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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Das Lüde des preußischen Kulturkampfes

zwar die Giltigkeit und Kraft der gesetzlichen Vorschrift, die jene Voraus¬
setzungen nicht ausdrücklich erwähnt, nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen in
keiner Weise gemindert, aber immerhin ist es doch allgemein bestehende Ver-
waltnugsübung, schonender zu verfahren, wie denn auch thatsächlich mit
größerer Schonung verfahren wurde, nachdem die Tragweite jenes auf die
vorhandenen innerkirchlichen Vorschriften keine Rücksicht nehmenden Vorgehens
deutlich geworden war und die Folgen in der Erbitterung der katholischen
Bevölkerung zu Tage traten.

Wir könnten diesem Beispiel, inwiefern bei dem Streite über äußere
kirchliche Ordnung und das Zusammentreffen der Kirchengewalt mit der staat¬
lichen Macht auch unweigerlich stets innerkirchliche Streitfragen mit zur Ver¬
handlung komme" und berührt werden müssen, an dein Hergange des
preußischen Kulturkampfes noch zahlreiche andre hinzufügen; nur wollen aber
nur auf deu bereits oben berührten Punkt hinweisen, wonach die Wahl des
Seelsorgers nach der Vorschrift jenes Gesetzes nnter gegebenen Umständen
unter Mitwirkung einer staatlichen oder doch dem Staate untergeordneten
Behörde stattfinden soll. Wir erkennen aus diesen Beobachtungen die eigentlich
ganz selbstverständliche, aber doch vielfach mißachtete Wahrheit, daß anch die
äußere Ordnung der Kirche, ja sogar die äußersten Grenzpuukte derselben, wo
sie an den Staat stößt, immer mit den innern Glaubensvvrschriften der be¬
treffenden Kirche in einem nähern oder fernern Zusammenhange steht, man mag
sich stellen, wie man will. Ja man muß sogar sagen, daß es gar nicht möglich
sei, irgendwelche Gesetze über das Verhältnis zwischen Staat und Kirche zu
erlassen, ohne sich dabei, wenn auch nicht deutlich bewußt, einen einigermaßen
bestimmten Begriff vou dem Wesen dieser bestimmten Kirche und deu ihr zu
Grunde liegenden Glaubenslehren zu machen und ohne dabei, wenn auch nicht
absichtlich, die Glaubenslehre zu beeinflussen und vielleicht zu ändern; voraus¬
gesetzt überall, daß jene Gesetze und Vorschriften nicht lediglich leeren Wort¬
schwall enthalten und gänzlich ohne Wirkung bleiben. Und so erkennen wir
denn auch bei deu Gesetzen des preußischen Kulturkampfes, daß der Gesetzgeber
oder die maßgebenden Persönlichkeiten in den gesetzgebenden Gewalten der
damaligen Zeit gleichsam ein Idealbild einer Kirche und damit ein Idealbild
einer ihr zu Grunde liegenden Glaubenslehre in Gedanken hatten, das bei der
Abfassung der Gesetze von wesentlichem Einflüsse war. Jene Gesetze hatten
nicht nur formelle Geltung gegenüber der römisch-katholischen Kirche, obwohl
wir nicht fehl zu gehen glauben, wenn wir behaupten, daß dies vou. den meisten
wegen ungenügender Kenntnis des gesetzlichen Wortlautes und wegen der fast
ausschließlichen Anwendung und Bedeutung der Gesetze gegenüber der katholischen
.Kirche angenommen und geglaubt wird, sondern auch für alle andern Kirchen
und Religionsgesellschaften, also auch für die evangelischen Kirchen; wenigstens
ist dies bei deu meisten einschlägigen Gesetzen der Fall; nur einzelne, die be-


Das Lüde des preußischen Kulturkampfes

zwar die Giltigkeit und Kraft der gesetzlichen Vorschrift, die jene Voraus¬
setzungen nicht ausdrücklich erwähnt, nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen in
keiner Weise gemindert, aber immerhin ist es doch allgemein bestehende Ver-
waltnugsübung, schonender zu verfahren, wie denn auch thatsächlich mit
größerer Schonung verfahren wurde, nachdem die Tragweite jenes auf die
vorhandenen innerkirchlichen Vorschriften keine Rücksicht nehmenden Vorgehens
deutlich geworden war und die Folgen in der Erbitterung der katholischen
Bevölkerung zu Tage traten.

Wir könnten diesem Beispiel, inwiefern bei dem Streite über äußere
kirchliche Ordnung und das Zusammentreffen der Kirchengewalt mit der staat¬
lichen Macht auch unweigerlich stets innerkirchliche Streitfragen mit zur Ver¬
handlung komme» und berührt werden müssen, an dein Hergange des
preußischen Kulturkampfes noch zahlreiche andre hinzufügen; nur wollen aber
nur auf deu bereits oben berührten Punkt hinweisen, wonach die Wahl des
Seelsorgers nach der Vorschrift jenes Gesetzes nnter gegebenen Umständen
unter Mitwirkung einer staatlichen oder doch dem Staate untergeordneten
Behörde stattfinden soll. Wir erkennen aus diesen Beobachtungen die eigentlich
ganz selbstverständliche, aber doch vielfach mißachtete Wahrheit, daß anch die
äußere Ordnung der Kirche, ja sogar die äußersten Grenzpuukte derselben, wo
sie an den Staat stößt, immer mit den innern Glaubensvvrschriften der be¬
treffenden Kirche in einem nähern oder fernern Zusammenhange steht, man mag
sich stellen, wie man will. Ja man muß sogar sagen, daß es gar nicht möglich
sei, irgendwelche Gesetze über das Verhältnis zwischen Staat und Kirche zu
erlassen, ohne sich dabei, wenn auch nicht deutlich bewußt, einen einigermaßen
bestimmten Begriff vou dem Wesen dieser bestimmten Kirche und deu ihr zu
Grunde liegenden Glaubenslehren zu machen und ohne dabei, wenn auch nicht
absichtlich, die Glaubenslehre zu beeinflussen und vielleicht zu ändern; voraus¬
gesetzt überall, daß jene Gesetze und Vorschriften nicht lediglich leeren Wort¬
schwall enthalten und gänzlich ohne Wirkung bleiben. Und so erkennen wir
denn auch bei deu Gesetzen des preußischen Kulturkampfes, daß der Gesetzgeber
oder die maßgebenden Persönlichkeiten in den gesetzgebenden Gewalten der
damaligen Zeit gleichsam ein Idealbild einer Kirche und damit ein Idealbild
einer ihr zu Grunde liegenden Glaubenslehre in Gedanken hatten, das bei der
Abfassung der Gesetze von wesentlichem Einflüsse war. Jene Gesetze hatten
nicht nur formelle Geltung gegenüber der römisch-katholischen Kirche, obwohl
wir nicht fehl zu gehen glauben, wenn wir behaupten, daß dies vou. den meisten
wegen ungenügender Kenntnis des gesetzlichen Wortlautes und wegen der fast
ausschließlichen Anwendung und Bedeutung der Gesetze gegenüber der katholischen
.Kirche angenommen und geglaubt wird, sondern auch für alle andern Kirchen
und Religionsgesellschaften, also auch für die evangelischen Kirchen; wenigstens
ist dies bei deu meisten einschlägigen Gesetzen der Fall; nur einzelne, die be-


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[0350] Das Lüde des preußischen Kulturkampfes zwar die Giltigkeit und Kraft der gesetzlichen Vorschrift, die jene Voraus¬ setzungen nicht ausdrücklich erwähnt, nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen in keiner Weise gemindert, aber immerhin ist es doch allgemein bestehende Ver- waltnugsübung, schonender zu verfahren, wie denn auch thatsächlich mit größerer Schonung verfahren wurde, nachdem die Tragweite jenes auf die vorhandenen innerkirchlichen Vorschriften keine Rücksicht nehmenden Vorgehens deutlich geworden war und die Folgen in der Erbitterung der katholischen Bevölkerung zu Tage traten. Wir könnten diesem Beispiel, inwiefern bei dem Streite über äußere kirchliche Ordnung und das Zusammentreffen der Kirchengewalt mit der staat¬ lichen Macht auch unweigerlich stets innerkirchliche Streitfragen mit zur Ver¬ handlung komme» und berührt werden müssen, an dein Hergange des preußischen Kulturkampfes noch zahlreiche andre hinzufügen; nur wollen aber nur auf deu bereits oben berührten Punkt hinweisen, wonach die Wahl des Seelsorgers nach der Vorschrift jenes Gesetzes nnter gegebenen Umständen unter Mitwirkung einer staatlichen oder doch dem Staate untergeordneten Behörde stattfinden soll. Wir erkennen aus diesen Beobachtungen die eigentlich ganz selbstverständliche, aber doch vielfach mißachtete Wahrheit, daß anch die äußere Ordnung der Kirche, ja sogar die äußersten Grenzpuukte derselben, wo sie an den Staat stößt, immer mit den innern Glaubensvvrschriften der be¬ treffenden Kirche in einem nähern oder fernern Zusammenhange steht, man mag sich stellen, wie man will. Ja man muß sogar sagen, daß es gar nicht möglich sei, irgendwelche Gesetze über das Verhältnis zwischen Staat und Kirche zu erlassen, ohne sich dabei, wenn auch nicht deutlich bewußt, einen einigermaßen bestimmten Begriff vou dem Wesen dieser bestimmten Kirche und deu ihr zu Grunde liegenden Glaubenslehren zu machen und ohne dabei, wenn auch nicht absichtlich, die Glaubenslehre zu beeinflussen und vielleicht zu ändern; voraus¬ gesetzt überall, daß jene Gesetze und Vorschriften nicht lediglich leeren Wort¬ schwall enthalten und gänzlich ohne Wirkung bleiben. Und so erkennen wir denn auch bei deu Gesetzen des preußischen Kulturkampfes, daß der Gesetzgeber oder die maßgebenden Persönlichkeiten in den gesetzgebenden Gewalten der damaligen Zeit gleichsam ein Idealbild einer Kirche und damit ein Idealbild einer ihr zu Grunde liegenden Glaubenslehre in Gedanken hatten, das bei der Abfassung der Gesetze von wesentlichem Einflüsse war. Jene Gesetze hatten nicht nur formelle Geltung gegenüber der römisch-katholischen Kirche, obwohl wir nicht fehl zu gehen glauben, wenn wir behaupten, daß dies vou. den meisten wegen ungenügender Kenntnis des gesetzlichen Wortlautes und wegen der fast ausschließlichen Anwendung und Bedeutung der Gesetze gegenüber der katholischen .Kirche angenommen und geglaubt wird, sondern auch für alle andern Kirchen und Religionsgesellschaften, also auch für die evangelischen Kirchen; wenigstens ist dies bei deu meisten einschlägigen Gesetzen der Fall; nur einzelne, die be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/350>, abgerufen am 05.02.2025.