ihres neuen Grundes niedergelassen
haben, und es liegt auf der Hand, daß diese überall zerstreuten Einzelhöfe mit
ihren Gärten und Baumpflanzungen dem Aussehen der Landschaft nur zu
Statten kommen können. Nehmen wir dazu, daß der dänische Bauer die
Stallfütterung nicht angenommen hat und, um das Vieh beim Weidegang
zusammenzuhalten, in immer weiteren! Umfange zur Einhegung der ver-
schiednen Schläge geschritten ist, so kann man, alles in allem genommen,
sagen, daß die dänische Landschaft durch die Verkoppelung eher gewonnen, als
verloren hat.

Bei uns dagegen ist das Dorf auf dem alten Flecke geblieben aber das
ist auch alles. In seinem Innern ist es ebenfalls in Bewegung gekommen,
es ist in Anlage, Bau, Einrichtung seiner Höfe in einer Umwandlung be¬
griffen, die, wenn anch nur zum vorläufigen Abschluß geführt, das Aussehen
der Dörfer nicht in geringerm Maße umgestalten wird, als es mit ihrer Um¬
gebung schon geschehen ist. Freilich, diese Vorgänge vollziehen sich langsamer,
erstens weil der Bauer nicht bloß auf das Bedürfnis, sondern auch auf seine
Mittel Rücksicht zu nehmen hat, dann, weil die dieser Umwälzung zu Grunde


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[0459] Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Lüde daß der Schäfer eines Rittergutes seine Herde auf die Stoppeln treibt. Und auch der Mensch wird seltener und mehr und mehr durch die Maschine ver¬ drängt, die das in Stunden erledigt, was früher ein halb Dutzend Mäher oder ein Dutzend Schnitterinnen Tage lang in Anspruch nahm. Auch das fröhliche Leben und Treiben der Landstraße ist verstummt: der blaue Kittel des Fuhrmanns wird nicht mehr gesehen, und den hochgetürmten Planwagen mit seinen Rossen im Schmuck der Kummete und glänzenden Messingbleche und Schellen lernt das heranwachsende Geschlecht höchstens aus den Bilder¬ büchern kennen. Die ganze Staffage der Landschaft, dem Dichter so vertraut, ist dahin: hat der wilde Mann, die Nixe, der Zwerg schon vor Jahrhunderten das Feld geräumt, so folgen ihnen heute der Säemann, die Schnitterin, der Hirtenknabe, und wer weiß, vielleicht wird ein paar Jahrhunderte weiter der Poet selber hinausgethan. Nur das Dorf selber ist von der Verkoppelung unberührt geblieben; leider, möchte man sagen, wenn man den Blick nach unsern Nachbarn in Dänemark wendet, wo die Verkoppelung das Dorf selbst in ihren Nahmen einbezogen und dadurch gewissermaßen mit der einen Hand gegeben hat, was sie mit der andern genommen. In Dänemark, wo die Verkoppelung am frühestem schon gegen Ende des vorigen Jahrhunderts, in Angriff genommen wurde, hat die Regierung den Ausbau der Bauern aus den Dörfern in jeder Weise befördert und in gewissen Füllen, besonders wenn das den Bauern zugewiesene Haupt¬ stück seines neuen Besitzes in eine zu große Entfernung von: Dorfe zu liegen kam, geradezu vorgeschrieben. Dadurch ist es in sehr großem Maßstabe ge¬ schehen, daß entweder ein Teil der Bauern oder alle zusammen ihre Höfe im Dorf aufgegeben und sich in der Mitte ihres neuen Grundes niedergelassen haben, und es liegt auf der Hand, daß diese überall zerstreuten Einzelhöfe mit ihren Gärten und Baumpflanzungen dem Aussehen der Landschaft nur zu Statten kommen können. Nehmen wir dazu, daß der dänische Bauer die Stallfütterung nicht angenommen hat und, um das Vieh beim Weidegang zusammenzuhalten, in immer weiteren! Umfange zur Einhegung der ver- schiednen Schläge geschritten ist, so kann man, alles in allem genommen, sagen, daß die dänische Landschaft durch die Verkoppelung eher gewonnen, als verloren hat. Bei uns dagegen ist das Dorf auf dem alten Flecke geblieben aber das ist auch alles. In seinem Innern ist es ebenfalls in Bewegung gekommen, es ist in Anlage, Bau, Einrichtung seiner Höfe in einer Umwandlung be¬ griffen, die, wenn anch nur zum vorläufigen Abschluß geführt, das Aussehen der Dörfer nicht in geringerm Maße umgestalten wird, als es mit ihrer Um¬ gebung schon geschehen ist. Freilich, diese Vorgänge vollziehen sich langsamer, erstens weil der Bauer nicht bloß auf das Bedürfnis, sondern auch auf seine Mittel Rücksicht zu nehmen hat, dann, weil die dieser Umwälzung zu Grunde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/459>, abgerufen am 05.02.2025.