Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Nationalzeit, örtliche oder Weltzeit? Bor der Reise hat er seine gute Taschenuhr richtig gestellt nach einer der Am wunderlichsten aber gehts im Telegraphenwesen zu. Eine Depesche, Daß solche Uhrdifferenzen, die sich unvermeidlich aller Orten zeigen, Zur Zeit nicht eben zum Besten. Wir wollen von Leipzig aus eine *) Hammer, Nullmeridicm u. Weltzeit. Hamburg, 1883.
Nationalzeit, örtliche oder Weltzeit? Bor der Reise hat er seine gute Taschenuhr richtig gestellt nach einer der Am wunderlichsten aber gehts im Telegraphenwesen zu. Eine Depesche, Daß solche Uhrdifferenzen, die sich unvermeidlich aller Orten zeigen, Zur Zeit nicht eben zum Besten. Wir wollen von Leipzig aus eine *) Hammer, Nullmeridicm u. Weltzeit. Hamburg, 1883.
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0326" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205057"/> <fw type="header" place="top"> Nationalzeit, örtliche oder Weltzeit?</fw><lb/> <p xml:id="ID_880" prev="#ID_879"> Bor der Reise hat er seine gute Taschenuhr richtig gestellt nach einer der<lb/> schönen Normaluhren ans den Straßen Berlins, dann wird er ans jeder neuen<lb/> Station der Ostbahn an der Trommeluhr auf dem Perron eine immer stärkere<lb/> Abweichung von seiner Taschenuhr ablesen, und wenn er am Ziel ist, so wird<lb/> diese Abweichung bis auf volle 28 Minuten oder eine halbe Stunde gestiegen<lb/> sein. Vollends die Fahrt von Metz nach Königsberg dauert scheinbar 2 ganze<lb/> Stunden länger, als die umgekehrte westliche n. s. w. Bekanntlich beträgt<lb/> diese Uhrdifferenz für jeden Grad geographischem Längenunterschiedes 4 Zeit¬<lb/> minuten, nämlich wenn man von Ost nach West ein viertelmal um die Erde<lb/> herumgekommen ist, einen Bierteltagoder 6 Stunden, auf 15 Grad 1 Stunde, auf<lb/> 1 Grad 4 Minuten.</p><lb/> <p xml:id="ID_881"> Am wunderlichsten aber gehts im Telegraphenwesen zu. Eine Depesche,<lb/> die etwa der Festungs-Kommandant von Königsberg Punkt 12 Uhr an seinen<lb/> Kollegen in Metz schickt, hat dieser schon Vormittag 11 Uhr nach Metzer Zeit,<lb/> also scheinbar 1 Stunde früher, als sie aufgegeben wurde. Ja als ein im<lb/> ostindischen Simla am Mittwoch früh 1 Uhr 55 Minuten aufgegebenes Tele¬<lb/> gramm in London Dienstag Abend 11 Uhr 47 Minuten eintraf, hatte der<lb/> Telegraphenbeamte Recht, zu sagen: „Dieses Telegramm muß morgen aufge¬<lb/> geben worden sein."")</p><lb/> <p xml:id="ID_882"> Daß solche Uhrdifferenzen, die sich unvermeidlich aller Orten zeigen,<lb/> beschwerlich fallen müssen, weniger für die Reisenden, außerordentlich stark da¬<lb/> gegen für die Berwaltungsbcmnten, liegt auf der Hand. Abhilfe ist auch schon<lb/> mannichfach versucht worden. Ganz England hat Greenwicher Zeit, ganz Italien<lb/> die römische. Wie stehts aber bei uns und in Österreich?</p><lb/> <p xml:id="ID_883" next="#ID_884"> Zur Zeit nicht eben zum Besten. Wir wollen von Leipzig aus eine<lb/> Rundreise machen durch die Tiroler Alpe»? und durch die östliche Schweiz.<lb/> Wir stellen vor der Abreise unsre Uhr, nicht an einer Normaluhr, denn die haben<lb/> wir in Leipzig noch nicht, wir bekommen sie vielleicht einmal, wenn wir eine<lb/> Drittel-Millionen-Stadt sein werden, aber statt dessen an unsrer alle Mittage<lb/> sorgfältig geregelten Rathausuhr. Nun geht es südwärts. An der Bahn¬<lb/> hofsuhr in Eger mit ihren dreierlei Zeigern wollen wir seufzend vorüber¬<lb/> fahren. Aber schon in Baiern stimmt unsre Uhr nicht; dort gibt es Münchener<lb/> Zeit, die gegen die unsre ein wenig zurück ist. Bei Kufstein, beim Eintritt<lb/> in Tirol, müssen wir plötzlich wieder zurechnen, denn wir find in das Ge¬<lb/> biet der Prager Zeit eingetreten. Ein Spaziergang ans Trafoi über das<lb/> Stilfser Joch bringt uus römische Zeit, und Tags darauf können wir in<lb/> Graubünden sein, dort richtet sich die Post nach Berner Zeit, diese aber ist<lb/> von der Prager Zeit, die wir vorgestern hatten, um ein halbes Stündchen<lb/> verschieden. Es ist ein Leidwesen! Aber nicht etwa bloß im Auslande ist es</p><lb/> <note xml:id="FID_40" place="foot"> *) Hammer, Nullmeridicm u. Weltzeit. Hamburg, 1883.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0326]
Nationalzeit, örtliche oder Weltzeit?
Bor der Reise hat er seine gute Taschenuhr richtig gestellt nach einer der
schönen Normaluhren ans den Straßen Berlins, dann wird er ans jeder neuen
Station der Ostbahn an der Trommeluhr auf dem Perron eine immer stärkere
Abweichung von seiner Taschenuhr ablesen, und wenn er am Ziel ist, so wird
diese Abweichung bis auf volle 28 Minuten oder eine halbe Stunde gestiegen
sein. Vollends die Fahrt von Metz nach Königsberg dauert scheinbar 2 ganze
Stunden länger, als die umgekehrte westliche n. s. w. Bekanntlich beträgt
diese Uhrdifferenz für jeden Grad geographischem Längenunterschiedes 4 Zeit¬
minuten, nämlich wenn man von Ost nach West ein viertelmal um die Erde
herumgekommen ist, einen Bierteltagoder 6 Stunden, auf 15 Grad 1 Stunde, auf
1 Grad 4 Minuten.
Am wunderlichsten aber gehts im Telegraphenwesen zu. Eine Depesche,
die etwa der Festungs-Kommandant von Königsberg Punkt 12 Uhr an seinen
Kollegen in Metz schickt, hat dieser schon Vormittag 11 Uhr nach Metzer Zeit,
also scheinbar 1 Stunde früher, als sie aufgegeben wurde. Ja als ein im
ostindischen Simla am Mittwoch früh 1 Uhr 55 Minuten aufgegebenes Tele¬
gramm in London Dienstag Abend 11 Uhr 47 Minuten eintraf, hatte der
Telegraphenbeamte Recht, zu sagen: „Dieses Telegramm muß morgen aufge¬
geben worden sein."")
Daß solche Uhrdifferenzen, die sich unvermeidlich aller Orten zeigen,
beschwerlich fallen müssen, weniger für die Reisenden, außerordentlich stark da¬
gegen für die Berwaltungsbcmnten, liegt auf der Hand. Abhilfe ist auch schon
mannichfach versucht worden. Ganz England hat Greenwicher Zeit, ganz Italien
die römische. Wie stehts aber bei uns und in Österreich?
Zur Zeit nicht eben zum Besten. Wir wollen von Leipzig aus eine
Rundreise machen durch die Tiroler Alpe»? und durch die östliche Schweiz.
Wir stellen vor der Abreise unsre Uhr, nicht an einer Normaluhr, denn die haben
wir in Leipzig noch nicht, wir bekommen sie vielleicht einmal, wenn wir eine
Drittel-Millionen-Stadt sein werden, aber statt dessen an unsrer alle Mittage
sorgfältig geregelten Rathausuhr. Nun geht es südwärts. An der Bahn¬
hofsuhr in Eger mit ihren dreierlei Zeigern wollen wir seufzend vorüber¬
fahren. Aber schon in Baiern stimmt unsre Uhr nicht; dort gibt es Münchener
Zeit, die gegen die unsre ein wenig zurück ist. Bei Kufstein, beim Eintritt
in Tirol, müssen wir plötzlich wieder zurechnen, denn wir find in das Ge¬
biet der Prager Zeit eingetreten. Ein Spaziergang ans Trafoi über das
Stilfser Joch bringt uus römische Zeit, und Tags darauf können wir in
Graubünden sein, dort richtet sich die Post nach Berner Zeit, diese aber ist
von der Prager Zeit, die wir vorgestern hatten, um ein halbes Stündchen
verschieden. Es ist ein Leidwesen! Aber nicht etwa bloß im Auslande ist es
*) Hammer, Nullmeridicm u. Weltzeit. Hamburg, 1883.
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