Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.volle Macht sonst genannt werden mag. So bleibt dem Arbeiter nicht einmal In der That werde" seit etwa fünfzehn Jahren die Freizügigkeit, die Namentlich die Enttäuschung, die das Maschinenwesen der Menschheit volle Macht sonst genannt werden mag. So bleibt dem Arbeiter nicht einmal In der That werde« seit etwa fünfzehn Jahren die Freizügigkeit, die Namentlich die Enttäuschung, die das Maschinenwesen der Menschheit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0403" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205134"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1127" prev="#ID_1126"> volle Macht sonst genannt werden mag. So bleibt dem Arbeiter nicht einmal<lb/> das bittersüße Gefühl des Hasses und der Nachsucht gegen seinen Peiniger,<lb/> worin ein gemißhandelter Sklave einige Eranickung findet. In welchem Maße<lb/> der großartige Plan des Reichskanzlers gelingen wird, um die Stelle des<lb/> patriarchalisch fürsorgenden einzelnen Herrn den Staat oder das Reich treten<lb/> zu lassen, kann erst die Zukunft lehren. Unter solchen Umständen verschaffen<lb/> das Fabrikinspektorat und ein Arbeiterschutzgesetz oder das lebenslängliche<lb/> Aushalten im Dienste bei einem Herrn mehr wirkliche Freiheit, als die Frei¬<lb/> zügigkeit, an deren Wiederabschaffung natürlicherweise in unsrer Zeit hoch¬<lb/> entwickelter Geldwirtschaft und vortrefflicher Verkehrsanstalten gnr nicht zu<lb/> denken ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1128"> In der That werde« seit etwa fünfzehn Jahren die Freizügigkeit, die<lb/> Gewerbe- u«d Handelsfreiheit für alle wirkliche« u«d eingebildeten Übel ver¬<lb/> antwortlich gemacht, die uus drücken, und wir sind mit dem vermeintlichen<lb/> Fortschritte der Freiheit dahin gelangt, daß in allen Ständen der Wunsch «ach<lb/> Unfreiheit lant wird. In der Landwirtschaft allerdings sind es die Besitzer,<lb/> die Herren, die einerseits die freie Verfügung der Rittergutsbesitzer und Bauern<lb/> über ihren Grundbesitz eingeschränkt sehen möchten, anderseits zur Bindung<lb/> der Arbeiter eine strengere Gesindeordnung und Ansiedlung- der Tagelöhner auf<lb/> Reutengütcheu mit der Verpflichtung zu Frohndienste« verlangen. Aber während<lb/> das Gesinde von den: Wunsche nach Abschaffung der Kiiudiguugsfreiheit weit<lb/> entfernt ist, würden die meisten Tagelöhner sich gegen die lebensläin^liebe Bindung<lb/> an einen Herrn nicht sträube«, we«n sie durch Anweisung eines eignen Acker¬<lb/> flecks gegen Nahrungssorgen geschützt würden. Unter den Handwerkern ist das<lb/> Verlangen nach Wiedereiuführmig der Zünfte ganz allgemein. Und zwar<lb/> wünschen sie nicht die liberale Zunftverfassung des vierzehnten und fünfzehnten<lb/> Jahrhunderts, die sie gar nicht kennen, sondern die verknöcherte des vorigen<lb/> Jahrhunderts, deren einzige Wirkung die Fesselung des Talents und des<lb/> llnternehmungsgeistcs war: lediglich auf Beseitigung der Konkurrenz durch gesetz¬<lb/> liche« Zwang gehen sie aus. Die Fabrikarbeiter endlich sind bereit, das harte<lb/> Joch je«er Knechtschaft auf sich zu nehmen, das die Sozialdemokratin! ihne«<lb/> unter dein schonklingende« Name« „Organisation der Arbeit" empfehlen, in<lb/> der sehr unberechtigte« Erwartung, der Verzicht auf die freie Verwendung<lb/> ihrer Arbeitskraft werde ihnen ihr reichliches tägliches Brot, Fleisch und Ge¬<lb/> tränk sichern.</p><lb/> <p xml:id="ID_1129" next="#ID_1130"> Namentlich die Enttäuschung, die das Maschinenwesen der Menschheit<lb/> bereitet, war diesen« Umschwunge förderlich. Von den Maschine« erwartete«<lb/> die einen und befürchteten die andern, sie würden die körperliche Arbeit über¬<lb/> flüssig machen, und Optimisten frohlockten schon, nun sei die Ahnung des<lb/> Aristoteles der Erfüllung nahe: wenn dereinst das Weberschiffchen von selbst<lb/> gehe und das Plektron vo« selbst die Zither schlage, da«« würden wir keine</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0403]
volle Macht sonst genannt werden mag. So bleibt dem Arbeiter nicht einmal
das bittersüße Gefühl des Hasses und der Nachsucht gegen seinen Peiniger,
worin ein gemißhandelter Sklave einige Eranickung findet. In welchem Maße
der großartige Plan des Reichskanzlers gelingen wird, um die Stelle des
patriarchalisch fürsorgenden einzelnen Herrn den Staat oder das Reich treten
zu lassen, kann erst die Zukunft lehren. Unter solchen Umständen verschaffen
das Fabrikinspektorat und ein Arbeiterschutzgesetz oder das lebenslängliche
Aushalten im Dienste bei einem Herrn mehr wirkliche Freiheit, als die Frei¬
zügigkeit, an deren Wiederabschaffung natürlicherweise in unsrer Zeit hoch¬
entwickelter Geldwirtschaft und vortrefflicher Verkehrsanstalten gnr nicht zu
denken ist.
In der That werde« seit etwa fünfzehn Jahren die Freizügigkeit, die
Gewerbe- u«d Handelsfreiheit für alle wirkliche« u«d eingebildeten Übel ver¬
antwortlich gemacht, die uus drücken, und wir sind mit dem vermeintlichen
Fortschritte der Freiheit dahin gelangt, daß in allen Ständen der Wunsch «ach
Unfreiheit lant wird. In der Landwirtschaft allerdings sind es die Besitzer,
die Herren, die einerseits die freie Verfügung der Rittergutsbesitzer und Bauern
über ihren Grundbesitz eingeschränkt sehen möchten, anderseits zur Bindung
der Arbeiter eine strengere Gesindeordnung und Ansiedlung- der Tagelöhner auf
Reutengütcheu mit der Verpflichtung zu Frohndienste« verlangen. Aber während
das Gesinde von den: Wunsche nach Abschaffung der Kiiudiguugsfreiheit weit
entfernt ist, würden die meisten Tagelöhner sich gegen die lebensläin^liebe Bindung
an einen Herrn nicht sträube«, we«n sie durch Anweisung eines eignen Acker¬
flecks gegen Nahrungssorgen geschützt würden. Unter den Handwerkern ist das
Verlangen nach Wiedereiuführmig der Zünfte ganz allgemein. Und zwar
wünschen sie nicht die liberale Zunftverfassung des vierzehnten und fünfzehnten
Jahrhunderts, die sie gar nicht kennen, sondern die verknöcherte des vorigen
Jahrhunderts, deren einzige Wirkung die Fesselung des Talents und des
llnternehmungsgeistcs war: lediglich auf Beseitigung der Konkurrenz durch gesetz¬
liche« Zwang gehen sie aus. Die Fabrikarbeiter endlich sind bereit, das harte
Joch je«er Knechtschaft auf sich zu nehmen, das die Sozialdemokratin! ihne«
unter dein schonklingende« Name« „Organisation der Arbeit" empfehlen, in
der sehr unberechtigte« Erwartung, der Verzicht auf die freie Verwendung
ihrer Arbeitskraft werde ihnen ihr reichliches tägliches Brot, Fleisch und Ge¬
tränk sichern.
Namentlich die Enttäuschung, die das Maschinenwesen der Menschheit
bereitet, war diesen« Umschwunge förderlich. Von den Maschine« erwartete«
die einen und befürchteten die andern, sie würden die körperliche Arbeit über¬
flüssig machen, und Optimisten frohlockten schon, nun sei die Ahnung des
Aristoteles der Erfüllung nahe: wenn dereinst das Weberschiffchen von selbst
gehe und das Plektron vo« selbst die Zither schlage, da«« würden wir keine
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