Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Ende

dem Herd in der Mitte im wesentlichen seiner alten Bedeutung und Ein¬
richtung erhalten haben. Zwischen diesen sich geradezu abstoßenden Polen
mitten inne -- dies Wort in seinem wörtlichen und figürlichen Sinne --
finden sich nun in den weiten Gefilden Deutschlands die mannigfachsten Über¬
gänge und Vermittlungen, die wir nur andeuten können. An das niedersächsische
Haus schließen sich im Norden und Westen drei weitere Einbänden, die sich
wahrscheinlich schon in vorgeschichtlicher Zeit daran ankrystallisirt haben:
der fchleswigfche Einhalt, früh durch dänische und sächsische Einflüsse bedrängt
und zersetzt, im mittlern Schleswig und in Norderdithmarschen; der friesische
Einhalt, an den Nordseeküsten hingelagert zwischen dem Jcchdebnsen und dem
Bh bei Amsterdam (dazu ein Ableger im schleswigschen Eiderstedt); endlich
der holländische Einbnn an den Mündungen des Rheins. selbständiger stehen
dem sächsischen Hanse gegenüber die Einbänden des oberen Deutschlands, die
sich in mehreren unter sich verwandten Abarten, im Hochgebirge vielfache Ver¬
unstaltungen erleidend, am Nordabhänge der Alpen vom Jura und Schwarz¬
wald "ach Osten bis zur oberen Traun hinüberziehen. Ans der andern Seite
fügen sich zu dem kärnthnisch-steirischen "Niughof", wie er wohl genannt wird,
weil bei ihm die zwei Hauptstallnngen mit dein Stadel regelmäßig zu einem
auf der vierten Seite, dem freistehenden Wohnhause gegenüber offenem Viereck
zusanunengebant sind, zwei weitere Anlagen, von denen die erste unzweifelhaft,
die andre möglicherweise aus dem Ringhof entstanden ist: einmal der Bau des
Hochgebirgs in Steiermark, Salzburg, Kärnthen bis ins südliche Thrvl hinein,
der das Geviert des oben erwähnten Viehhofs zu einem großen, zweistöckigen
Wirtschaftsgebäude -- oben Stadel, unten Stall -- zusammengezogen hat,
dann, in den nordöstlich und östlich sich an die Gebirge lagernden ebeneren Ge¬
länden der österreichisch-steirische Geviertban, der gewissermaßen das Wohnhaus
an das offene Viereck des Viehhofes angeschlossen und alle vier Gebäude in
Ecken und Dächern so lückenlos in- und miteinander verbaut hat, daß selbst
alle Eingänge und Einfahrten unter dein fortlaufenden, einfach in der Linie
gebrochnen Dachstuhl fallen. Diesem Geviertbau entspricht im Norden genau
der "Vierkaut"-Bau der alten Düuenländer, der noch bis in das nördliche
Schleswig hieinragt, wie mich der Ninghvf in ähnlichen skandinavischen An¬
lagen auf den Inseln Öland und Gotland und in den schwedischen Provinzen
Wermeland, Deltlcmd sein Gegenstück findet. Hierzu kommt dann endlich, die
ganze Breite des innern Deutschlands in reicher Gliederung ausfüllend, der
mitteldeutsche Hofbau mit verschiedenen Unterarten, ebenfalls aus mehreren,
der Regel nach zwei bis vier Gebäuden bestehend, die er in loser Ordnung
und nach verschiedenen Grundsätzen um einen Hof in Aufstellung bringt. Dieser
ganze, der wissenschaftlichen Kenntnis kaum in seinen Grundzügen erschlossene
Reichtum an Bildungen, eine wahre Musterkarte von Hofanlngen, füllt um so
mehr ins Gewicht, wen" man daneben die Einförmigkeit der slavischen Ver-


Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Ende

dem Herd in der Mitte im wesentlichen seiner alten Bedeutung und Ein¬
richtung erhalten haben. Zwischen diesen sich geradezu abstoßenden Polen
mitten inne — dies Wort in seinem wörtlichen und figürlichen Sinne —
finden sich nun in den weiten Gefilden Deutschlands die mannigfachsten Über¬
gänge und Vermittlungen, die wir nur andeuten können. An das niedersächsische
Haus schließen sich im Norden und Westen drei weitere Einbänden, die sich
wahrscheinlich schon in vorgeschichtlicher Zeit daran ankrystallisirt haben:
der fchleswigfche Einhalt, früh durch dänische und sächsische Einflüsse bedrängt
und zersetzt, im mittlern Schleswig und in Norderdithmarschen; der friesische
Einhalt, an den Nordseeküsten hingelagert zwischen dem Jcchdebnsen und dem
Bh bei Amsterdam (dazu ein Ableger im schleswigschen Eiderstedt); endlich
der holländische Einbnn an den Mündungen des Rheins. selbständiger stehen
dem sächsischen Hanse gegenüber die Einbänden des oberen Deutschlands, die
sich in mehreren unter sich verwandten Abarten, im Hochgebirge vielfache Ver¬
unstaltungen erleidend, am Nordabhänge der Alpen vom Jura und Schwarz¬
wald »ach Osten bis zur oberen Traun hinüberziehen. Ans der andern Seite
fügen sich zu dem kärnthnisch-steirischen „Niughof", wie er wohl genannt wird,
weil bei ihm die zwei Hauptstallnngen mit dein Stadel regelmäßig zu einem
auf der vierten Seite, dem freistehenden Wohnhause gegenüber offenem Viereck
zusanunengebant sind, zwei weitere Anlagen, von denen die erste unzweifelhaft,
die andre möglicherweise aus dem Ringhof entstanden ist: einmal der Bau des
Hochgebirgs in Steiermark, Salzburg, Kärnthen bis ins südliche Thrvl hinein,
der das Geviert des oben erwähnten Viehhofs zu einem großen, zweistöckigen
Wirtschaftsgebäude — oben Stadel, unten Stall — zusammengezogen hat,
dann, in den nordöstlich und östlich sich an die Gebirge lagernden ebeneren Ge¬
länden der österreichisch-steirische Geviertban, der gewissermaßen das Wohnhaus
an das offene Viereck des Viehhofes angeschlossen und alle vier Gebäude in
Ecken und Dächern so lückenlos in- und miteinander verbaut hat, daß selbst
alle Eingänge und Einfahrten unter dein fortlaufenden, einfach in der Linie
gebrochnen Dachstuhl fallen. Diesem Geviertbau entspricht im Norden genau
der „Vierkaut"-Bau der alten Düuenländer, der noch bis in das nördliche
Schleswig hieinragt, wie mich der Ninghvf in ähnlichen skandinavischen An¬
lagen auf den Inseln Öland und Gotland und in den schwedischen Provinzen
Wermeland, Deltlcmd sein Gegenstück findet. Hierzu kommt dann endlich, die
ganze Breite des innern Deutschlands in reicher Gliederung ausfüllend, der
mitteldeutsche Hofbau mit verschiedenen Unterarten, ebenfalls aus mehreren,
der Regel nach zwei bis vier Gebäuden bestehend, die er in loser Ordnung
und nach verschiedenen Grundsätzen um einen Hof in Aufstellung bringt. Dieser
ganze, der wissenschaftlichen Kenntnis kaum in seinen Grundzügen erschlossene
Reichtum an Bildungen, eine wahre Musterkarte von Hofanlngen, füllt um so
mehr ins Gewicht, wen« man daneben die Einförmigkeit der slavischen Ver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0275" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205006"/>
            <fw type="header" place="top"> Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Ende</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_701" prev="#ID_700" next="#ID_702"> dem Herd in der Mitte im wesentlichen seiner alten Bedeutung und Ein¬<lb/>
richtung erhalten haben. Zwischen diesen sich geradezu abstoßenden Polen<lb/>
mitten inne &#x2014; dies Wort in seinem wörtlichen und figürlichen Sinne &#x2014;<lb/>
finden sich nun in den weiten Gefilden Deutschlands die mannigfachsten Über¬<lb/>
gänge und Vermittlungen, die wir nur andeuten können. An das niedersächsische<lb/>
Haus schließen sich im Norden und Westen drei weitere Einbänden, die sich<lb/>
wahrscheinlich schon in vorgeschichtlicher Zeit daran ankrystallisirt haben:<lb/>
der fchleswigfche Einhalt, früh durch dänische und sächsische Einflüsse bedrängt<lb/>
und zersetzt, im mittlern Schleswig und in Norderdithmarschen; der friesische<lb/>
Einhalt, an den Nordseeküsten hingelagert zwischen dem Jcchdebnsen und dem<lb/>
Bh bei Amsterdam (dazu ein Ableger im schleswigschen Eiderstedt); endlich<lb/>
der holländische Einbnn an den Mündungen des Rheins. selbständiger stehen<lb/>
dem sächsischen Hanse gegenüber die Einbänden des oberen Deutschlands, die<lb/>
sich in mehreren unter sich verwandten Abarten, im Hochgebirge vielfache Ver¬<lb/>
unstaltungen erleidend, am Nordabhänge der Alpen vom Jura und Schwarz¬<lb/>
wald »ach Osten bis zur oberen Traun hinüberziehen. Ans der andern Seite<lb/>
fügen sich zu dem kärnthnisch-steirischen &#x201E;Niughof", wie er wohl genannt wird,<lb/>
weil bei ihm die zwei Hauptstallnngen mit dein Stadel regelmäßig zu einem<lb/>
auf der vierten Seite, dem freistehenden Wohnhause gegenüber offenem Viereck<lb/>
zusanunengebant sind, zwei weitere Anlagen, von denen die erste unzweifelhaft,<lb/>
die andre möglicherweise aus dem Ringhof entstanden ist: einmal der Bau des<lb/>
Hochgebirgs in Steiermark, Salzburg, Kärnthen bis ins südliche Thrvl hinein,<lb/>
der das Geviert des oben erwähnten Viehhofs zu einem großen, zweistöckigen<lb/>
Wirtschaftsgebäude &#x2014; oben Stadel, unten Stall &#x2014; zusammengezogen hat,<lb/>
dann, in den nordöstlich und östlich sich an die Gebirge lagernden ebeneren Ge¬<lb/>
länden der österreichisch-steirische Geviertban, der gewissermaßen das Wohnhaus<lb/>
an das offene Viereck des Viehhofes angeschlossen und alle vier Gebäude in<lb/>
Ecken und Dächern so lückenlos in- und miteinander verbaut hat, daß selbst<lb/>
alle Eingänge und Einfahrten unter dein fortlaufenden, einfach in der Linie<lb/>
gebrochnen Dachstuhl fallen. Diesem Geviertbau entspricht im Norden genau<lb/>
der &#x201E;Vierkaut"-Bau der alten Düuenländer, der noch bis in das nördliche<lb/>
Schleswig hieinragt, wie mich der Ninghvf in ähnlichen skandinavischen An¬<lb/>
lagen auf den Inseln Öland und Gotland und in den schwedischen Provinzen<lb/>
Wermeland, Deltlcmd sein Gegenstück findet. Hierzu kommt dann endlich, die<lb/>
ganze Breite des innern Deutschlands in reicher Gliederung ausfüllend, der<lb/>
mitteldeutsche Hofbau mit verschiedenen Unterarten, ebenfalls aus mehreren,<lb/>
der Regel nach zwei bis vier Gebäuden bestehend, die er in loser Ordnung<lb/>
und nach verschiedenen Grundsätzen um einen Hof in Aufstellung bringt. Dieser<lb/>
ganze, der wissenschaftlichen Kenntnis kaum in seinen Grundzügen erschlossene<lb/>
Reichtum an Bildungen, eine wahre Musterkarte von Hofanlngen, füllt um so<lb/>
mehr ins Gewicht, wen« man daneben die Einförmigkeit der slavischen Ver-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0275] Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Ende dem Herd in der Mitte im wesentlichen seiner alten Bedeutung und Ein¬ richtung erhalten haben. Zwischen diesen sich geradezu abstoßenden Polen mitten inne — dies Wort in seinem wörtlichen und figürlichen Sinne — finden sich nun in den weiten Gefilden Deutschlands die mannigfachsten Über¬ gänge und Vermittlungen, die wir nur andeuten können. An das niedersächsische Haus schließen sich im Norden und Westen drei weitere Einbänden, die sich wahrscheinlich schon in vorgeschichtlicher Zeit daran ankrystallisirt haben: der fchleswigfche Einhalt, früh durch dänische und sächsische Einflüsse bedrängt und zersetzt, im mittlern Schleswig und in Norderdithmarschen; der friesische Einhalt, an den Nordseeküsten hingelagert zwischen dem Jcchdebnsen und dem Bh bei Amsterdam (dazu ein Ableger im schleswigschen Eiderstedt); endlich der holländische Einbnn an den Mündungen des Rheins. selbständiger stehen dem sächsischen Hanse gegenüber die Einbänden des oberen Deutschlands, die sich in mehreren unter sich verwandten Abarten, im Hochgebirge vielfache Ver¬ unstaltungen erleidend, am Nordabhänge der Alpen vom Jura und Schwarz¬ wald »ach Osten bis zur oberen Traun hinüberziehen. Ans der andern Seite fügen sich zu dem kärnthnisch-steirischen „Niughof", wie er wohl genannt wird, weil bei ihm die zwei Hauptstallnngen mit dein Stadel regelmäßig zu einem auf der vierten Seite, dem freistehenden Wohnhause gegenüber offenem Viereck zusanunengebant sind, zwei weitere Anlagen, von denen die erste unzweifelhaft, die andre möglicherweise aus dem Ringhof entstanden ist: einmal der Bau des Hochgebirgs in Steiermark, Salzburg, Kärnthen bis ins südliche Thrvl hinein, der das Geviert des oben erwähnten Viehhofs zu einem großen, zweistöckigen Wirtschaftsgebäude — oben Stadel, unten Stall — zusammengezogen hat, dann, in den nordöstlich und östlich sich an die Gebirge lagernden ebeneren Ge¬ länden der österreichisch-steirische Geviertban, der gewissermaßen das Wohnhaus an das offene Viereck des Viehhofes angeschlossen und alle vier Gebäude in Ecken und Dächern so lückenlos in- und miteinander verbaut hat, daß selbst alle Eingänge und Einfahrten unter dein fortlaufenden, einfach in der Linie gebrochnen Dachstuhl fallen. Diesem Geviertbau entspricht im Norden genau der „Vierkaut"-Bau der alten Düuenländer, der noch bis in das nördliche Schleswig hieinragt, wie mich der Ninghvf in ähnlichen skandinavischen An¬ lagen auf den Inseln Öland und Gotland und in den schwedischen Provinzen Wermeland, Deltlcmd sein Gegenstück findet. Hierzu kommt dann endlich, die ganze Breite des innern Deutschlands in reicher Gliederung ausfüllend, der mitteldeutsche Hofbau mit verschiedenen Unterarten, ebenfalls aus mehreren, der Regel nach zwei bis vier Gebäuden bestehend, die er in loser Ordnung und nach verschiedenen Grundsätzen um einen Hof in Aufstellung bringt. Dieser ganze, der wissenschaftlichen Kenntnis kaum in seinen Grundzügen erschlossene Reichtum an Bildungen, eine wahre Musterkarte von Hofanlngen, füllt um so mehr ins Gewicht, wen« man daneben die Einförmigkeit der slavischen Ver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/275
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/275>, abgerufen am 05.02.2025.