Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Das Lüde des preußischen Vnliurkampfes stimmte besondre Organisationen zum Gegenstande haben, welche mir bei der Wir hatten schon oben bemerkt, daß man unter Glaubenspflichten bellte Das Lüde des preußischen Vnliurkampfes stimmte besondre Organisationen zum Gegenstande haben, welche mir bei der Wir hatten schon oben bemerkt, daß man unter Glaubenspflichten bellte <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0351" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205082"/> <fw type="header" place="top"> Das Lüde des preußischen Vnliurkampfes</fw><lb/> <p xml:id="ID_969" prev="#ID_968"> stimmte besondre Organisationen zum Gegenstande haben, welche mir bei der<lb/> römisch-katholischen Kirche vorkommen, machen hier eine Ausnahme, Jenes<lb/> Idealbild einer Kirche und einer Glaubenslehre, das den Gesetzgebern in un¬<lb/> bestimmten Umrissen vorschwebte, entspricht, wie dies nicht anders zu erwarten<lb/> ist, den im deutschen Volke oder vielmehr im ausschlaggebenden Teile desselben<lb/> herrschenden Anschauungen über Wesen und Aufgaben der Kirche und der<lb/> Glaubenslehre. Wir wollen im Folgenden versuchen, diese Anschauungen zur<lb/> Darstellung zu bringen.</p><lb/> <p xml:id="ID_970" next="#ID_971"> Wir hatten schon oben bemerkt, daß man unter Glaubenspflichten bellte<lb/> diejenigen Pflichten versteht, die der einzelne von sich selbst, seinem eignen<lb/> Gewissen gegenüber fordert und nach pflichtmäßiger llberlegnng von sich ver¬<lb/> langen aus;. Die Quelle der Glaubens- oder Gewissenspflicht ist daher nicht<lb/> wie beim Staate und der staatliche» Pflicht die Gegenüberstellung der Gesamt¬<lb/> heit und des Einzelnen, noch auch wie bei der Gesellschaft und ihren Organisa¬<lb/> tionen in Familie und Volk die Gegenüberstellung des Einzelne» in seinen<lb/> verschiednen Lebenslagen und irgend welches andern, mit dein er in diesen<lb/> Lebenslagen in Berührung zu kommen pflegt, als Mitglied der Familie, als<lb/> Volksgenosse oder in irgend welchen andern freien Verbindungen; sondern die<lb/> Quelle der Gewissenspflicht ist der unabweisbare Gedanke, daß der Mensch<lb/> Pflichten erfüllen müsse, weil er vor sich selbst sonst nicht bestehen könne.<lb/> Nach heutiger Auffassung ist also das eigne Gewissen des Einzelne» die haupt¬<lb/> sächlichste Quelle der Glanbenspflichten, erst in zweiter Reihe kommt die Be¬<lb/> lehrung andrer, die Überlieferung in Betracht. Damit der Glaube lebendig<lb/> bleibe, bedarf er des Gebetes; im Gebete erzeugt sich der die Wirklichkeit<lb/> überwältigende Glaube, daß die Seele des Menschen sich erheben und gleichsam<lb/> mit Gott unmittelbar Zwiesprache halten könne. Im Gebete entsteht der<lb/> Glaube und die daraus entspringende Pflichtenlehre. Um zum Gebete zu ge¬<lb/> langen, muß der Betende glauben, daß er von Gott etwas erbitten könne und daß<lb/> dieser es ihm, wie ein Herr dem Knechte, entweder gewahren oder abschlagen könne.<lb/> Mit dem Begriff, den der Mensch sich von Gott, als der notwendigen Voraus¬<lb/> setzung seines Daseins, zu andern Stunden als denen des Gebets zu machen<lb/> versucht, steht nun zwar die Vorstellung sehr im Widerspruch, Gott könne sich<lb/> überreden lassen. Aber gerade deswegen, weil solcher Widerspruch nicht mir<lb/> hier, sondern überall gefunden werden kann, zwischen allen nur irgend möglichen<lb/> Gedanken und Thaten, wenn man mir bald längere, bald kürzere Zeit darnach<lb/> forscht, und gerade deswegen, weil dieser Widerspruch, der im Gebete liegt,<lb/> so unmittelbar, fast handgreiflich hervortritt, zwingt es den betenden Geist zu<lb/> gewaltiger Anstrengung und Selbstüberwindung; es gebietet Schweigen allem,<lb/> was sich andernfalls um Zweifeln erheben könnte; eS bewirkt gerade das, was<lb/> einem hohen und weitsehende» Geiste am notwendigsten ist, nämlich Bezwingung<lb/> aller Rücksichten und Zweifel; es verleiht Stärke und Kühnheit. Im Gebete</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0351]
Das Lüde des preußischen Vnliurkampfes
stimmte besondre Organisationen zum Gegenstande haben, welche mir bei der
römisch-katholischen Kirche vorkommen, machen hier eine Ausnahme, Jenes
Idealbild einer Kirche und einer Glaubenslehre, das den Gesetzgebern in un¬
bestimmten Umrissen vorschwebte, entspricht, wie dies nicht anders zu erwarten
ist, den im deutschen Volke oder vielmehr im ausschlaggebenden Teile desselben
herrschenden Anschauungen über Wesen und Aufgaben der Kirche und der
Glaubenslehre. Wir wollen im Folgenden versuchen, diese Anschauungen zur
Darstellung zu bringen.
Wir hatten schon oben bemerkt, daß man unter Glaubenspflichten bellte
diejenigen Pflichten versteht, die der einzelne von sich selbst, seinem eignen
Gewissen gegenüber fordert und nach pflichtmäßiger llberlegnng von sich ver¬
langen aus;. Die Quelle der Glaubens- oder Gewissenspflicht ist daher nicht
wie beim Staate und der staatliche» Pflicht die Gegenüberstellung der Gesamt¬
heit und des Einzelnen, noch auch wie bei der Gesellschaft und ihren Organisa¬
tionen in Familie und Volk die Gegenüberstellung des Einzelne» in seinen
verschiednen Lebenslagen und irgend welches andern, mit dein er in diesen
Lebenslagen in Berührung zu kommen pflegt, als Mitglied der Familie, als
Volksgenosse oder in irgend welchen andern freien Verbindungen; sondern die
Quelle der Gewissenspflicht ist der unabweisbare Gedanke, daß der Mensch
Pflichten erfüllen müsse, weil er vor sich selbst sonst nicht bestehen könne.
Nach heutiger Auffassung ist also das eigne Gewissen des Einzelne» die haupt¬
sächlichste Quelle der Glanbenspflichten, erst in zweiter Reihe kommt die Be¬
lehrung andrer, die Überlieferung in Betracht. Damit der Glaube lebendig
bleibe, bedarf er des Gebetes; im Gebete erzeugt sich der die Wirklichkeit
überwältigende Glaube, daß die Seele des Menschen sich erheben und gleichsam
mit Gott unmittelbar Zwiesprache halten könne. Im Gebete entsteht der
Glaube und die daraus entspringende Pflichtenlehre. Um zum Gebete zu ge¬
langen, muß der Betende glauben, daß er von Gott etwas erbitten könne und daß
dieser es ihm, wie ein Herr dem Knechte, entweder gewahren oder abschlagen könne.
Mit dem Begriff, den der Mensch sich von Gott, als der notwendigen Voraus¬
setzung seines Daseins, zu andern Stunden als denen des Gebets zu machen
versucht, steht nun zwar die Vorstellung sehr im Widerspruch, Gott könne sich
überreden lassen. Aber gerade deswegen, weil solcher Widerspruch nicht mir
hier, sondern überall gefunden werden kann, zwischen allen nur irgend möglichen
Gedanken und Thaten, wenn man mir bald längere, bald kürzere Zeit darnach
forscht, und gerade deswegen, weil dieser Widerspruch, der im Gebete liegt,
so unmittelbar, fast handgreiflich hervortritt, zwingt es den betenden Geist zu
gewaltiger Anstrengung und Selbstüberwindung; es gebietet Schweigen allem,
was sich andernfalls um Zweifeln erheben könnte; eS bewirkt gerade das, was
einem hohen und weitsehende» Geiste am notwendigsten ist, nämlich Bezwingung
aller Rücksichten und Zweifel; es verleiht Stärke und Kühnheit. Im Gebete
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