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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Es ist zu bedauern, daß dem Dichter dieses Schauspiel so mißlungen ist;
auch für eine Novelle ist die matte Erfindung uicht brauchbar. Es ist nicht
einzusehen, weshalb dieser panslaw istische Agitator Sedlaezek just der leibliche
Bruder des deutschen Aschenbrödels sein muß. Doch wohl nicht nur, um
seine Wut über die Entdeckung seines deutschen Vaters hervorzubringen? Es
war gar nicht nötig, die Geißel der Satire so grimmig gegen die Deutsch¬
böhmen zu Schwingen, daß auch noch solch ein Lump als einer ans ihrem
Blute hingestellt wurde. Die Geschichte der Deutschbvhmeu in der Ära Taaffe,
in der sogenannten Versöhnungsepoche, ist ein starker Protest gegen die allzu¬
strenge Kritik des nationalen Dichters. In ganz Deutschvsterreich ist die na¬
tionale Begeisterung nicht so mächtig als in Deutschböhmen; ihre Politiker
haben im Parlament die Führung der deutschnationalen Partei übernommen.
Hopfens Satire ist demnach auch politisch veraltet, und man kann ihr nicht
einmal nachsagen, daß sie, wie es unter Umstünden ihr höchster Ruhm hätte
werden können, selbst zu dieser Wandlung der Deutschböhmen beigetragen habe;
daran hinderte sie ihr geringer poetischer Wert. Hopfen hätte vielleicht doch
besser gethan, sie in der Vergessenheit zu lassen.

Dagegen sind wir dem Dichter für die Mitteilung seines sünfaktigen
Schauspiels "In der Mark" zu aufrichtigem Danke verpflichtet, und wir
stehen nicht an, zu erklären, daß wir es zu den besten Stücken dieser Art
geschichtlicher Sittenbilder zählen, die wir besitzen, ungeachtet des früher er-
wähnten novellistischen Grundcharakters der Handlung. Denn hier hat uns
Hopfen mit kleinmalerischer Sorgfalt ein farbensattes Bild einer glorreichen
Zeit des deutschen Lebens geliefert, er hat Menschen geschaffen, die nicht bloß
liebenswürdig erscheinen, sondern auch die Überzeugung wirklichen Lebens her¬
vorrufe", und die Mischung von Humor und Rührung, zu der sich im fünften
Akte sogar eine etwas effekthaschende gewaltsame Spannung des Zuschauers
hinzugesellt, ist uns als echt deutsche Theaterfreude seit langen Zeiten wohl
vertraut. Hopfen hat auch ferner das nicht geringe Kunststück zu Wege ge¬
bracht, die innere Wandlung der Personen, wie sie von der sechs Jahre um¬
spannenden Handlung notwendig gefordert wird, mit reinen Mitteln verständ¬
lich und glaubhaft zu machen.

Auch hier stehen zwei Gruppen in künstlerischem Gegensatze: die preußische
und die sächsische Welt um das Jahr 1756, also zur Zeit des siebeujührigeu
Krieges. Sachsen mit Polen vereinigt besitzt einen genußsüchtigen frivolen Hof
nach dem damaligen frivolen Vorbilde zu Paris. Die Galanterie ist die Seele
dieses Hofes, dessen königlicher Mittelpunkt sich weit mehr mit schönen Damen,
als mit Staatsgeschüften beschäftigt. Dagegen nun das Preußen des damals
noch nicht als Sieger anerkannten Königs Friedrich II.: ura ist sein Volk,
streng und hart seine Regierung, freudlos, pflichtgetreu sein Dasein.

Tief in der Mark Brandenburg, weitab von den großen Städten und


Es ist zu bedauern, daß dem Dichter dieses Schauspiel so mißlungen ist;
auch für eine Novelle ist die matte Erfindung uicht brauchbar. Es ist nicht
einzusehen, weshalb dieser panslaw istische Agitator Sedlaezek just der leibliche
Bruder des deutschen Aschenbrödels sein muß. Doch wohl nicht nur, um
seine Wut über die Entdeckung seines deutschen Vaters hervorzubringen? Es
war gar nicht nötig, die Geißel der Satire so grimmig gegen die Deutsch¬
böhmen zu Schwingen, daß auch noch solch ein Lump als einer ans ihrem
Blute hingestellt wurde. Die Geschichte der Deutschbvhmeu in der Ära Taaffe,
in der sogenannten Versöhnungsepoche, ist ein starker Protest gegen die allzu¬
strenge Kritik des nationalen Dichters. In ganz Deutschvsterreich ist die na¬
tionale Begeisterung nicht so mächtig als in Deutschböhmen; ihre Politiker
haben im Parlament die Führung der deutschnationalen Partei übernommen.
Hopfens Satire ist demnach auch politisch veraltet, und man kann ihr nicht
einmal nachsagen, daß sie, wie es unter Umstünden ihr höchster Ruhm hätte
werden können, selbst zu dieser Wandlung der Deutschböhmen beigetragen habe;
daran hinderte sie ihr geringer poetischer Wert. Hopfen hätte vielleicht doch
besser gethan, sie in der Vergessenheit zu lassen.

Dagegen sind wir dem Dichter für die Mitteilung seines sünfaktigen
Schauspiels „In der Mark" zu aufrichtigem Danke verpflichtet, und wir
stehen nicht an, zu erklären, daß wir es zu den besten Stücken dieser Art
geschichtlicher Sittenbilder zählen, die wir besitzen, ungeachtet des früher er-
wähnten novellistischen Grundcharakters der Handlung. Denn hier hat uns
Hopfen mit kleinmalerischer Sorgfalt ein farbensattes Bild einer glorreichen
Zeit des deutschen Lebens geliefert, er hat Menschen geschaffen, die nicht bloß
liebenswürdig erscheinen, sondern auch die Überzeugung wirklichen Lebens her¬
vorrufe», und die Mischung von Humor und Rührung, zu der sich im fünften
Akte sogar eine etwas effekthaschende gewaltsame Spannung des Zuschauers
hinzugesellt, ist uns als echt deutsche Theaterfreude seit langen Zeiten wohl
vertraut. Hopfen hat auch ferner das nicht geringe Kunststück zu Wege ge¬
bracht, die innere Wandlung der Personen, wie sie von der sechs Jahre um¬
spannenden Handlung notwendig gefordert wird, mit reinen Mitteln verständ¬
lich und glaubhaft zu machen.

Auch hier stehen zwei Gruppen in künstlerischem Gegensatze: die preußische
und die sächsische Welt um das Jahr 1756, also zur Zeit des siebeujührigeu
Krieges. Sachsen mit Polen vereinigt besitzt einen genußsüchtigen frivolen Hof
nach dem damaligen frivolen Vorbilde zu Paris. Die Galanterie ist die Seele
dieses Hofes, dessen königlicher Mittelpunkt sich weit mehr mit schönen Damen,
als mit Staatsgeschüften beschäftigt. Dagegen nun das Preußen des damals
noch nicht als Sieger anerkannten Königs Friedrich II.: ura ist sein Volk,
streng und hart seine Regierung, freudlos, pflichtgetreu sein Dasein.

Tief in der Mark Brandenburg, weitab von den großen Städten und


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[0043] Es ist zu bedauern, daß dem Dichter dieses Schauspiel so mißlungen ist; auch für eine Novelle ist die matte Erfindung uicht brauchbar. Es ist nicht einzusehen, weshalb dieser panslaw istische Agitator Sedlaezek just der leibliche Bruder des deutschen Aschenbrödels sein muß. Doch wohl nicht nur, um seine Wut über die Entdeckung seines deutschen Vaters hervorzubringen? Es war gar nicht nötig, die Geißel der Satire so grimmig gegen die Deutsch¬ böhmen zu Schwingen, daß auch noch solch ein Lump als einer ans ihrem Blute hingestellt wurde. Die Geschichte der Deutschbvhmeu in der Ära Taaffe, in der sogenannten Versöhnungsepoche, ist ein starker Protest gegen die allzu¬ strenge Kritik des nationalen Dichters. In ganz Deutschvsterreich ist die na¬ tionale Begeisterung nicht so mächtig als in Deutschböhmen; ihre Politiker haben im Parlament die Führung der deutschnationalen Partei übernommen. Hopfens Satire ist demnach auch politisch veraltet, und man kann ihr nicht einmal nachsagen, daß sie, wie es unter Umstünden ihr höchster Ruhm hätte werden können, selbst zu dieser Wandlung der Deutschböhmen beigetragen habe; daran hinderte sie ihr geringer poetischer Wert. Hopfen hätte vielleicht doch besser gethan, sie in der Vergessenheit zu lassen. Dagegen sind wir dem Dichter für die Mitteilung seines sünfaktigen Schauspiels „In der Mark" zu aufrichtigem Danke verpflichtet, und wir stehen nicht an, zu erklären, daß wir es zu den besten Stücken dieser Art geschichtlicher Sittenbilder zählen, die wir besitzen, ungeachtet des früher er- wähnten novellistischen Grundcharakters der Handlung. Denn hier hat uns Hopfen mit kleinmalerischer Sorgfalt ein farbensattes Bild einer glorreichen Zeit des deutschen Lebens geliefert, er hat Menschen geschaffen, die nicht bloß liebenswürdig erscheinen, sondern auch die Überzeugung wirklichen Lebens her¬ vorrufe», und die Mischung von Humor und Rührung, zu der sich im fünften Akte sogar eine etwas effekthaschende gewaltsame Spannung des Zuschauers hinzugesellt, ist uns als echt deutsche Theaterfreude seit langen Zeiten wohl vertraut. Hopfen hat auch ferner das nicht geringe Kunststück zu Wege ge¬ bracht, die innere Wandlung der Personen, wie sie von der sechs Jahre um¬ spannenden Handlung notwendig gefordert wird, mit reinen Mitteln verständ¬ lich und glaubhaft zu machen. Auch hier stehen zwei Gruppen in künstlerischem Gegensatze: die preußische und die sächsische Welt um das Jahr 1756, also zur Zeit des siebeujührigeu Krieges. Sachsen mit Polen vereinigt besitzt einen genußsüchtigen frivolen Hof nach dem damaligen frivolen Vorbilde zu Paris. Die Galanterie ist die Seele dieses Hofes, dessen königlicher Mittelpunkt sich weit mehr mit schönen Damen, als mit Staatsgeschüften beschäftigt. Dagegen nun das Preußen des damals noch nicht als Sieger anerkannten Königs Friedrich II.: ura ist sein Volk, streng und hart seine Regierung, freudlos, pflichtgetreu sein Dasein. Tief in der Mark Brandenburg, weitab von den großen Städten und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/43>, abgerufen am 05.02.2025.