Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Line Mobilmachung des deutschen Reiches vor 200 Jahren gänzlich in Verfall geraten, obgleich auch früher schon nicht viel Rühmens Bei den eben geschilderten traurigen Verhältnissen der Wehrverfassung Line Mobilmachung des deutschen Reiches vor 200 Jahren gänzlich in Verfall geraten, obgleich auch früher schon nicht viel Rühmens Bei den eben geschilderten traurigen Verhältnissen der Wehrverfassung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0420" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205151"/> <fw type="header" place="top"> Line Mobilmachung des deutschen Reiches vor 200 Jahren</fw><lb/> <p xml:id="ID_1176" prev="#ID_1175"> gänzlich in Verfall geraten, obgleich auch früher schon nicht viel Rühmens<lb/> davon gemacht werden konnte. Im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts<lb/> hatte man allerdings einige Versuche gemacht, Reformen einzuführen. Man<lb/> schuf die Matrikularbeiträge, die die Stände des Reiches zum Unterhalt<lb/> eiues Reichsheeres im Fall der Not zahlen mußten. Hierdurch wurde aber<lb/> dem Söldnerwesen erst recht Thür und Thor geöffnet, denn es wurde den<lb/> Stünden die Möglichkeit gegeben, die Hilfe an Kriegsvolk in eine entsprechende<lb/> Geldsumme umzuwandeln. Auf dem Reichstage zu Speier (1570) wurde<lb/> sodann die Kreiseinteilung als Grundlage der Wehrverfnssung des Reiches<lb/> aufgestellt, und vielleicht wäre es damals zu einer wirklichen Reichskriegsver¬<lb/> fassung gekommen, wenn der dreißigjährige Krieg nicht alle Anläufe dazu zer¬<lb/> stört hätte. Nach dem westfälischen Frieden nahm der Reichstag zu Regens-<lb/> burg die Verhandlungen über das xunotum Ksouriwtis publio^L wieder ans,<lb/> und seine Debatten erfüllten mit ,,weltkundiger Langerweile" die letzte Hälfte<lb/> des siebzehnten Jahrhunderts, während im Westen die Franzosen, im Osten<lb/> die Türken die Grenzländer des deutschen Reiches verheerten. Indes kam<lb/> 1681 doch ein Beschluß zustande. Ein Reichsheer von 40 000 Mann sollte<lb/> aufgestellt werden, das in bestimmten Kontingenten auf die einzelnen Kreise<lb/> verteilt wurde. Die Unterabteilung auf die kleineren Stände wurde den<lb/> Kreisen überlassen. Dieses Reichsheer sowie die gesamte Reichskriegsverfassung<lb/> blieb aber ein schöner Traum. Die Truppen waren nur auf dem Papier<lb/> vorhanden, die Kreise, vor allein die sogenannten „vorderen Kreise": der frän¬<lb/> kische, der schwäbische, der ober- und niederrheinische, der burgundische u. a.,<lb/> beachteten die Bestimmungen der Reichskriegsverfassung gar nicht, und auch<lb/> die audern Kreise, die zum Teil ans kompakteren Staaten zusammengesetzt<lb/> waren, nahmen auf die Reichsverfassung keine Rücksicht, wenn sie auch ans<lb/> Svnderinteressen stehende Söldnerheere unterhielten; so vor allen Branden¬<lb/> burg unter den, Großen Kurfürsten, dem die welfischen Lande, Braunschweig,<lb/> Hannover und Celle, sofort nachfolgten; ferner Hessen-Kassel, Kursachsen und<lb/> Baiern, weshalb die aus diesen Staaten zusammengesetzten Kreise die „armirten<lb/> Stände" genannt wurden. Auch Österreich hatte seit 1681 sein stehendes<lb/> Heer, das allerdings wegen der fortwährenden Türkenkriege ans andern Kriegs¬<lb/> schauplätzen kaum zur Verwendung kommen konnte. Wie groß unter Um¬<lb/> ständen das Heer einzelner Staaten war, geht daraus hervor, daß z. B. Braun¬<lb/> schweig-Lüneburg, d. h. die gesamten welfischen Stammlande, im Jahre 1685<lb/> dem Kaiser 15 000 Mann Hilfstruppen zum Kampfe gegen die Türken stellte,<lb/> abgesehen von dem Korps, das in venetianischen Diensten auf Morea focht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1177" next="#ID_1178"> Bei den eben geschilderten traurigen Verhältnissen der Wehrverfassung<lb/> stand das Reich, als König Ludwig XIV. im Herbst 1688 den frevelhaften<lb/> Einfall in Südwestdeutschland machte, wehrlos da. Die durch den Einfall<lb/> zuerst betroffenen Kreise, der schwäbische und der fränkische, hatten allerdings</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0420]
Line Mobilmachung des deutschen Reiches vor 200 Jahren
gänzlich in Verfall geraten, obgleich auch früher schon nicht viel Rühmens
davon gemacht werden konnte. Im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts
hatte man allerdings einige Versuche gemacht, Reformen einzuführen. Man
schuf die Matrikularbeiträge, die die Stände des Reiches zum Unterhalt
eiues Reichsheeres im Fall der Not zahlen mußten. Hierdurch wurde aber
dem Söldnerwesen erst recht Thür und Thor geöffnet, denn es wurde den
Stünden die Möglichkeit gegeben, die Hilfe an Kriegsvolk in eine entsprechende
Geldsumme umzuwandeln. Auf dem Reichstage zu Speier (1570) wurde
sodann die Kreiseinteilung als Grundlage der Wehrverfnssung des Reiches
aufgestellt, und vielleicht wäre es damals zu einer wirklichen Reichskriegsver¬
fassung gekommen, wenn der dreißigjährige Krieg nicht alle Anläufe dazu zer¬
stört hätte. Nach dem westfälischen Frieden nahm der Reichstag zu Regens-
burg die Verhandlungen über das xunotum Ksouriwtis publio^L wieder ans,
und seine Debatten erfüllten mit ,,weltkundiger Langerweile" die letzte Hälfte
des siebzehnten Jahrhunderts, während im Westen die Franzosen, im Osten
die Türken die Grenzländer des deutschen Reiches verheerten. Indes kam
1681 doch ein Beschluß zustande. Ein Reichsheer von 40 000 Mann sollte
aufgestellt werden, das in bestimmten Kontingenten auf die einzelnen Kreise
verteilt wurde. Die Unterabteilung auf die kleineren Stände wurde den
Kreisen überlassen. Dieses Reichsheer sowie die gesamte Reichskriegsverfassung
blieb aber ein schöner Traum. Die Truppen waren nur auf dem Papier
vorhanden, die Kreise, vor allein die sogenannten „vorderen Kreise": der frän¬
kische, der schwäbische, der ober- und niederrheinische, der burgundische u. a.,
beachteten die Bestimmungen der Reichskriegsverfassung gar nicht, und auch
die audern Kreise, die zum Teil ans kompakteren Staaten zusammengesetzt
waren, nahmen auf die Reichsverfassung keine Rücksicht, wenn sie auch ans
Svnderinteressen stehende Söldnerheere unterhielten; so vor allen Branden¬
burg unter den, Großen Kurfürsten, dem die welfischen Lande, Braunschweig,
Hannover und Celle, sofort nachfolgten; ferner Hessen-Kassel, Kursachsen und
Baiern, weshalb die aus diesen Staaten zusammengesetzten Kreise die „armirten
Stände" genannt wurden. Auch Österreich hatte seit 1681 sein stehendes
Heer, das allerdings wegen der fortwährenden Türkenkriege ans andern Kriegs¬
schauplätzen kaum zur Verwendung kommen konnte. Wie groß unter Um¬
ständen das Heer einzelner Staaten war, geht daraus hervor, daß z. B. Braun¬
schweig-Lüneburg, d. h. die gesamten welfischen Stammlande, im Jahre 1685
dem Kaiser 15 000 Mann Hilfstruppen zum Kampfe gegen die Türken stellte,
abgesehen von dem Korps, das in venetianischen Diensten auf Morea focht.
Bei den eben geschilderten traurigen Verhältnissen der Wehrverfassung
stand das Reich, als König Ludwig XIV. im Herbst 1688 den frevelhaften
Einfall in Südwestdeutschland machte, wehrlos da. Die durch den Einfall
zuerst betroffenen Kreise, der schwäbische und der fränkische, hatten allerdings
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