Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Nationalzeit, örtliche oder lveltzeit? gehen, mit der Sonne sich zur Ruhe begeben, würde gar zu stark dadurch ver¬ Somit dürfen wir sagen, daß unsre Uhrrechnnng, was Sicherheit und Ein¬ Also bleibt nur noch die eine Frage übrig: Inwieweit ist es möglich, die Noch in den dreißiger und vierziger Jahren, als man sich von Trier bis Der bunten Verschiedenheit unsrer Vnhnhofsuhren gegenüber ist man nnn Das klingt einfach, ist aber unmöglich. Italien kann das, denn es erstreckt Nationalzeit, örtliche oder lveltzeit? gehen, mit der Sonne sich zur Ruhe begeben, würde gar zu stark dadurch ver¬ Somit dürfen wir sagen, daß unsre Uhrrechnnng, was Sicherheit und Ein¬ Also bleibt nur noch die eine Frage übrig: Inwieweit ist es möglich, die Noch in den dreißiger und vierziger Jahren, als man sich von Trier bis Der bunten Verschiedenheit unsrer Vnhnhofsuhren gegenüber ist man nnn Das klingt einfach, ist aber unmöglich. Italien kann das, denn es erstreckt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0331" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205062"/> <fw type="header" place="top"> Nationalzeit, örtliche oder lveltzeit?</fw><lb/> <p xml:id="ID_902" prev="#ID_901"> gehen, mit der Sonne sich zur Ruhe begeben, würde gar zu stark dadurch ver¬<lb/> letzt werden. Dagegen hat man, immer die Sternzeit als Regulator benutzend,<lb/> in geistvoller Weise eine mittlere Sonne sich ausgedacht, die immer so wenig<lb/> wie möglich (im Maximum bis zu einer Viertelstunde) vou der wahren Sonne<lb/> im Laufe abweicht, jedoch jahraus jahrein mit gleichförmiger Geschwindigkeit<lb/> ihre Bahn durchmißt. So entstand die mittlere Sonnenzeit, die jetzt bei allen<lb/> Kulturvölkern herrscht. Nicht als ob sie eben erst erfunden worden wäre.<lb/> Schon Ptolcmüus benutzt sie, wenn er mit dem Wörtchen äxp^r?; (genau<lb/> genommen) von den landläufigen Stunden zu den gleichmäßig eingekeilten<lb/> übergeht. Die große That unsers Jahrhunderts ist es nur, der mittlern Zeit<lb/> zum völligen Siege im Alltagsleben verholfen zu. haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_903"> Somit dürfen wir sagen, daß unsre Uhrrechnnng, was Sicherheit und Ein¬<lb/> fachheit angeht, jede billige Anforderung der Wissenschaft wie des Lebens<lb/> befriedigt, und auch von ihr wie vom Gregorianischen Kalender gilt das Wort<lb/> Keplers: Auf Jahrhunderte hinaus genügt er, und für spätere Zeiten wollen<lb/> Nur nicht sorgen.</p><lb/> <p xml:id="ID_904"> Also bleibt nur noch die eine Frage übrig: Inwieweit ist es möglich, die<lb/> Zeitrechnung einheitlich für möglichst viele zu gestalten?</p><lb/> <p xml:id="ID_905"> Noch in den dreißiger und vierziger Jahren, als man sich von Trier bis<lb/> Königsberg drei Wochen lang in der Kutsche rütteln ließ, genoß man unter¬<lb/> wegs die nötige Muße, sich in die Uhr jedes einzelnen Ortes hinzufinden,<lb/> damals gab es kein dringendes Bedürfnis nach einer Einheit der Nhrzeit.<lb/> Das änderte mit einem Schlage die Erfindung der Dampfschiffe, der Eisen¬<lb/> bahnen, der Telegraphie. Die Uhrkontrvle war jetzt keine theoretische Frage<lb/> mehr, auch keine Frage der Bequemlichkeit, nein, wichtige wirtschaftliche Inter¬<lb/> essen standen ans dem Spiele, es ging sogar ans Leben, denn es galt, Zu¬<lb/> sammenstöße zu vermeiden, zu Lande wie zu Wasser.</p><lb/> <p xml:id="ID_906"> Der bunten Verschiedenheit unsrer Vnhnhofsuhren gegenüber ist man nnn<lb/> schnell mit dem guten Rate zur Hand gewesen: Schafft eine gemeinsame Uhr¬<lb/> zeit durchs ganze Reich, wie es mit der gemeinsamen Münze, mit Maß und<lb/> Gewicht so glatt und hübsch gegangen ist!</p><lb/> <p xml:id="ID_907" next="#ID_908"> Das klingt einfach, ist aber unmöglich. Italien kann das, denn es erstreckt<lb/> sich hauptsächlich von Nord nach Süd, Schweden kann es auch, selbst England,<lb/> obwohl dieses sehr bezeichnender Weise für Irland eine besondre Zeit eingeführt<lb/> hat. Aber wir im deutschen Reiche? Nehmen wir einmal an, wir hätten<lb/> z. B. alle Berliner Uhr, dann würdet? für Memel und Metz Abweichungen<lb/> von 30 bis 40 Minuten von der jetzigen dort üblichen Zeit sich ergeben.<lb/> Dazu kommt, daß diese mittlere Ortszeit schon ihrerseits bis zu einer Viertel-<lb/> stunde der wahren Sonne nur Himmel untren wird, und, was das schlimmste<lb/> ist, dnß diese Abweichung durchaus nicht unveränderlich ist, sondern das Jahr<lb/> hindurch fortwährendem Wechsel unterliegt. Die Folge würde sein, daß der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0331]
Nationalzeit, örtliche oder lveltzeit?
gehen, mit der Sonne sich zur Ruhe begeben, würde gar zu stark dadurch ver¬
letzt werden. Dagegen hat man, immer die Sternzeit als Regulator benutzend,
in geistvoller Weise eine mittlere Sonne sich ausgedacht, die immer so wenig
wie möglich (im Maximum bis zu einer Viertelstunde) vou der wahren Sonne
im Laufe abweicht, jedoch jahraus jahrein mit gleichförmiger Geschwindigkeit
ihre Bahn durchmißt. So entstand die mittlere Sonnenzeit, die jetzt bei allen
Kulturvölkern herrscht. Nicht als ob sie eben erst erfunden worden wäre.
Schon Ptolcmüus benutzt sie, wenn er mit dem Wörtchen äxp^r?; (genau
genommen) von den landläufigen Stunden zu den gleichmäßig eingekeilten
übergeht. Die große That unsers Jahrhunderts ist es nur, der mittlern Zeit
zum völligen Siege im Alltagsleben verholfen zu. haben.
Somit dürfen wir sagen, daß unsre Uhrrechnnng, was Sicherheit und Ein¬
fachheit angeht, jede billige Anforderung der Wissenschaft wie des Lebens
befriedigt, und auch von ihr wie vom Gregorianischen Kalender gilt das Wort
Keplers: Auf Jahrhunderte hinaus genügt er, und für spätere Zeiten wollen
Nur nicht sorgen.
Also bleibt nur noch die eine Frage übrig: Inwieweit ist es möglich, die
Zeitrechnung einheitlich für möglichst viele zu gestalten?
Noch in den dreißiger und vierziger Jahren, als man sich von Trier bis
Königsberg drei Wochen lang in der Kutsche rütteln ließ, genoß man unter¬
wegs die nötige Muße, sich in die Uhr jedes einzelnen Ortes hinzufinden,
damals gab es kein dringendes Bedürfnis nach einer Einheit der Nhrzeit.
Das änderte mit einem Schlage die Erfindung der Dampfschiffe, der Eisen¬
bahnen, der Telegraphie. Die Uhrkontrvle war jetzt keine theoretische Frage
mehr, auch keine Frage der Bequemlichkeit, nein, wichtige wirtschaftliche Inter¬
essen standen ans dem Spiele, es ging sogar ans Leben, denn es galt, Zu¬
sammenstöße zu vermeiden, zu Lande wie zu Wasser.
Der bunten Verschiedenheit unsrer Vnhnhofsuhren gegenüber ist man nnn
schnell mit dem guten Rate zur Hand gewesen: Schafft eine gemeinsame Uhr¬
zeit durchs ganze Reich, wie es mit der gemeinsamen Münze, mit Maß und
Gewicht so glatt und hübsch gegangen ist!
Das klingt einfach, ist aber unmöglich. Italien kann das, denn es erstreckt
sich hauptsächlich von Nord nach Süd, Schweden kann es auch, selbst England,
obwohl dieses sehr bezeichnender Weise für Irland eine besondre Zeit eingeführt
hat. Aber wir im deutschen Reiche? Nehmen wir einmal an, wir hätten
z. B. alle Berliner Uhr, dann würdet? für Memel und Metz Abweichungen
von 30 bis 40 Minuten von der jetzigen dort üblichen Zeit sich ergeben.
Dazu kommt, daß diese mittlere Ortszeit schon ihrerseits bis zu einer Viertel-
stunde der wahren Sonne nur Himmel untren wird, und, was das schlimmste
ist, dnß diese Abweichung durchaus nicht unveränderlich ist, sondern das Jahr
hindurch fortwährendem Wechsel unterliegt. Die Folge würde sein, daß der
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