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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Die Folgen der Novelle

im Stillen sagt, und die andern es wohl auch mit erschreckender Klarheit vor
Augen sehen, daß zwei kleine Knaben wohl auf den Einfall kommen könnten,
in den Fischteich zu gehen, um dort den lieben Gott zu finden, bei dem es
keine Rute giebt; aber Björnson wirft, indem er sich das kalte Wasser vorstellt,
den Gedanken als unnatürlich, unmöglich, närrisch von sich. "Wie in aller
Welt hatte ich nur so etwas denken oder gar andeuten können?" Dennoch --
es nützt nichts, sich in solchen Stunden Verminst zu predigen, das Allerunglaub-
lichste gewinnt gleichwohl Gewalt über uns. Sie suchen mit Verzweiflung.
"Himmlischer Vater, um Jesu willen" (bis) betet Slina. "Beten Sie mit mir,
o beten Sie mit mir!" "Um was soll ich beten," fragt Vjörusou rauh, "Wohl
daß die Knaben jetzt sterben mögen, um in den Himmel zu kommen und Engel
zu werden?" Slina starrt ihn entsetzt an. -- Es wird sehr lange gesucht;
das Loch im Fischteich ist glücklicherweise zugefroren gefunden worden.

Björnson hat Gelegenheit zu noch einem längern Gespräch mit Slina,
während sie suchend im Schnee des Parks irren, und dabei wird das Geheimnis
weiter erläutert. Frau Atlungs großer, einziger, ganz hysterischer Wunsch war
alle diese Jahre, daß die Knaben nie von ihr getrennt werden möchten, sie hat
nur um dies gebetet, und Slina hat mit beten müssen. Herr Atlung hat aber
damit gedroht, die Kinder irgendwohin in die Schule zu schicken. Wäre dieser Abend
nicht gekommen, so hätte er es auch vielleicht ausgeführt! Nun hat aber Gott
ihr Gebet erhört. Slina muß fast glauben, daß sie auch ein Werkzeug in
seiner Hand gewesen ist. Wenn die Knaben jetzt gefunden werden -- natürlich
müssen sie krank werden; Vater und Mutter werden am Krankenbett sitzen
müssen, und dann, ,,o dann schicken sie die Knaben nie sort! Hoch gelobt
sei Gott um Jesu willen!" --

So kommt es auch. Die Knaben werden endlich halb erfroren unter
einem schlitzenden Baume gesunden, nachdem sich Björnson gegen Slina des
weitern belehrend über den Unfug des Uusterblichkeitsglanbens ausgelassen
hat, wobei das unverständliche Beispiel des Schnees weiter herhalten muß;
dieses Glaubens, der viele tausend Jahre alt, weit älter als das Christentum
sei, und an deu wir uns noch immer nicht gewöhnt hätten (weil er eben
"Staub" ist), und der dabei doch kleine Kinder veranlassen könnte, in die Winter¬
nacht hinauszulaufen, um Engel zu werden 7e. Also die Knaben werde" ge¬
funden -- es ist sehr rührend geschildert --, werden krank, von Fortschicken
ist keine Rede mehr, und alles wäre gut, wenn uicht -- Frau Atluug sich
beim Suchen nasse Füße geholt hätte und nun auch sterbenskrank geworden
wäre. Die bösen Folgen des Nnsterblichkeitsglaubeils kommen doch noch!
Björnson kann sie uns nicht schenken. Frau Atlung bildet sich ein, die Kinder
stürben, sie selber sterbe auch, und das sei nun die Folge ihres wahnsinnigen
Gebets zu Gott, sie trotz der so nötigen Erziehung nach Spencers Methode
nie vou ihr zu trennen, daß sie nun mit ihnen im Tode vereint werden


Die Folgen der Novelle

im Stillen sagt, und die andern es wohl auch mit erschreckender Klarheit vor
Augen sehen, daß zwei kleine Knaben wohl auf den Einfall kommen könnten,
in den Fischteich zu gehen, um dort den lieben Gott zu finden, bei dem es
keine Rute giebt; aber Björnson wirft, indem er sich das kalte Wasser vorstellt,
den Gedanken als unnatürlich, unmöglich, närrisch von sich. „Wie in aller
Welt hatte ich nur so etwas denken oder gar andeuten können?" Dennoch —
es nützt nichts, sich in solchen Stunden Verminst zu predigen, das Allerunglaub-
lichste gewinnt gleichwohl Gewalt über uns. Sie suchen mit Verzweiflung.
„Himmlischer Vater, um Jesu willen" (bis) betet Slina. „Beten Sie mit mir,
o beten Sie mit mir!" „Um was soll ich beten," fragt Vjörusou rauh, „Wohl
daß die Knaben jetzt sterben mögen, um in den Himmel zu kommen und Engel
zu werden?" Slina starrt ihn entsetzt an. — Es wird sehr lange gesucht;
das Loch im Fischteich ist glücklicherweise zugefroren gefunden worden.

Björnson hat Gelegenheit zu noch einem längern Gespräch mit Slina,
während sie suchend im Schnee des Parks irren, und dabei wird das Geheimnis
weiter erläutert. Frau Atlungs großer, einziger, ganz hysterischer Wunsch war
alle diese Jahre, daß die Knaben nie von ihr getrennt werden möchten, sie hat
nur um dies gebetet, und Slina hat mit beten müssen. Herr Atlung hat aber
damit gedroht, die Kinder irgendwohin in die Schule zu schicken. Wäre dieser Abend
nicht gekommen, so hätte er es auch vielleicht ausgeführt! Nun hat aber Gott
ihr Gebet erhört. Slina muß fast glauben, daß sie auch ein Werkzeug in
seiner Hand gewesen ist. Wenn die Knaben jetzt gefunden werden — natürlich
müssen sie krank werden; Vater und Mutter werden am Krankenbett sitzen
müssen, und dann, ,,o dann schicken sie die Knaben nie sort! Hoch gelobt
sei Gott um Jesu willen!" —

So kommt es auch. Die Knaben werden endlich halb erfroren unter
einem schlitzenden Baume gesunden, nachdem sich Björnson gegen Slina des
weitern belehrend über den Unfug des Uusterblichkeitsglanbens ausgelassen
hat, wobei das unverständliche Beispiel des Schnees weiter herhalten muß;
dieses Glaubens, der viele tausend Jahre alt, weit älter als das Christentum
sei, und an deu wir uns noch immer nicht gewöhnt hätten (weil er eben
„Staub" ist), und der dabei doch kleine Kinder veranlassen könnte, in die Winter¬
nacht hinauszulaufen, um Engel zu werden 7e. Also die Knaben werde» ge¬
funden — es ist sehr rührend geschildert —, werden krank, von Fortschicken
ist keine Rede mehr, und alles wäre gut, wenn uicht — Frau Atluug sich
beim Suchen nasse Füße geholt hätte und nun auch sterbenskrank geworden
wäre. Die bösen Folgen des Nnsterblichkeitsglaubeils kommen doch noch!
Björnson kann sie uns nicht schenken. Frau Atlung bildet sich ein, die Kinder
stürben, sie selber sterbe auch, und das sei nun die Folge ihres wahnsinnigen
Gebets zu Gott, sie trotz der so nötigen Erziehung nach Spencers Methode
nie vou ihr zu trennen, daß sie nun mit ihnen im Tode vereint werden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/290>, abgerufen am 05.02.2025.