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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Nationalzeit, örtliche oder Meltzeit?

Familie, diejenigen Dinge, welche sie gemeinsam angehen, sollen sie auch regeln
nach einer ihnen allen gemeinsamen Zeit, einer Weltzeit. Ob dann der russische oder
der nordamerikanische Astronom den seltenen Vorbeigang der Venus vor der
Sonnenscheibe beobachtet, beide solle", was sie gesehen haben, nach derselben
Zeit registriren; alle Schisse auf allen Meeren sollen dieselbe Zeit auf den
Uhren und in ihren Tagebüchern führen.

Was für eine soll das nun sein? Dazu ist es zuerst nötig, einen Nnll-
meridian festzusetzen. Zur Schonung der nationalen Eitelkeit, namentlich der
französischen, hat man in der That ernstlich versucht, einen sogenannten neutralen
Anfangsmeridian aufzufinden; aber man ist bald davon zurückgekommen, anch
die Franzosen selbst. Ein einziger Nullmeridian kann überhaupt in Betracht
kommen: der der Londoner Sternwarte Greenwich, die zwei Jahrhunderte hin¬
durch für die Astronomie und Schifffahrt mehr gearbeitet hat als die andern alle.
Die Wahl des Greenwicher Meridians und der Greenwicher Zeit für alle Völker
ist sonnt, wie Professor Struve sehr schön, ohne allen russischen Nationaleigensinn,
ausgeführt hat, nur ein schuldiger Daukeszvll an die Bradley, Herschel u. n.
Es ist aber auch diese Wahl die einzige aussichtsvolle, denn jetzt schon sind
alle Schiffer, auch unsre deutsche", völlig vertraut mit den Greenwicher Ein¬
richtungen. In unserm Hafen Swinemünde verkündet der dumpfe Schlag des
Zeitballes den Ostseeschifferu auch den Mittag von Greenwich; und von den
sämtlichen Seekarten, die auf weitern Fahrten gebraucht werden, sind schon jetzt
nenn Zehntel auf den Greenwicher Meridian bezogen. Und so lauten denn die
folgenschweren Beschlüsse II, IV und V der im Eingang erwähnten Oktober¬
konferenz zu Washington*):

Die Konferenz schlägt den hier vertretenen Regierungen vor, als AnsgangS-
meridian für Längen den anzunehmen, der durch den Mittelpunkt des Meridian¬
instrumentes der Greenwicher Sternwarte geht. ^Angenommen mit 22 Stimmen,
also fast einstimmig, wie auch die folgenden Beschlüsse.^

Die Konferenz schlägt vor, für alle Aufgaben, für die es zweckmäßig erscheinen
könnte, einen Unwersaltag anzunehmen, der aber ^dieser Zusatz ist wichtig!^ in
keiner Weise den Gebrauch von Lokal- oder andrer Normalzeit beeinträchtigen soll,
wo solche vorzuziehen ist.

Dieser Universaltag soll ein mittlerer Sonnentag sein; er soll für die ganze
Welt um Mitternacht des Ausgangsmeridians beginnen. We Astronomen und
Geodäten in Rom hatten als Anfang den ihnen gewohnten Mittag festgehalten; die
Regierungsvertreter in Washington sind in richtigem Takt zu der üblichen bürgerlichen
Zählweise von Mitternacht ab zurückgekehrt.^ Sonach fällt der Universaltag mit
dem bürgerlichen Tag und dem (Gregvrianischen) Datum unter jenem Meridian
zusammen; die Stunden des Universaltages sollen von 0 bis 24 fortgezahlt werden.

Kurz, die jetzige englische Zeit soll Weltzeit werden für die ganze Erde.
Ob dann in Berlin ein Telegramm aus Samoa oder ans Sansibar ankommt,



"°) Otto Struve, Die Beschlüsse der Meridiankonferenz. Petersburg, Bnchdr. d. kaiser¬
lichen Akademie, 183S.
Nationalzeit, örtliche oder Meltzeit?

Familie, diejenigen Dinge, welche sie gemeinsam angehen, sollen sie auch regeln
nach einer ihnen allen gemeinsamen Zeit, einer Weltzeit. Ob dann der russische oder
der nordamerikanische Astronom den seltenen Vorbeigang der Venus vor der
Sonnenscheibe beobachtet, beide solle», was sie gesehen haben, nach derselben
Zeit registriren; alle Schisse auf allen Meeren sollen dieselbe Zeit auf den
Uhren und in ihren Tagebüchern führen.

Was für eine soll das nun sein? Dazu ist es zuerst nötig, einen Nnll-
meridian festzusetzen. Zur Schonung der nationalen Eitelkeit, namentlich der
französischen, hat man in der That ernstlich versucht, einen sogenannten neutralen
Anfangsmeridian aufzufinden; aber man ist bald davon zurückgekommen, anch
die Franzosen selbst. Ein einziger Nullmeridian kann überhaupt in Betracht
kommen: der der Londoner Sternwarte Greenwich, die zwei Jahrhunderte hin¬
durch für die Astronomie und Schifffahrt mehr gearbeitet hat als die andern alle.
Die Wahl des Greenwicher Meridians und der Greenwicher Zeit für alle Völker
ist sonnt, wie Professor Struve sehr schön, ohne allen russischen Nationaleigensinn,
ausgeführt hat, nur ein schuldiger Daukeszvll an die Bradley, Herschel u. n.
Es ist aber auch diese Wahl die einzige aussichtsvolle, denn jetzt schon sind
alle Schiffer, auch unsre deutsche», völlig vertraut mit den Greenwicher Ein¬
richtungen. In unserm Hafen Swinemünde verkündet der dumpfe Schlag des
Zeitballes den Ostseeschifferu auch den Mittag von Greenwich; und von den
sämtlichen Seekarten, die auf weitern Fahrten gebraucht werden, sind schon jetzt
nenn Zehntel auf den Greenwicher Meridian bezogen. Und so lauten denn die
folgenschweren Beschlüsse II, IV und V der im Eingang erwähnten Oktober¬
konferenz zu Washington*):

Die Konferenz schlägt den hier vertretenen Regierungen vor, als AnsgangS-
meridian für Längen den anzunehmen, der durch den Mittelpunkt des Meridian¬
instrumentes der Greenwicher Sternwarte geht. ^Angenommen mit 22 Stimmen,
also fast einstimmig, wie auch die folgenden Beschlüsse.^

Die Konferenz schlägt vor, für alle Aufgaben, für die es zweckmäßig erscheinen
könnte, einen Unwersaltag anzunehmen, der aber ^dieser Zusatz ist wichtig!^ in
keiner Weise den Gebrauch von Lokal- oder andrer Normalzeit beeinträchtigen soll,
wo solche vorzuziehen ist.

Dieser Universaltag soll ein mittlerer Sonnentag sein; er soll für die ganze
Welt um Mitternacht des Ausgangsmeridians beginnen. We Astronomen und
Geodäten in Rom hatten als Anfang den ihnen gewohnten Mittag festgehalten; die
Regierungsvertreter in Washington sind in richtigem Takt zu der üblichen bürgerlichen
Zählweise von Mitternacht ab zurückgekehrt.^ Sonach fällt der Universaltag mit
dem bürgerlichen Tag und dem (Gregvrianischen) Datum unter jenem Meridian
zusammen; die Stunden des Universaltages sollen von 0 bis 24 fortgezahlt werden.

Kurz, die jetzige englische Zeit soll Weltzeit werden für die ganze Erde.
Ob dann in Berlin ein Telegramm aus Samoa oder ans Sansibar ankommt,



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lichen Akademie, 183S.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/333>, abgerufen am 05.02.2025.