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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Line Mobilmachung des deutschen Reiches vor 2OO Jahren

waren z" prüfen. Alle wollten von der Eincmartierung verschont bleiben;
auch den Beitrag zum "Defensionswerk" könnten sie nicht leisten. Mühlhausen
und Nordhausen beklagten sich über die hannoversche Einquartierung; Dort¬
mund beschwert sich über Brandenburg; kurz, des Jammerns und Klagens,
des Elends und der Not war kein Ende. Jeder hatte seinen eiguen kleinen
Porteil im Auge, mochte auch das große Ganze darüber zu Grunde gehen.
Endlich, nach drei bis vier Monaten, wurde an die Krone Frankreich die
.Kriegserklärung des Reiches gerichtet. Nun kamen aber noch die schwierigsten
und verwickeltsten Verhandlungen. An die Aufstellung einer Reichsarmee aus
den einzelnen Kreiskontingenten war nicht zu denken, weil die meisten Kreise
überhaupt keine Truppen hatten und bis zur Aufstellung derselben die kostbarste
Zeit verflossen wäre. Anderseits hatten die "Armirten" eine weit höhere
Trnppenzahl im Felde, als sie nach der Verfassung von 1681 zu stellen hatten.
65 000 Mann etwa hatten sie über ihre Kontingente aufgestellt. Was mit
diesen überschüssigen Mannschaften beginnen? Sie auf die nicht armirten Kreise
verteilen? Die Kreise sträubten sich gegen die Übernahme solcher Truppeu-
mengen, und der Kaiser hatte nicht das Recht, sie ihnen aufzunötigen. Sie
als Hilfstruppen betrachten? Wer zahlte dann die Snbsidieugelder? Das Haus
Osterreich oder das Reich? Außerdem bezogen einige der Armirten schon von
England und den Generalstaaten, andre von Spanien und Savoyen "Sub-
sidien," hatte doch das ,jus kvockernm, die "große" Errungenschaft des west¬
fälischen Friedens, die meisten der deutsche"? Fürsten schon zu den Waffen greifen
lassen, ehe noch der Neichskrieg erklärt war. Schließlich blieb doch nichts
anderes übrig, als die Kosten, Sold und Verpflegung den einzelnen Kreisen
aufzulegen. In den vorderen Kreisen erhob der Neichspfennigmeister Baron
von Hvhenfeldt die Gelder; im niedersächsischen und in: westfälischen Kreise der
kaiserliche Gesandte Baron zu Gödens, und im obersächsischeu Kreise nufaugs
ein Reichspfenuigmeister, später der kaiserliche Gesandte in Dresden. So war
denn mit Mühe und Not dank des thatkräftigen, allerdings selbständigen Ein¬
greifens der norddeutschen Stände der Reichskrieg eröffnet. Die kaiserlichen
und baierischen Regimenter rückten im Monat März 1689 aus Ungarn an den
Rhein und vereinigten sich hier und den Truppen der ,,armirten" Stunde.
Die Franzosen wurden endlich über den Rhein zurückgeworfen, nachdem die
meisten Städte am Rhein mir noch rauchende Trümmerhaufen waren; wir
erinnern nur an Heidelberg, Mannheim, Oppenheim, Worms und Speher,
Städte, die samt und sonders in Flammen aufgegangen waren.

Es kauu hier nicht unsre Ausgabe sein, den Gang des großen Krieges weiter
zu verfolgen.*) Wir wollten unsern Lesern nnr einmal vor Rügen führen,



*) Ludwig XIV. hatte bei der Kriegserklärung an Deutschland nicht geglaubt, daß sein
Friedensbruch eine "europäische Koalition" zu Wege bringen würde. Aber dem Einflüsse
Line Mobilmachung des deutschen Reiches vor 2OO Jahren

waren z» prüfen. Alle wollten von der Eincmartierung verschont bleiben;
auch den Beitrag zum „Defensionswerk" könnten sie nicht leisten. Mühlhausen
und Nordhausen beklagten sich über die hannoversche Einquartierung; Dort¬
mund beschwert sich über Brandenburg; kurz, des Jammerns und Klagens,
des Elends und der Not war kein Ende. Jeder hatte seinen eiguen kleinen
Porteil im Auge, mochte auch das große Ganze darüber zu Grunde gehen.
Endlich, nach drei bis vier Monaten, wurde an die Krone Frankreich die
.Kriegserklärung des Reiches gerichtet. Nun kamen aber noch die schwierigsten
und verwickeltsten Verhandlungen. An die Aufstellung einer Reichsarmee aus
den einzelnen Kreiskontingenten war nicht zu denken, weil die meisten Kreise
überhaupt keine Truppen hatten und bis zur Aufstellung derselben die kostbarste
Zeit verflossen wäre. Anderseits hatten die „Armirten" eine weit höhere
Trnppenzahl im Felde, als sie nach der Verfassung von 1681 zu stellen hatten.
65 000 Mann etwa hatten sie über ihre Kontingente aufgestellt. Was mit
diesen überschüssigen Mannschaften beginnen? Sie auf die nicht armirten Kreise
verteilen? Die Kreise sträubten sich gegen die Übernahme solcher Truppeu-
mengen, und der Kaiser hatte nicht das Recht, sie ihnen aufzunötigen. Sie
als Hilfstruppen betrachten? Wer zahlte dann die Snbsidieugelder? Das Haus
Osterreich oder das Reich? Außerdem bezogen einige der Armirten schon von
England und den Generalstaaten, andre von Spanien und Savoyen „Sub-
sidien," hatte doch das ,jus kvockernm, die „große" Errungenschaft des west¬
fälischen Friedens, die meisten der deutsche«? Fürsten schon zu den Waffen greifen
lassen, ehe noch der Neichskrieg erklärt war. Schließlich blieb doch nichts
anderes übrig, als die Kosten, Sold und Verpflegung den einzelnen Kreisen
aufzulegen. In den vorderen Kreisen erhob der Neichspfennigmeister Baron
von Hvhenfeldt die Gelder; im niedersächsischen und in: westfälischen Kreise der
kaiserliche Gesandte Baron zu Gödens, und im obersächsischeu Kreise nufaugs
ein Reichspfenuigmeister, später der kaiserliche Gesandte in Dresden. So war
denn mit Mühe und Not dank des thatkräftigen, allerdings selbständigen Ein¬
greifens der norddeutschen Stände der Reichskrieg eröffnet. Die kaiserlichen
und baierischen Regimenter rückten im Monat März 1689 aus Ungarn an den
Rhein und vereinigten sich hier und den Truppen der ,,armirten" Stunde.
Die Franzosen wurden endlich über den Rhein zurückgeworfen, nachdem die
meisten Städte am Rhein mir noch rauchende Trümmerhaufen waren; wir
erinnern nur an Heidelberg, Mannheim, Oppenheim, Worms und Speher,
Städte, die samt und sonders in Flammen aufgegangen waren.

Es kauu hier nicht unsre Ausgabe sein, den Gang des großen Krieges weiter
zu verfolgen.*) Wir wollten unsern Lesern nnr einmal vor Rügen führen,



*) Ludwig XIV. hatte bei der Kriegserklärung an Deutschland nicht geglaubt, daß sein
Friedensbruch eine „europäische Koalition" zu Wege bringen würde. Aber dem Einflüsse
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[0423] Line Mobilmachung des deutschen Reiches vor 2OO Jahren waren z» prüfen. Alle wollten von der Eincmartierung verschont bleiben; auch den Beitrag zum „Defensionswerk" könnten sie nicht leisten. Mühlhausen und Nordhausen beklagten sich über die hannoversche Einquartierung; Dort¬ mund beschwert sich über Brandenburg; kurz, des Jammerns und Klagens, des Elends und der Not war kein Ende. Jeder hatte seinen eiguen kleinen Porteil im Auge, mochte auch das große Ganze darüber zu Grunde gehen. Endlich, nach drei bis vier Monaten, wurde an die Krone Frankreich die .Kriegserklärung des Reiches gerichtet. Nun kamen aber noch die schwierigsten und verwickeltsten Verhandlungen. An die Aufstellung einer Reichsarmee aus den einzelnen Kreiskontingenten war nicht zu denken, weil die meisten Kreise überhaupt keine Truppen hatten und bis zur Aufstellung derselben die kostbarste Zeit verflossen wäre. Anderseits hatten die „Armirten" eine weit höhere Trnppenzahl im Felde, als sie nach der Verfassung von 1681 zu stellen hatten. 65 000 Mann etwa hatten sie über ihre Kontingente aufgestellt. Was mit diesen überschüssigen Mannschaften beginnen? Sie auf die nicht armirten Kreise verteilen? Die Kreise sträubten sich gegen die Übernahme solcher Truppeu- mengen, und der Kaiser hatte nicht das Recht, sie ihnen aufzunötigen. Sie als Hilfstruppen betrachten? Wer zahlte dann die Snbsidieugelder? Das Haus Osterreich oder das Reich? Außerdem bezogen einige der Armirten schon von England und den Generalstaaten, andre von Spanien und Savoyen „Sub- sidien," hatte doch das ,jus kvockernm, die „große" Errungenschaft des west¬ fälischen Friedens, die meisten der deutsche«? Fürsten schon zu den Waffen greifen lassen, ehe noch der Neichskrieg erklärt war. Schließlich blieb doch nichts anderes übrig, als die Kosten, Sold und Verpflegung den einzelnen Kreisen aufzulegen. In den vorderen Kreisen erhob der Neichspfennigmeister Baron von Hvhenfeldt die Gelder; im niedersächsischen und in: westfälischen Kreise der kaiserliche Gesandte Baron zu Gödens, und im obersächsischeu Kreise nufaugs ein Reichspfenuigmeister, später der kaiserliche Gesandte in Dresden. So war denn mit Mühe und Not dank des thatkräftigen, allerdings selbständigen Ein¬ greifens der norddeutschen Stände der Reichskrieg eröffnet. Die kaiserlichen und baierischen Regimenter rückten im Monat März 1689 aus Ungarn an den Rhein und vereinigten sich hier und den Truppen der ,,armirten" Stunde. Die Franzosen wurden endlich über den Rhein zurückgeworfen, nachdem die meisten Städte am Rhein mir noch rauchende Trümmerhaufen waren; wir erinnern nur an Heidelberg, Mannheim, Oppenheim, Worms und Speher, Städte, die samt und sonders in Flammen aufgegangen waren. Es kauu hier nicht unsre Ausgabe sein, den Gang des großen Krieges weiter zu verfolgen.*) Wir wollten unsern Lesern nnr einmal vor Rügen führen, *) Ludwig XIV. hatte bei der Kriegserklärung an Deutschland nicht geglaubt, daß sein Friedensbruch eine „europäische Koalition" zu Wege bringen würde. Aber dem Einflüsse

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/423>, abgerufen am 05.02.2025.