Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Freiheit

ereignete sich vor einigen Monaten folgender Fall. Der iieunzehujährige Arbeiter
Elsner war eines Tages von morgens Uhr bis nachts 12 Uhr, also volle
achtzehn Stunden beschäftigt, und kam, da er eine Stunde von der Fabrik
entfernt wohnt, erst um 1'/,.. Uhr zu Bett. Um -l"/z Uhr, also nach drei¬
stündiger Ruhe, begab er sich in die Fabrik zurück und trat seineu Dienst
wieder an. Abends um !> Uhr fiel er vor Schwäche um und zwar in die
Kreissäge, die ihm eine Schulter zerriß. Hätte Elsner die Arbeit unterbrochen,
so würden ihm 2 Mark abgezogen worden sein ......- bei 1 Mk. 10 Pf. Tage¬
lohn! Über die Behandlung, die der Schwervermnndete dann noch erfuhr,
führten Augenzeugen in der Presse Beschwerde. Einige Wochen später, nach¬
dem die Geschichte in allen Blättern der Provinz erzählt worden war, erließen
die Besitzer der Fabrik eine lahme Erklärung, die die mitgeteilten Thatsachen
der Hauptsache nach bestätigte und als Entschuldigung anführte: die Über¬
stunden seien eine "Wohlthat" für die dortige Bevölkerung; bei dem vorhandenen
Überfluß an "Arbeitskräften" fänden sich stets Leute genng, die sich um solche
Arbeit rissen.

Der Fall ist typisch. Er illustrirt den Satz des Henry George, daß unsre
Industriellen äußerst thöricht sein würden, wenn sie die Sklaverei wieder ein¬
führen wollten. In der That: wozu Sklaven kaufett, wenn man sie jederzeit
umsonst haben kann? Wozu die Peitsche Schwingen, wenn die Arbeiter sich
selbst mißhandeln, um nicht entweder dein Hungertode oder wegen Bettelns
dem Gefängnis zu verfallen? Ein liberales Blatt behauptete dieser Tage, die
Arbeiter würden sich ans keinen Fall zur Rückkehr in patriarchalische Abhängig-
keitsverhültnisse verstehen. Es ist doch fraglich, wie eine allgemeine Abstimmung
ausfallen würde. Die jüngern allerdings würden sich meistens dagegen erklären,
weil in der Jugend die Hoffnung sehr start ist, in diesem Falle die Hoffnung,
bei freier Wahl des Aufenthaltsortes und Dienstverhältnisses doch noch in
eine glücklichere Lage zu gelange"; von den ältern, erfahrenem dürften viele
einen Zustand vorziehen, der ihnen, wenn anch nicht die Plackereien der Arbeit,
so doch wenigstens die Sorge, sich Arbeit zu verschaffen, abnimmt. Die Ab¬
hängigkeit von einem Herrn, der Macht über Leib und Leben des Knechtes hat,
ist entwürdigender und gefährdet das sittliche Leben im höchsten Grade. Die
Abhängigkeit vom "Arbeitsmarkte" ist quälender und aufreibender. Ja man
darf sagen, daß diese Abhängigkeit von nttpersönlichen Mächten etwas Unheim¬
liches hat. Will der Arbeiter sich über seine Lage beschweren, so findet er sich
liebenswürdigen Herren gegenüber, denen man es ansieht, daß sie viel zu human
sind, um auch mir einer Fliege weh zu thun, nud die dein Klagenden erwidern,
es stehe ihm ja frei, wo anders Arbeit zu suchen; so leid es ihnen thue, sie
könnten weder den Lohn erhöhen, noch die Arbeitsbedingungen erleichtern; sie
selbst stünden nnter dem unerbittlichen Gesetz von Angebot und Nachfrage,
dem ehernen Lvhngesetz, der göttlichen Weltordnung, oder wie die geheimnrs-


Freiheit

ereignete sich vor einigen Monaten folgender Fall. Der iieunzehujährige Arbeiter
Elsner war eines Tages von morgens Uhr bis nachts 12 Uhr, also volle
achtzehn Stunden beschäftigt, und kam, da er eine Stunde von der Fabrik
entfernt wohnt, erst um 1'/,.. Uhr zu Bett. Um -l"/z Uhr, also nach drei¬
stündiger Ruhe, begab er sich in die Fabrik zurück und trat seineu Dienst
wieder an. Abends um !> Uhr fiel er vor Schwäche um und zwar in die
Kreissäge, die ihm eine Schulter zerriß. Hätte Elsner die Arbeit unterbrochen,
so würden ihm 2 Mark abgezogen worden sein ......- bei 1 Mk. 10 Pf. Tage¬
lohn! Über die Behandlung, die der Schwervermnndete dann noch erfuhr,
führten Augenzeugen in der Presse Beschwerde. Einige Wochen später, nach¬
dem die Geschichte in allen Blättern der Provinz erzählt worden war, erließen
die Besitzer der Fabrik eine lahme Erklärung, die die mitgeteilten Thatsachen
der Hauptsache nach bestätigte und als Entschuldigung anführte: die Über¬
stunden seien eine „Wohlthat" für die dortige Bevölkerung; bei dem vorhandenen
Überfluß an „Arbeitskräften" fänden sich stets Leute genng, die sich um solche
Arbeit rissen.

Der Fall ist typisch. Er illustrirt den Satz des Henry George, daß unsre
Industriellen äußerst thöricht sein würden, wenn sie die Sklaverei wieder ein¬
führen wollten. In der That: wozu Sklaven kaufett, wenn man sie jederzeit
umsonst haben kann? Wozu die Peitsche Schwingen, wenn die Arbeiter sich
selbst mißhandeln, um nicht entweder dein Hungertode oder wegen Bettelns
dem Gefängnis zu verfallen? Ein liberales Blatt behauptete dieser Tage, die
Arbeiter würden sich ans keinen Fall zur Rückkehr in patriarchalische Abhängig-
keitsverhültnisse verstehen. Es ist doch fraglich, wie eine allgemeine Abstimmung
ausfallen würde. Die jüngern allerdings würden sich meistens dagegen erklären,
weil in der Jugend die Hoffnung sehr start ist, in diesem Falle die Hoffnung,
bei freier Wahl des Aufenthaltsortes und Dienstverhältnisses doch noch in
eine glücklichere Lage zu gelange»; von den ältern, erfahrenem dürften viele
einen Zustand vorziehen, der ihnen, wenn anch nicht die Plackereien der Arbeit,
so doch wenigstens die Sorge, sich Arbeit zu verschaffen, abnimmt. Die Ab¬
hängigkeit von einem Herrn, der Macht über Leib und Leben des Knechtes hat,
ist entwürdigender und gefährdet das sittliche Leben im höchsten Grade. Die
Abhängigkeit vom „Arbeitsmarkte" ist quälender und aufreibender. Ja man
darf sagen, daß diese Abhängigkeit von nttpersönlichen Mächten etwas Unheim¬
liches hat. Will der Arbeiter sich über seine Lage beschweren, so findet er sich
liebenswürdigen Herren gegenüber, denen man es ansieht, daß sie viel zu human
sind, um auch mir einer Fliege weh zu thun, nud die dein Klagenden erwidern,
es stehe ihm ja frei, wo anders Arbeit zu suchen; so leid es ihnen thue, sie
könnten weder den Lohn erhöhen, noch die Arbeitsbedingungen erleichtern; sie
selbst stünden nnter dem unerbittlichen Gesetz von Angebot und Nachfrage,
dem ehernen Lvhngesetz, der göttlichen Weltordnung, oder wie die geheimnrs-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0402" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205133"/>
          <fw type="header" place="top"> Freiheit</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1125" prev="#ID_1124"> ereignete sich vor einigen Monaten folgender Fall. Der iieunzehujährige Arbeiter<lb/>
Elsner war eines Tages von morgens Uhr bis nachts 12 Uhr, also volle<lb/>
achtzehn Stunden beschäftigt, und kam, da er eine Stunde von der Fabrik<lb/>
entfernt wohnt, erst um 1'/,.. Uhr zu Bett. Um -l"/z Uhr, also nach drei¬<lb/>
stündiger Ruhe, begab er sich in die Fabrik zurück und trat seineu Dienst<lb/>
wieder an. Abends um !&gt; Uhr fiel er vor Schwäche um und zwar in die<lb/>
Kreissäge, die ihm eine Schulter zerriß. Hätte Elsner die Arbeit unterbrochen,<lb/>
so würden ihm 2 Mark abgezogen worden sein ......- bei 1 Mk. 10 Pf. Tage¬<lb/>
lohn! Über die Behandlung, die der Schwervermnndete dann noch erfuhr,<lb/>
führten Augenzeugen in der Presse Beschwerde. Einige Wochen später, nach¬<lb/>
dem die Geschichte in allen Blättern der Provinz erzählt worden war, erließen<lb/>
die Besitzer der Fabrik eine lahme Erklärung, die die mitgeteilten Thatsachen<lb/>
der Hauptsache nach bestätigte und als Entschuldigung anführte: die Über¬<lb/>
stunden seien eine &#x201E;Wohlthat" für die dortige Bevölkerung; bei dem vorhandenen<lb/>
Überfluß an &#x201E;Arbeitskräften" fänden sich stets Leute genng, die sich um solche<lb/>
Arbeit rissen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1126" next="#ID_1127"> Der Fall ist typisch. Er illustrirt den Satz des Henry George, daß unsre<lb/>
Industriellen äußerst thöricht sein würden, wenn sie die Sklaverei wieder ein¬<lb/>
führen wollten. In der That: wozu Sklaven kaufett, wenn man sie jederzeit<lb/>
umsonst haben kann? Wozu die Peitsche Schwingen, wenn die Arbeiter sich<lb/>
selbst mißhandeln, um nicht entweder dein Hungertode oder wegen Bettelns<lb/>
dem Gefängnis zu verfallen? Ein liberales Blatt behauptete dieser Tage, die<lb/>
Arbeiter würden sich ans keinen Fall zur Rückkehr in patriarchalische Abhängig-<lb/>
keitsverhültnisse verstehen. Es ist doch fraglich, wie eine allgemeine Abstimmung<lb/>
ausfallen würde. Die jüngern allerdings würden sich meistens dagegen erklären,<lb/>
weil in der Jugend die Hoffnung sehr start ist, in diesem Falle die Hoffnung,<lb/>
bei freier Wahl des Aufenthaltsortes und Dienstverhältnisses doch noch in<lb/>
eine glücklichere Lage zu gelange»; von den ältern, erfahrenem dürften viele<lb/>
einen Zustand vorziehen, der ihnen, wenn anch nicht die Plackereien der Arbeit,<lb/>
so doch wenigstens die Sorge, sich Arbeit zu verschaffen, abnimmt. Die Ab¬<lb/>
hängigkeit von einem Herrn, der Macht über Leib und Leben des Knechtes hat,<lb/>
ist entwürdigender und gefährdet das sittliche Leben im höchsten Grade. Die<lb/>
Abhängigkeit vom &#x201E;Arbeitsmarkte" ist quälender und aufreibender. Ja man<lb/>
darf sagen, daß diese Abhängigkeit von nttpersönlichen Mächten etwas Unheim¬<lb/>
liches hat. Will der Arbeiter sich über seine Lage beschweren, so findet er sich<lb/>
liebenswürdigen Herren gegenüber, denen man es ansieht, daß sie viel zu human<lb/>
sind, um auch mir einer Fliege weh zu thun, nud die dein Klagenden erwidern,<lb/>
es stehe ihm ja frei, wo anders Arbeit zu suchen; so leid es ihnen thue, sie<lb/>
könnten weder den Lohn erhöhen, noch die Arbeitsbedingungen erleichtern; sie<lb/>
selbst stünden nnter dem unerbittlichen Gesetz von Angebot und Nachfrage,<lb/>
dem ehernen Lvhngesetz, der göttlichen Weltordnung, oder wie die geheimnrs-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0402] Freiheit ereignete sich vor einigen Monaten folgender Fall. Der iieunzehujährige Arbeiter Elsner war eines Tages von morgens Uhr bis nachts 12 Uhr, also volle achtzehn Stunden beschäftigt, und kam, da er eine Stunde von der Fabrik entfernt wohnt, erst um 1'/,.. Uhr zu Bett. Um -l"/z Uhr, also nach drei¬ stündiger Ruhe, begab er sich in die Fabrik zurück und trat seineu Dienst wieder an. Abends um !> Uhr fiel er vor Schwäche um und zwar in die Kreissäge, die ihm eine Schulter zerriß. Hätte Elsner die Arbeit unterbrochen, so würden ihm 2 Mark abgezogen worden sein ......- bei 1 Mk. 10 Pf. Tage¬ lohn! Über die Behandlung, die der Schwervermnndete dann noch erfuhr, führten Augenzeugen in der Presse Beschwerde. Einige Wochen später, nach¬ dem die Geschichte in allen Blättern der Provinz erzählt worden war, erließen die Besitzer der Fabrik eine lahme Erklärung, die die mitgeteilten Thatsachen der Hauptsache nach bestätigte und als Entschuldigung anführte: die Über¬ stunden seien eine „Wohlthat" für die dortige Bevölkerung; bei dem vorhandenen Überfluß an „Arbeitskräften" fänden sich stets Leute genng, die sich um solche Arbeit rissen. Der Fall ist typisch. Er illustrirt den Satz des Henry George, daß unsre Industriellen äußerst thöricht sein würden, wenn sie die Sklaverei wieder ein¬ führen wollten. In der That: wozu Sklaven kaufett, wenn man sie jederzeit umsonst haben kann? Wozu die Peitsche Schwingen, wenn die Arbeiter sich selbst mißhandeln, um nicht entweder dein Hungertode oder wegen Bettelns dem Gefängnis zu verfallen? Ein liberales Blatt behauptete dieser Tage, die Arbeiter würden sich ans keinen Fall zur Rückkehr in patriarchalische Abhängig- keitsverhültnisse verstehen. Es ist doch fraglich, wie eine allgemeine Abstimmung ausfallen würde. Die jüngern allerdings würden sich meistens dagegen erklären, weil in der Jugend die Hoffnung sehr start ist, in diesem Falle die Hoffnung, bei freier Wahl des Aufenthaltsortes und Dienstverhältnisses doch noch in eine glücklichere Lage zu gelange»; von den ältern, erfahrenem dürften viele einen Zustand vorziehen, der ihnen, wenn anch nicht die Plackereien der Arbeit, so doch wenigstens die Sorge, sich Arbeit zu verschaffen, abnimmt. Die Ab¬ hängigkeit von einem Herrn, der Macht über Leib und Leben des Knechtes hat, ist entwürdigender und gefährdet das sittliche Leben im höchsten Grade. Die Abhängigkeit vom „Arbeitsmarkte" ist quälender und aufreibender. Ja man darf sagen, daß diese Abhängigkeit von nttpersönlichen Mächten etwas Unheim¬ liches hat. Will der Arbeiter sich über seine Lage beschweren, so findet er sich liebenswürdigen Herren gegenüber, denen man es ansieht, daß sie viel zu human sind, um auch mir einer Fliege weh zu thun, nud die dein Klagenden erwidern, es stehe ihm ja frei, wo anders Arbeit zu suchen; so leid es ihnen thue, sie könnten weder den Lohn erhöhen, noch die Arbeitsbedingungen erleichtern; sie selbst stünden nnter dem unerbittlichen Gesetz von Angebot und Nachfrage, dem ehernen Lvhngesetz, der göttlichen Weltordnung, oder wie die geheimnrs-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/402
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/402>, abgerufen am 05.02.2025.