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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Stadtregiment, das anfänglich von den oberen Zünften geführt wurde, ward
immer tieferen Schichten des Mittelstandes zugänglich, und am 22. Juli 1378,
wo der Wollkrämpler Michele ti Lnndo in Schuhen ohne Strümpfe deu
Regierungspalast zu Florenz betrat und zum Gonfaloniere ti Giustizia aus¬
gerufen wurde, feierte die Demokratie ihren höchsten Triumph. Natürlich dauerte
die Herrlichkeit nicht lange. Nicht daß diese kleinen Leute unfähig gewesen
wären. Sie benahmen sich verständig und gemäßigt, hüteten sich vor Aus¬
schreitungen und besorgten die Staatsgeschäfte so gut wie irgend eine der
früheren Siguvrien. Man braucht das nicht wunderbar zu finde". Lesen und
schreiben konnte auch der Ärmste, im Redenhalte", Wühlen, Wahlen und Ab¬
stimmen übte sich jeder Weber und Schuster vou Jugend ans, und die Ver¬
waltung des kleinen Staates zu übersehen und zu durchschauen bereitete so
hellen Köpfe" -- Dummheit gehört nicht zu den Nationallastern der Italiener --
keine Schwierigkeit. Aber der Großhändler, der Fabrikant, der Gutsbesitzer
verspürte wenig Lust, sich von seinen Arbeitern regieren zu lassen. Jene
Herren streikten, d. h. sie stellte" die Fabrikation ein, namentlich die Tuch¬
weberei, die ein volles Drittel der Bürger ernährte, und Männer, die "in
Arbeit betteln, könne" den Staat nicht regieren.

Eine Oligarchie löste die Volksherrschaft ub, und über die ander" herr¬
schenden Hänser stieg das der Mediceer empor. Allmählich ging dere" milde
Diktatur in den monarchischen Absolutismus über, und als der Großherzog
Leopold (der Bruder und Nachfolger des Kaisers Josef II.) den Thron bestieg,
da hatte die allmächtige Büreaukratie im Berein mit der kirchlichen Inquisition
das ehedem geistvollste Völkchen Europas so weit heruntergebracht, daß dieser
nu'rkwürdige und ausgezeichnete Fürst auf Mittel Sinne" mußte, seineu Spie߬
bürgern Interesse für die öffentliche" Angelegenheiten einzuflößen und deu
Eingeschüchterten den Mund zum Reden zu öffnen. Nur noch hinter ver¬
schlossene" Thüren, in der Freimaurerloge, wagten selbständige Gedanke",
Reformpläne, Witz und Satire sich hervor. Die französische Revolution weckte
den erstorbenen Gemeingeist aufs neue, n"d in den Befrei""gsiampfe" des
laufenden Jahrhunderts ist dieser wieder so weit erstarkt, daß i" den Städten
die Regsamkeit des politischen Lebens, die Freiheit des Wortes ""d die Lust
am Reden kaum noch zu wünschen übrig läßt.

Mittlerweile war aber die ländliche Bevölkerung schon am Ausgange des
Mittelalters durch ""günstige Pachtverhältnisse in eine Abhängigkeit von den
städtischen Aristokraten geraten, die sich vo" ihrer früheren Leibeigenschaft nicht
wesentlich unterschied. Ja H. Leo meint, im toskanischen Apennin habe der
Bauernstand den Todesstoß erhalten, als um 1360 die letzte" feudalen Häupter
fiele", die Magnatenfamilicn der Tarlati und Alberti verarmte", die Aldvbran-
deSchi der Stadt "nterthänig, die llbaldini zu gewöhnlichen Landedellenten
herabgedrückt wurde". "Denn hier im Gebirge uuter des Adels Schutz hatte


Stadtregiment, das anfänglich von den oberen Zünften geführt wurde, ward
immer tieferen Schichten des Mittelstandes zugänglich, und am 22. Juli 1378,
wo der Wollkrämpler Michele ti Lnndo in Schuhen ohne Strümpfe deu
Regierungspalast zu Florenz betrat und zum Gonfaloniere ti Giustizia aus¬
gerufen wurde, feierte die Demokratie ihren höchsten Triumph. Natürlich dauerte
die Herrlichkeit nicht lange. Nicht daß diese kleinen Leute unfähig gewesen
wären. Sie benahmen sich verständig und gemäßigt, hüteten sich vor Aus¬
schreitungen und besorgten die Staatsgeschäfte so gut wie irgend eine der
früheren Siguvrien. Man braucht das nicht wunderbar zu finde». Lesen und
schreiben konnte auch der Ärmste, im Redenhalte», Wühlen, Wahlen und Ab¬
stimmen übte sich jeder Weber und Schuster vou Jugend ans, und die Ver¬
waltung des kleinen Staates zu übersehen und zu durchschauen bereitete so
hellen Köpfe» — Dummheit gehört nicht zu den Nationallastern der Italiener —
keine Schwierigkeit. Aber der Großhändler, der Fabrikant, der Gutsbesitzer
verspürte wenig Lust, sich von seinen Arbeitern regieren zu lassen. Jene
Herren streikten, d. h. sie stellte» die Fabrikation ein, namentlich die Tuch¬
weberei, die ein volles Drittel der Bürger ernährte, und Männer, die »in
Arbeit betteln, könne» den Staat nicht regieren.

Eine Oligarchie löste die Volksherrschaft ub, und über die ander» herr¬
schenden Hänser stieg das der Mediceer empor. Allmählich ging dere» milde
Diktatur in den monarchischen Absolutismus über, und als der Großherzog
Leopold (der Bruder und Nachfolger des Kaisers Josef II.) den Thron bestieg,
da hatte die allmächtige Büreaukratie im Berein mit der kirchlichen Inquisition
das ehedem geistvollste Völkchen Europas so weit heruntergebracht, daß dieser
nu'rkwürdige und ausgezeichnete Fürst auf Mittel Sinne» mußte, seineu Spie߬
bürgern Interesse für die öffentliche» Angelegenheiten einzuflößen und deu
Eingeschüchterten den Mund zum Reden zu öffnen. Nur noch hinter ver¬
schlossene» Thüren, in der Freimaurerloge, wagten selbständige Gedanke»,
Reformpläne, Witz und Satire sich hervor. Die französische Revolution weckte
den erstorbenen Gemeingeist aufs neue, n»d in den Befrei»»gsiampfe» des
laufenden Jahrhunderts ist dieser wieder so weit erstarkt, daß i» den Städten
die Regsamkeit des politischen Lebens, die Freiheit des Wortes »»d die Lust
am Reden kaum noch zu wünschen übrig läßt.

Mittlerweile war aber die ländliche Bevölkerung schon am Ausgange des
Mittelalters durch »»günstige Pachtverhältnisse in eine Abhängigkeit von den
städtischen Aristokraten geraten, die sich vo» ihrer früheren Leibeigenschaft nicht
wesentlich unterschied. Ja H. Leo meint, im toskanischen Apennin habe der
Bauernstand den Todesstoß erhalten, als um 1360 die letzte» feudalen Häupter
fiele», die Magnatenfamilicn der Tarlati und Alberti verarmte», die Aldvbran-
deSchi der Stadt »nterthänig, die llbaldini zu gewöhnlichen Landedellenten
herabgedrückt wurde». „Denn hier im Gebirge uuter des Adels Schutz hatte


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[0395] Stadtregiment, das anfänglich von den oberen Zünften geführt wurde, ward immer tieferen Schichten des Mittelstandes zugänglich, und am 22. Juli 1378, wo der Wollkrämpler Michele ti Lnndo in Schuhen ohne Strümpfe deu Regierungspalast zu Florenz betrat und zum Gonfaloniere ti Giustizia aus¬ gerufen wurde, feierte die Demokratie ihren höchsten Triumph. Natürlich dauerte die Herrlichkeit nicht lange. Nicht daß diese kleinen Leute unfähig gewesen wären. Sie benahmen sich verständig und gemäßigt, hüteten sich vor Aus¬ schreitungen und besorgten die Staatsgeschäfte so gut wie irgend eine der früheren Siguvrien. Man braucht das nicht wunderbar zu finde». Lesen und schreiben konnte auch der Ärmste, im Redenhalte», Wühlen, Wahlen und Ab¬ stimmen übte sich jeder Weber und Schuster vou Jugend ans, und die Ver¬ waltung des kleinen Staates zu übersehen und zu durchschauen bereitete so hellen Köpfe» — Dummheit gehört nicht zu den Nationallastern der Italiener — keine Schwierigkeit. Aber der Großhändler, der Fabrikant, der Gutsbesitzer verspürte wenig Lust, sich von seinen Arbeitern regieren zu lassen. Jene Herren streikten, d. h. sie stellte» die Fabrikation ein, namentlich die Tuch¬ weberei, die ein volles Drittel der Bürger ernährte, und Männer, die »in Arbeit betteln, könne» den Staat nicht regieren. Eine Oligarchie löste die Volksherrschaft ub, und über die ander» herr¬ schenden Hänser stieg das der Mediceer empor. Allmählich ging dere» milde Diktatur in den monarchischen Absolutismus über, und als der Großherzog Leopold (der Bruder und Nachfolger des Kaisers Josef II.) den Thron bestieg, da hatte die allmächtige Büreaukratie im Berein mit der kirchlichen Inquisition das ehedem geistvollste Völkchen Europas so weit heruntergebracht, daß dieser nu'rkwürdige und ausgezeichnete Fürst auf Mittel Sinne» mußte, seineu Spie߬ bürgern Interesse für die öffentliche» Angelegenheiten einzuflößen und deu Eingeschüchterten den Mund zum Reden zu öffnen. Nur noch hinter ver¬ schlossene» Thüren, in der Freimaurerloge, wagten selbständige Gedanke», Reformpläne, Witz und Satire sich hervor. Die französische Revolution weckte den erstorbenen Gemeingeist aufs neue, n»d in den Befrei»»gsiampfe» des laufenden Jahrhunderts ist dieser wieder so weit erstarkt, daß i» den Städten die Regsamkeit des politischen Lebens, die Freiheit des Wortes »»d die Lust am Reden kaum noch zu wünschen übrig läßt. Mittlerweile war aber die ländliche Bevölkerung schon am Ausgange des Mittelalters durch »»günstige Pachtverhältnisse in eine Abhängigkeit von den städtischen Aristokraten geraten, die sich vo» ihrer früheren Leibeigenschaft nicht wesentlich unterschied. Ja H. Leo meint, im toskanischen Apennin habe der Bauernstand den Todesstoß erhalten, als um 1360 die letzte» feudalen Häupter fiele», die Magnatenfamilicn der Tarlati und Alberti verarmte», die Aldvbran- deSchi der Stadt »nterthänig, die llbaldini zu gewöhnlichen Landedellenten herabgedrückt wurde». „Denn hier im Gebirge uuter des Adels Schutz hatte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/395>, abgerufen am 05.02.2025.